Bestehende Browser-Restriktionen, die Datenschutzverordnung und Googles neue Deadline für den Third-Party Cookie führen schon jetzt zu weniger Zielgruppendaten und werden mittelfristig das Targeting über die Drittanbieter-Cookies noch schwieriger machen. Vermarkter reagieren deshalb auf die Cookie-Knappheit und bauen auf Alternativlösungen zum Targeting mittels Drittanbieterdaten. Topvermarkter teilen mit ADZINE ihre Ansätze für die Zukunft.
Mit dem Wegfall von Third-Party Cookies rückt der Datenschatz der Publisher stärker in den Vordergrund: der First-Party Cookie. Besonders für reichweitenstarke Vermarkter, die viele Publisher-Inventare vereinen, bietet sich eine Datenstrategie an, die möglichst die eigenen First-Party Cookies in den Vordergrund stellen. Bei der Ad Alliance sammelt sich das Display-Inventar von Gruner + Jahr, Spiegel Online und seit Kurzem auch Media Impact. Hier wurde erst in 2019 in eine gemeinsame Data-Management-Lösung investiert.
Daniel Gerold, Director Digital Adtechnologie bei G+J EMS, erklärt für die Display-Vermarktung der Ad Alliance: „Unsere eigenen First-Party-Daten sind aufgrund der quantitativen wie auch qualitativen Reichweite des Ad-Alliance-Inventars ein wertvolles Gut. Wir haben daher, unter anderem mit der Integration der neuen Ad Alliance DMP von 1plusx, den strategischen Weg in Richtung vermehrte First-Party-Daten-Nutzung eingeschlagen. Das bezieht sich sowohl auf das Targeting als auch auf Marktforschung, Beratung und Analyse.“
Eigene Datentechnologien nehmen zu
Ziel sei es, mit eigens entwickelten Technologien unabhängiger von Dritten zu agieren. Das bedeutet jedoch nicht nur Arbeit im eigenen Haus, auch Kunden wollen auf etwaige Veränderungen vorbereitet sein. „Entsprechend führen wir Gespräche mit Agenturen und Werbekunden, sensibilisieren sie für den Wandel, der unsere Branche zwar noch nicht in seinem vollen Ausmaß erreicht hat – aber er kommt. Bereits heute haben wir einen hohen Anteil an First-Party-Daten, die in die Vermarktung beziehungsweise den Targeting-Mix der Vermarktung einfließt, damit hält sich die Verwendung von First-Party- und Third-Party-Daten schon jetzt im Display-Bereich die Waage“, erklärt Gerold.
Im Bereich Video setzt die Ad Alliance ebenfalls auf eine First-Party-Datenstrategie. Wie Jörg Kiel, Abteilungsleiter Data Business bei IP Deutschland, berichtet, arbeite man schon seit Jahren massiv an der Erweiterung interner Datenkompetenzen, um weitestgehend autark zu agieren. Kern der Strategie sind First-Party-Daten, ergänzt durch Smart-TV-Daten. „Die aktuelle Entwicklung der Third-Party-Cookies gibt uns in unserer Langzeitstrategie First-Party recht und bestätigt, dass es in Zukunft noch wichtiger sein wird Data-Tech zu kontrollieren und Inhouse zu entwickeln“, sagt Jörg Kiel. „Nur so können wir als Big Player auf alle Anforderungen des Marktes in möglichst kurzer Zeit reagieren.“
Doch auch mit Blick auf Video ist man noch zu großen Teil auf Third-Party-Daten angewiesen. Lediglich ein „gewisser Anteil“ der Produkte beinhaltet First-Party-Daten.
Vertrauen auf Login-Lösungen in Zukunft
Bei Sevenone Media sei der Einsatz von First-Party-Daten bereits heute ein wichtiger Bestandteil des Targeting-Angebots, meint Thomas Wagner, Vorsitzender der Geschäftsführung. Er sieht jedoch Login-Lösungen als Targeting-Lösungen der Zukunft: „Die Login-IDs werden langfristig an die Stelle der Cookies vorrücken. Mit NetID sind wir an einem der größten deutschen ID-Anbieter beteiligt und sehen uns daher gut aufgestellt. Aktuell stehen wir vor einer Transformationsphase, in der die Publisher viele verschiedene Alternativen einsetzen werden. Im zweiten Schritt werden wir hoffentlich zu einer gemeinsamen, tragfähigen Marktlösung kommen.“
Auch Paul Mudter, Geschäftsleiter IP Deutschland, sieht neben First-Party-Daten und weiteren eigenen Quellen die NetID als wichtigen Baustein für das ID-Management des Crossmedia-Vermarkters Ad Alliance: "Geschlossene ID-Claims wie die NetID werden eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus glauben wir fest daran, dass die NetID mittelfristig weiter an Bedeutung zunehmen wird.“
Bevor sich das Login-Modell erfolgreich durchsetzen kann, müssten nach Mudter noch einige Hürden genommen werden: „Es gibt viele unterschiedliche Player, mit unterschiedlichen Motivationen, Zielen, Anforderungen und Interessen – hier auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, ist eine Herausforderung.“
Für andere ID-Lösungen sieht der IP-Geschäftsführer dagegen wenig Erfolg in der Zukunft. Das liegt vor allem an der restriktiven Politik der Browser-Anbieter. „Firefox beispielsweise führt so harte Restriktionen ein, dass durch das Blockieren von Cookies und Diensten Branchenlösungen wie die 'IAB DigiTrust ID' ad absurdum geführt werden. Das ist alles andere als Fair Play im Markt“, meint Mudter. Über kurz oder lang würde die NetID auch für weitere Anbieter attraktiver werden, ist er sich sicher, da der Login-Identifier auf eine Basis mit höherer Qualität und mehr Stabilität als Cookies zurückgreifen kann: „Wir sind davon überzeugt, dass das auch alle relevanten Marktplayer über kurz oder lang erkennen und die NetID so mehr Fahrt aufnehmen wird.“
Umfeld-Targeting wird wieder wichtiger
Doch bis die NetID als Targeting-Alternative aktiv wird, kann noch einige Zeit vergehen. Zuerst muss die Lösung einen möglichst großen Anteil der deutschen Online-Bevölkerung abdecken. Bisher hält sich die NetID Foundation jedoch mit der Vermeldung von Mitgliederzahlen bedeckt. Martin Lütgenau, Geschäftsführer von Burda Forward Advertising, meint: „Für uns als Publisher ist es von Bedeutung, dass wir Anlässe für User schaffen müssen, damit sich diese bei uns Registrieren und immer wieder einloggen. Darauf liegt aktuell unser Schwerpunkt.“
Bis es soweit ist, setzen viele Publisher auf alternative Targeting-Lösungen, die weder Cookie noch Login benötigen. Das umfeld- beziehungsweise kontextbasierte Targeting durchlebt ein Revival und mithilfe von entsprechenden Logarithmen lassen sich einzelne Webseiteninhalte blitzschnell nach Targeting-Kriterien kategorisieren. Einige Tech-Anbieter geben aufgrund der besuchten Webseite sogar Vorhersagen über weitere Interessen und das potenzielle Klickverhalten des Nutzers ab.
Martin Lütgenau berichtet, dass der Traffic ohne „Personenbezug“ schon heute signifikant sei, von vielen Werbetreibenden jedoch überhaupt nicht genutzt würde. Er rechnet damit, dass „je größer dieser Anteil wird, desto intensiver werden Werbetreibende und Publisher andere Lösungen entwickeln und nutzen.“Bei Burda Forward entwickele man deshalb First-Party-Datenprodukte gerade für den Traffic ohne Cookies bzw. mit kurzer Cookie-Laufzeit (dem sogenannten „young cookie“), die auf Content und Kontext beruhen.
„Die Ergebnisse sind recht vielversprechend“, freut sich Lütgenau. „In den nächsten Monaten werden wir vor allem daran arbeiten, unsere Publisher-spezifischen Daten programmatisch anzubieten. Dazu muss die Bereitschaft der Werbetreibenden entwickelt werden, auf diese Daten aktiv zu bieten beziehungsweise sie zu buchen. Wir sprechen dazu aktuell mit allen beteiligten Parteien in der Wertschöpfungskette wie DSPs, SSPs, Trading Desks et cetera.“
Es bleibt noch Zeit
Es bleibt abzuwarten, welche Lösungen sich in einer Mediawelt ohne Third-Party Cookie etablieren und durchsetzen. Publisher und Vermarkter sind allerdings schon jetzt darum bemüht, Lösungen zu finden. Ihnen bleibt dafür noch eine „Galgenfrist“. Schließlich will Google seine Third-Party-Alternative, die Privacy Sandbox, erst in zwei Jahren auf den Markt bringen und ist bei der Umsetzung auf die aktive Teilnahme des Marktes angewiesen. Und auch um die ePrivacy-Verordnung, die zumindest in der Theorie aus politischer Sicht das Ende des Cookies bedeuten könnte, ist es mittlerweile ruhig geworden. Dass sich das Datengeschäft nach der DSGVO verändert hat, steht außer Frage und auch das Ende der Third-Party Cookies werden wohl die wenigsten komplett ausschließen. Allerdings bleibt bis dahin noch etwas Zeit –für besseres Targeting und Lösungen, die auf andere Daten setzen als die von Drittanbietern.
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