Mit dem Transparency & Consent Framework (TCF) 2.0 wird morgen ein neuer, europaweiter Standard für das Einholen, Sammeln und Verwalten von Benutzerzustimmungen im Advertising eingeführt. Nach der einjährigen Übergangsphase wird das TCFv1.1 ausgemustert, sodass Marken, Publisher und Adtech-Unternehmen, die auf Grundlage des Frameworks agieren, dessen überarbeiteten Rahmenbedingungen gewährleisten müssen. ADZINE hat Marktteilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen des Programmatic-Ökosystems dazu befragt, wie dieser Schritt vom TCFv1.1 hin zum TCFv2.0 vonstatten gehen wird und worauf sich der Markt in der Folge einstellen sollte.
Das Ziel des Frameworks ist es, nutzungsbasierte Daten trotz der verschärften Rechtslage auch weiterhin im Werbeökosystem einsetzen zu dürfen. Dafür muss die Einwilligung des Nutzers, also der Consent, über den Publisher hinweg an die anderen Marktteilnehmer korrekt weitergegeben werden. Nur so dürfen in Zukunft Daten im Rahmen von personalisierter Werbung erhoben, verwaltet und genutzt werden. Das TCF 2.0 wurde in Gemeinschaftsarbeit von der Digitalindustrie entwickelt und dabei vom IAB Europe sowie dessen Tech Lab angeleitet. Der Initiative haben sich diverse große und kleine Player angeschlossen, sogar Google ist nach längerem Zögern mittlerweile an Bord und wird die neue Version des TCF implementieren.
Die Prozesse bei der Consent-Verarbeitung bei allen Beteiligten umzustellen und neu auszurichten, ist jedoch eine Herausforderung, denn die Abläufe im aktuellen Ökosystem sind eh schon sehr komplex. Obwohl das TCF 2.0 schon seit längerer Zeit allerorts getestet wird, bringt die endgültige Umstellung sicherlich einige Anlaufschwierigkeiten mit sich. Man sollte sich dabei vor Augen halten, dass laut der Datenschutzverordnung ohne Zustimmung keine Personalisierung von Werbung oder anderen Marketingmaßnahmen erfolgen darf. Ohne den korrekt übermittelten Consent sind erhobene Daten, die Zielkoordinaten für sämtliche Kampagnen, also weitgehend wertlos für die Werbeindustrie.
Einschleifen statt Vollstart
„Unsere DSP wird das TCF 2.0-Signal ab dem 15.08. verarbeiten”, erklärt Ralf Hammerath, CEO des Adservers Adition Technologies. “Eine aktuelle Analyse unseres Traffics zeigt, dass momentan lediglich ein bis zwei Prozent des von den SSPs eintreffenden Traffics den TCF 2.0-Consent-String senden. Zudem hören wir von verschiedenen Marktteilnehmern, dass erst pünktlich zum Stichtag, einem Samstag, oder erst in den darauffolgenden Tagen, die Umstellung erfolgt. Daher erwarten wir aufgrund unterschiedlicher Implementierungen und Interpretationen des Regelwerks bei Publishern und Tech-Provider keinen Vollstart des neuen Standards, sondern ein sukzessives Einschleifen, und planen deshalb eine Übergangsphase ein, in der noch das alte TCF 1.1, aber auch Non-TCF-konformer Consent parallel mitverarbeitet werden.”
Kollege Dino Bongartz, CEO der Datenplattform The Adex, die wie Adition unter dem Dach der Virtual-Minds-Gruppe operiert, erwartet sogar noch mehr Schwierigkeiten: “Wir gehen davon aus das viele Publisher erst deutlich später umstellen, da aktuell diverse Datenschutzthematiken wie TCF 2.0, das gekippte EU-US Privacy Shield und Alleingänge großer US-Player sowie die damit verbundenen Regularien und Folgeeffekte für viel rechtliches wie technisches Chaos sorgen. Generell herrscht viel Unsicherheit in der Branche, insbesondere darüber, was genau mit Blick auf die Datennutzung in der Vermarktung und im digitalen Marketing passiert und was konkret umgestellt bzw. implementiert werden muss. Das Thema wird uns sich noch eine Weile begleiten und mehrere Monate Arbeit mit sich bringen, bis alles vom Web über In-App bis hin zu API-Seiten bei allen Publishern rund läuft. Daher werden wir als DMP-Anbieter auch andere als die TCF 2.0 Signale auf längere Sicht verarbeiten.“
Kalkuliertes Risiko mit Blick auf die Reichweite
Auf Vermarktungsseite betont man den technischen Aufwand und die Folgen für die Reichweite, ist sich aber sicher, dass es der richtige Schritt ist: “Trotz monatelanger Vorbereitung und intensiver Tests macht allein die Größe des Ad-Alliance-Portfolios eine mehrstufige Vorgehensweise notwendig”, so Paul Mudter, COO der Vermarktungsallianz Ad Alliance. “Um hier eine valide Aussage zu treffen ist es noch zu früh, denn viele stecken noch mitten in der Umsetzung auf Consent. Mit Umstellung auf Consent ist ein enormer technischer Aufwand nötig und daher haben wir mit einkalkuliert, dass es am Tag der Umstellung zu technischen Schwierigkeiten kommen kann. Unser oberstes Ziel ist es, darauf zu achten, dass es hier zu keinen Engpässen kommt, und der Einfluss auf laufende Kampagnen und Verfügbarkeiten möglichst gering gehalten wird. Diese neue Marktsituation hat bei uns sehr viel Kreativität freigesetzt. Wir sind dabei, neue Produkte zu entwickeln, die speziell für die non-Consent-Reichweite gedacht sind. Hier liegt der Fokus auf Umfelder und damit auf inhaltebezogene Daten. Mit solchen Maßnahmen bleibt letztlich auch die buchbare Reichweite unverändert. Stand heute gehen wir in Bezug auf die Reichweite von einem kalkulierbaren Risiko aus, dass wir in diesem Fall gerne eingehen. Das TCF 2.0 ist als internationaler Marktstandard ist eine dauerhafte sowie zukunftsorientiere Lösung, die nahezu alle adressierbaren Kanäle beinhaltet. Es muss in unser aller Sinne sein, dass der Markt eine einheitliche Sprache spricht und sich auf einige wenige Standards einigt statt Insellösungen zu schaffen und den Markt zu zerfasern. Der technische Fokus aller sollte daher auf dem TCF 2.0 liegen.”
50 Prozent weniger Reichweite für personalisierte Werbung?
Anna Schenk, Managing Director EMEA beim Targeting-Spezialisten Semasio, beziffert das Risiko mit konkreten Zahlen: “Dass wir einen Rückgang an Nutzern sehen werden, denen wir personalisierte Werbung ausspielen, ist wahrscheinlich. Wie hoch dieser Rückgang ist und wie er sich in den kommenden Monaten mit der Umstellung auf TCF 2.0 entwickelt, hängt davon ab, wie sich das Framework im Markt etabliert, welche rechtlichen Vorgaben wir zukünftig für die Gestaltung des Abfrage-Banners erhalten und wie diese von den Publishern umgesetzt werden. Ich halte einen Rückgang der Reichweiten von Nutzerdaten für personalisierte Werbung von bis zu 50 Prozent für denkbar, auch wenn diese sich wieder erholen dürften, sobald das Framework volle und richtige Adaption im Markt gefunden hat. Was wir allerdings nur bedingt beeinflussen können sind die Consent-Raten der Nutzer, die davon abhängen, wie wir den Consent DSGVO-konform einholen können. Erste Erfahrungswerte unserer Kunden aus Ländern, in denen es bereits Richtlinien für die Gestaltung des Banners gibt, zeigen, dass Consent-Raten auf bis zu 60 Prozent sinken können, wenn die Möglichkeit der Ablehnung der Datenverwendung genauso prominent gestaltet ist, wie die Zustimmung. Und ein Nutzer, der keine Zustimmung zur Nutzung seiner Daten gegeben hat, kann zukünftig in viele Szenarien der digitalen Werbung nicht mehr einbezogen werden.”
Bereinigung des Tech-Ökosystems
“Der Wechsel auf TCF 2.0 und das zeitgleiche BGH-Urteil führen aktuell auch dazu, dass sich Publisher sehr genau darüber Gedanken machen, welche Services sie wirklich benötigen und welche Dienstleister dazu notwendig sind”, erläutert Kolja Brosche, Head of Strategic Growth Germany der ID- und Datenplattform Liveramp. “In dem Zusammenhang ist es sinnvoll, die eigenen Websites aufzuräumen und zu überprüfen, welche Dienstleister auf ihren Websites eigentlich was tun und ob dies weiterhin benötigt wird. Eine in diesem Zusammenhang stattfindende Bereinigung des Tech-Ökosystems ist nicht ausgeschlossen. Publisher haben jetzt eine große Chance mit ihren Usern den Werteaustausch ‘Content im Tausch gegen (relevante) Werbung’ im Dialog zu führen. Der Dialog mit dem User steht durch die Einholung des Consent ja ohnehin an.”
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