Im Fahrwasser der Datenschutzgrundverordnung, von Apples und Mozillas restriktivem Umgang mit Third-Party Cookies und aktuell auch noch Googles Entscheidung Richtung “Privacy Sandbox” steht die Werbewelt vor schwierigen Herausforderungen. Insbesondere die datenbasierte Ansprache der Zielgruppe im Programmatic Advertising scheint einen Rückschlag verzeichnen zu müssen. ADZINE hat in der Agenturlandschaft nachgefragt, ob diese Regulationen von Advertisern ein neues Level von Kreativität im Targeting erfordern.
Sascha Dolling, Managing Partner Data Driven Marketing der OMD Hamburg, fasst die Entwicklungen im datenbasierten Werbemarkt zusammen: “Die von einigen Mitspielern im Markt teilweise exzessive Nutzung auch sensibler, personenbezogener Daten hat dafür gesorgt, dass sich die Digitalwerbung zunehmend einer Fundamentalkritik ausgesetzt sieht. Die Folge: Nutzer sperrten durch Adblocker Werbung aus, die Politik begann den regulatorischen Rahmen erheblich zu verschärfen, die Browser unterdrücken zunehmend Werbetechnologie und selbst die mobilen Devices sind seit iOS 13 und dem neuen Umgang mit Geodaten nicht mehr das gelobte Werbeland.”
Diese Einflüsse seien so gravierend, dass Werbetreibende längst digitale Investitionen zurückhalten und wieder das Interesse für analoge Mediakanäle entdecken würden – teils aus Sorge vor Rechtsunsicherheit, teils weil es digitalen Kampagnen längst nicht mehr gelänge, mit etablierten Targeting-Strategien ausreichend Nutzer zu erreichen.
Targeting war schon immer eine Kreativdisziplin
Die Einschränkungen des Dateneinsatzes in der digitalen Werbung führen also dazu, dass aufseiten der Werbetreibenden und Agenturen neue strategische Herangehensweisen zur Erreichung der Zielgruppen entstehen müssen. Der Handlungsspielraum der Planer erscheint allerdings sehr begrenzt, da sie auf den ersten Blick auf die Innovationen der Tech-Anbieter angewiesen sind. Doch Manfred Klaus, Geschäftsführer, Partner und Sprecher der Plan.Net Gruppe, relativiert diese Einschätzung: “Targeting und die zugrundeliegenden Technologien sind zunächst ‘nur’ Instrumente der Media- und Content-Steuerung. Erst der kreative Einsatz der gegebenen Möglichkeiten durch die Menschen, die diese Instrumente bedienen, liefert eine relevante Wirkung für Kunden. Manchmal gelingt dies auch, indem die Möglichkeiten der Tech-Anbieter durch den Einsatz eigener Lösungen erweitert werden.” Es komme demnach darauf an, was man daraus macht. Hohes Potenzial sieht der Plan.Net-Chef in der intelligenten Kombination oder Fusion verschiedener Datenquellen, die vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten bei der Zielgruppenansprache ermöglichen. Auch der Einsatz nicht-nutzerbezogener Daten wie Themenumfelder oder differenzierte Nutzungsmotive auf Basis der Services des Werbeträgers seien für die programmatische Content-Aussteuerung nutzbar. “Ein Beispiel dafür ist unser Ansatz für das psychographische Targeting, der sowohl mit Profil- als auch mit Content-Daten funktioniert”, erklärt Klaus.
Ebenfalls wenig beeindruckt von der allgemeinen “Untergangsstimmung” im Marketing zeigt sich Digital-Out-of-Home-Experte Kinetic. “Außenwerbung kann man nicht wegschalten und auch Adblocker gibt es im DOOH-Bereich nicht. Werbung wird als selbstverständlicher Bestandteil des öffentlichen Raumes wahrgenommen. Im DOOH-Bereich werden nutzerbezogene Daten – wie beispielsweise Intent und Behaviour – nicht personengebunden zum Einsatz gebracht, sondern auf Zielgruppen-Segmente beziehungsweise Gruppengrößen bezogen. Die Aussteuerung und kreative Anpassung einer Kampagne findet nur dann statt, wenn die festgelegten Parameter und ein vordefinierter Index erfüllt sind. So kann DOOH optimal auf Aspekte wie die Zielgruppe, Events, Tageszeit, Wetter oder weitere kundespezifischen Daten einzahlen, ohne auf einzelne Personen einzugehen”, erläutert Britta Klosterberg, Director Digital & Innovation bei Kinetic. “Generell sollte das Targeting immer kreativ gestaltet und in Kombination mit den aktuellen Innovationen eingesetzt werden, um Zielgruppen bestmöglich zu erreichen. Und das ist nach wie vor möglich.”
Trotzdem sind smarte Daten gefragt
OMD-Experte Dolling ergänzt: “Geboten ist heute schlicht ein differenzierterer und verantwortungsvollerer Umgang mit dem Thema ‘Daten’. So gibt es eine breite Spanne in der Datensensibilität bei den im Markt verfügbaren Targetings. Und häufig sind es gar nicht die sensiblen Datenkategorien, die den größten Gewinn in der Werbeeffizienz bringen. Sei es, weil diese aufgrund der zunehmenden Einschränkungen in der Verwendung immer geringere Zielgruppenpotenziale erreichen, oder weil Nutzer zunehmend ablehnend auf zu aggressiv personalisierte Werbung reagieren. Die Lösung für ein besseres Data Driven Advertising ist die Verwendung von weniger sensiblen Daten, die nicht aufgrund ihres Personenbezugs, sondern aufgrund ihrer Marketingrelevanz einen echten Mehrwert für die Kampagnenaussteuerung bringen. Konsumentenverständnis statt Konsumentenverfolgung.”
Diese “smarten Daten” verbessern kundenindividuell die Steuerungslösung von Kampagnen und benötigen oftmals keinen Personenbezug mehr, meint Dolling. Zudem hätten sie einen “Kollateralnutzen”: “Daten, die ohne Personenbezug operationalisiert werden können, lassen sich in einer einheitlichen, konsistenten Datenstrategie auch für Mediakanäle umsetzen, die ohnehin haushalts- oder standortbezogen ausgesteuert werden. So umgesetzt beispielsweise im Audio oder Out-of-Home – mit bemerkenswertem Erfolg, was die messbare Wirksamkeit von digitalem Marketing betrifft.”
Der deutsche Werbemarkt gegen Google und Facebook?
Dennoch gehen Werbebudgets verstärkt zu den US-amerikanischen Playern Google und Facebook. Hohe Reichweite, eine breite und konsistente Datenbasis im Walled Garden mit dem entsprechenden Opt-in sind laut Manfred Klaus die stärken dieser Plattformriesen. Die Gesamtreichweite der großen deutschen Anbieter sei durchaus mit den genannten Playern vergleichbar. Doch an der übergreifenden Nutzbarkeit der Daten, die aufgrund der eingangs genannten Dynamiken weiter abnehmen werden, fehle es. Eine Lösung sieht der Plan.Net-Sprecher dennoch: “Log-In Allianzen und darauf basierende Produkte können ein relevanter Lösungsansatz sein, wenn sie nun schnell genug und marktgerecht, das heißt auch als Publisher-übergreifende Werbeformen, angeboten werden. In Verbindung mit Assets wie, vor allem redaktioneller, Umfeldqualität sowie einem Fokus auf hochwertigen und impact-starken Werbeformen bestehen hier relevante Ansatzpunkte zur Differenzierung zum Wettbewerb.”
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