Wir schreiben den 18. August 2020, drei Tage nachdem das “Transparency and Consent Framework 2.0” (TCF2) des IAB Europe offiziell an den Start gegangen ist. Viel Geld und noch mehr internen Aufwand haben deutsche Publisher, Agenturen, Werbetreibende und Tech-Anbieter investiert, um hoffentlich dank TCF2 datenschutzkonform wieder mehr Geld zu verdienen – oder vielmehr weniger zu verlieren. Nicht nur durch das Planet49-Urteil des BGH Ende Mai, sondern auch durch erhöhten Druck seitens Google verlangen nun auch deutsche Publisher eine explizite Einwilligung für personalisierte Werbung. Denn die Branche braucht das Geld, insbesondere das von Google – ein Kommentar.
Über Monate wurden Juristinnen konsultiert, Consent-Tools eingebaut und verschiedene Einwilligungs-Dialoge bei Konsumenten getestet. Wir als Branche haben einen riesigen Aufwand betrieben, um unsere Werbeeinnahmen zu sichern. Da die europäischen Datenschutzbehörden (und damit auch die Marktteilnehmer) keine einheitliche Sichtweise haben, haben wir ein Monster erschaffen, das zwar alle erdenklichen regionalen Facetten abbilden kann, aber selbst von seinen Schöpfern kaum mehr unter Kontrolle gehalten werden kann. Und technisch funktioniert alles sowieso nur einwandfrei bei den 50 Prozent der Internetnutzer, die nicht eh schon längst Tracking-Blocker installiert haben oder auf einen datenschutzfreundlichen Browser wie Safari, Firefox oder Brave umgestiegen sind.
Überall werden Leser nun von hyperkomplexen “Consent-Bannern” begrüßt, die theoretisch zwar umfassend aufklären und der Anwenderin granulare Kontrolle über die Datenverarbeitung ermöglichen. In der Praxis wird aber wohl kaum jemand, der nicht zufällig selbst in der Digitalbranche arbeitet, damit wirklich etwas anfangen können. Wie hoch schließlich die Einwilligungsraten sein werden und ob die Einwilligungen wegen ihrer hyperkomplexen Natur der Informiertheits-Anforderung der DSGVO genügen, weiß noch niemand exakt vorherzusagen.
Und jetzt kommt eine neue Variante, die einfach einfach ist – und all die komplexen Consent-Tools vielleicht schneller wieder verschwinden lässt, als sie aufgetaucht sind.
Schon seit Wochen schaut die Branche gespannt nach Hamburg. Dort hat der Spiegel das vom österreichischen Der Standard bekannte Pur-Modell gestartet, kurz darauf folgte auch die Zeit. Mit ausdrücklicher Billigung der Hamburger Datenschutzaufsicht stellen die beiden Häuser ihre Leserinnen nun vor die Wahl: Werbung mit Tracking akzeptieren oder alternativ 5 Euro im Monat für Werbe- und Trackingfreiheit zahlen. Weitere Auswahlmöglichkeiten hat der Nutzer nicht.
Die Leserin weiß endlich klipp und klar, was der Publisher von ihr will: Geld oder Daten – so einfach ist die Abfrage. Dieses neue Modell soll nun auch offiziell im Rahmen des TCF2 akzeptiert werden, und obendrein soll hierbei sogar auf die bislang geforderten Möglichkeiten zur granularen Auswahl verschiedener Verarbeitungszwecke und Technologiedienstleister gänzlich verzichtet werden. Eine einfache Auflistung aller genutzten Zwecke und Vendoren seitens des Publishers soll genügen.
Bleibt die Frage, wie viele Leserinnen und Leser hier wohl einwilligen werden? Sind es 100 Prozent, verdient der Publisher weiter wie bisher. Und da sich jeder Publisher die Preise für das Pur-Modell selbst wählen kann, liegt auch hier kein Risiko. Mit 5 Euro im Monat hat der Spiegel einen Preispunkt gesetzt. Die Datenschutzbehörde in Hamburg hat keine Bedenken. Würde sich die gesamte vom IVW ausgewiesene Reichweite von 22 Millionen Unique User für das Pur-Modell entscheiden, hätte der Spiegel einen Jahresumsatz von 1,3 Milliarden Euro...
Was sollte die Branche also tun?
Mit der Akzeptanz des Pur-Modells durch das IAB fällt für Publisher das Risiko weg, ihre Werbeumsätze könnten mangels TCF2-Konformität einbrechen. Publisher haben zudem die Möglichkeit, offensiv in die Kommunikation zu gehen und ihrem Publikum endlich eine leicht verständliche Wahlmöglichkeit zu geben – ein wichtiger Schritt, um langfristig die Zahlungsbereitschaft für Online-Medien zu erhöhen. Dank dieser Verständlichkeit ist das Modell auch aus Datenschutz-Perspektive zu begrüßen, so sehen das momentan zumindest die Datenschutzaufsichtsbehörden von Hamburg und Bayern, während Hessen und Baden-Württemberg noch skeptisch sind. Bei beiden Modellen bleibt also ein rechtliches Restrisiko, das wohl erst in einigen Jahren vom EuGH aufgelöst werden kann. Dagegen steht eine drastische Reduktion der internen Aufwände in der Handhabung und Protokollierung von Einwilligungen und wie oben gezeigt ist das Umsatzrisiko gleich null. Es spricht also vieles dafür, dass uns künftig auf immer mehr Seiten als erstes eine Daten-oder-Zahlen-Abfrage begegnet.
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