Programmatic Advertising lebt von Daten. Über Jahre hinweg haben Unternehmen neue Werbetechnologien entwickelt, um die vorhandenen Daten nutzbar zu machen und ihr volles Potenzial für Targeting und Personalisierung auszuschöpfen. Während es jedoch für Walled-Garden-Plattformen immer einfacher wurde, gezielt zu werben, schwächelte der stark fragmentierte unabhängige Markt mangels Standards für die vielfältigen Adtech-Lösungen. Mit dem Schwinden der Third-Party Cookies wird die offene digitale Werbebranche vor neue Targeting-Herausforderungen gestellt. ADZINE hat deshalb die Frage aufgeworfen, wie Audience-Produkte der Zukunft aussehen können – und Branchenexperten haben geantwortet.
Für Werbetreibende hängt der Erfolg von einer personalisierten und hochrelevanten Ansprache ab. Durch die internationale Politik und restriktivere Browser-Einstellungen gehen jedoch die dafür benötigten Datenpunkte immer mehr verloren. Browser blockieren das Setzen von Third-Party Cookies und die DSGVO verlangt die Einwilligung zur Datennutzung zwecks Werbeausspielung.
In dieser Zeit bieten Walled Gardens mit ihren aggregierten Login-Nutzerdaten eine attraktive Möglichkeit, um Audience-Daten für sich zu nutzen. Sie versprechen personalisierte Werbung auf die bequeme Tour – ohne einen eigenen Datenschatz aufzubauen.
Marketing-Berater Gerhard Märtterer meint: „Hinter den Mauern ihrer Walled Gardens züchten die Internet-Giganten ihre ureigensten Datenfelder. Bequem gedealte Daten – das ist der Stoff, der die Wachstumsträume moderner Marketingleute beflügelt. Aber immer nur für den Moment. Denn solche Instant-Daten kann und darf man nicht weiterpflegen für die nächste Kampagne. Man muss den Daten-Stoff immer und immer wieder aufs Neue erwerben – zum tagesaktuellen Höchstpreis.“
Einigung für Universal ID-Lösung
Als Ersatz für Third-Party Cookies sehen Viele die verbesserte Anwendung von First-Party Cookies. Konkret setzen Advertiser derzeit auf Universal IDs, die Nutzer seiten- und anbieterübergreifend via Cookie identifizieren. Dabei nutzten alle Beteiligten den First-Party Cookie des Publishers als Grundlage. Damit orientiert sich dieses Modell am stärksten an der Nutzung von Third-Party Cookies.
Bisher konkurrieren unterschiedliche Lösungen auf dem Markt – Digitrust, The Trade Desk und das Advertising ID Consortium stellen die größten IDs. Carol Starr, MD Northern Europe beim Adtech-Anbieter Rubicon Project, erwartet, dass sich in diesem Jahr eine ID durchsetzen wird: „Wir prognostizieren, dass sich die Branche endlich auf standardisierte Identity-Lösungen einigen und deren Annahme sprunghaft steigen wird – Tausende von Verlagen, Dutzende Ad Exchanges und DSPs werden einen universellen, gemeinsamen Identitätsansatz verfolgen.”
Die Erosion des Third-Party Cookies wird das wohl nicht stoppen. Starr geht allerdings davon aus, dass das der „erste, extrem wichtige Schritt hin zu einem kollaborativen und auf den Schutz der Privatsphäre ausgerichteten Ansatz von digitaler Werbung sein wird – ein Ansatz, der als Grundlage für die Zukunft unserer Branche dient.”
Vermarkter sehen sich nach neuen Möglichkeiten um
Gerade unabhängige Vermarkter sehen sich einem steigenden Wettbewerbsdruck durch die Walled Gardens ausgesetzt. Diese Publisher stehen vor der Herausforderung, sich als glaubwürdige Alternative zu positionieren. Gleichzeitig werden „die Spielregeln – und die Technologien – zunehmend von den Giganten der Branche kontrolliert“, erklärt Mike Klinkhammer, Director Advertising Sales EU bei Ebay.
Klinkhammer warnt davor, das Vertrauen allein in First-Party-Daten zu setzen: „Obwohl viele Werbetreibende die Verwendung von First-Party-Daten von Vermarktern bereits als Lösung für das Cookie-Problem betrachten, besteht die Aufgabe zusätzlich darin, das unvorhersehbare menschliche Handeln voraussehbar zu machen.“ Im Zeitalter des allgegenwärtigen Online-Shoppings und Echtzeit-Targetings sei es sehr schwierig, Verbraucher zum richtigen Zeitpunkt zu erreichen – trotz umfassender First-Party-Daten und Verbraucher-Insights.
Bei Ebay arbeite man deshalb stark an Targeting-Funktionen, die keine Cookies benötigen. Klinkhammer sieht Kontext-Targeting, obwohl eine der traditionellsten Methoden, als eine der vielversprechendsten Lösungen: „Mithilfe von Kontextdaten und programmatischen Technologien können Werbetreibende Werbung in Echtzeit schalten, die beispielsweise auf die Suche nach bestimmten Keywords reagiert. Dies bietet sowohl Skalierbarkeit als auch Granularität.“
Aktuell entwickelt Ebay Advertising neue Targeting-Funktionen, die auf dem Suchalgorithmus von Ebay basieren. Durch die Kombination von kontextuellen Signalen aus der Suche in Echtzeit und dem vergangenen Einkaufsverhalten der jeweiligen Verbraucher, sollen Marken Kampagnen mit größerer Genauigkeit und Wirkung buchen können.
Targeting kann auch die Nutzermeinung einbeziehen
Philipp Dommers, Geschäftsführer des Technologie-Unternehmens Welect, findet die Frage „Wie kann ich im digitalen Raum ein datenbasiertes Targeting aufrechterhalten, Cookies nicht mehr funktionieren?“ zu kurz gegriffen. Für ihn gehört auch der Konsument in die Marketing-Überlegungen miteinbezogen: „Wenn wir über Consent sprechen, müssen wir auch über unsere Kunden sprechen.“
Es gebe im digitalen Raum durchaus einen Rückkanal und somit Optionen, den Empfänger der werblichen Botschaft mit einzubeziehen und live zu befragen, welche Werbung er sehen will. „So basiert das Targeting nicht auf (re)konstruierten Daten über das vermeintliche Interesse des Nutzers. Es IST das tatsächliche Interesse des Nutzers, das in dem Moment live zurückgespielt wird“, erklärt Dommers.
Er proklamiert: „Wer glaubt denn heute noch, dass Menschen – aufgrund von leichtfertig genutztem Targeting und Retargeting – fünfmal dieselbe Werbung sehen wollen? Nicht umsonst gibt es bei Twitter und Facebook die Variante 'Warum sehe ich diese Werbung?' Die Frage sollte eher lauten: 'Warum kann ich diese Werbung nicht für immer und ewig blocken?'“
Der Ansatz von Dommers, der so von Welect verfolgt wird, ist heute schon Teil der verfügbaren Targeting-Lösungen – genauso wie kontextuelles Targeting, das durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ergänzt wird. Bisher fehlt der Branche noch die richtige Antwort auf die Frage, wie Werbetreibende mit dem Wegfall von Third-Party Cookies ihre Zielgruppen individuell und in Echtzeit erreichen können. Google entwickelt seine “Privacy Sandbox”, ist jedoch noch weit davon entfernt, eine marktreife Lösung anzubieten und zusätzlich nach eigener Aussage auf die Hilfe und Mitarbeit des Marktes angewiesen. Gleichzeitig konnte sich noch keine ID-Lösung am Markt durchsetzen. Die Hoffnung, dass das noch in diesem Jahr passiert, besteht jedoch.
Letztlich wird es ohnehin wahrscheinlich keinen direkten Ersatz für Third-Party Cookies geben, sondern einen Verbund aus mehreren Einzellösungen, die sich der Werbetreibende in seinem Tech Stack selbst zusammenstellt.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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