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PROGRAMMATIC

"Transparenz im Mediahandel hört spätestens nach der Agentur auf"

Anton Priebe, 20. Januar 2020
Bild: Aleks Dahlberg – Unsplash

Im Programmatic Advertising hört man laufend die Forderung nach mehr Transparenz. Das ist jedoch zunächst ein schwammiger Begriff und jeder Marktteilnehmer scheint seine eigene Definition davon zu haben, die jeweils auf unterschiedliche Aspekte des Ökosystems abzielt. ADZINE hat auf der Seite der Werbetreibenden und Agenturen nachgefragt, was die Forderung nach “mehr Transparenz” im Klartext bedeuten soll und an welcher Stelle wie gegen Intransparenz vorgegangen werden kann.

Maike Abel, Head of Media Communication & Content bei Nestlé, hat eine klare Vorstellung und möchte “von jedem eingesetzten Werbe-Euro sehen, was davon an den Nutzer ausgespielt und was administrativ verwendet wird, beispielsweise für SSPs”. Transparenz bedeute aber auch, dass eingesetzte Technologien und Algorithmen nachvollzogen und eingesehen werden können. ”Wichtig ist dabei immer, dass uns Programmatic bei voller Transparenz einen Effizienzgewinn gegenüber der klassischen IO-Buchung bringt.”

David Marc Aurel Koenen, Vodafone

Genauer beschreibt dies David Marc Aurel Koenen, Senior Media Manager Digital bei Vodafone: “Transparenz bedeutet freie Verfügbarkeit relevanter Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. In erster Linie meint dies eine lückenlose Dokumentation jeglicher Impression – inklusive Umfeld, Domain, Sichtbarkeit und Auktionsdaten.” Auch ihm geht es um die administrativen Kosten: “Darüber hinaus interessiert uns auch die Verteilung der Werbebudgets auf die Intermediäre. Wenn ich unsere Publisher anrufe und frage, wie viel Umsatz sie mit uns gemacht haben, möchte ich verstehen, an welchen Stellen welcher Teil der Differenz zu unserem Spend geblieben ist”, so der Mediaverantwortliche beim Telekommunikationsriesen.

Auf Agenturseite stößt der Wunsch der Marken auf Verständnis, schließlich sind die Agenturen oftmals diejenigen, die ihren Kunden Rechenschaft über ihre Maßnahmen ablegen müssen – und belegen, welche Marktteilnehmer des undurchsichtigen Systems Programmatic bei den entsprechenden Kampagnen in welcher Form involviert waren. Dirk Nögel, Director Digital Products & Innovation bei Crossmedia, unterscheidet zwischen zwei grundsätzlichen Aspekten: “Um sich im uferlosen Thema Transparenz nicht zu verlieren, sollte man klar priorisieren. Dazu gilt es zwischen Finanz- und Leistungstransparenz zu differenzieren: Finanztransparenz erlaubt es, Einblick in tatsächliche Erlösströme zu gewinnen. Ein Faktor, der immer dann wichtig ist, wenn ein Partner beratend tätig ist.” So dürfe kein Zweifel aufkommen, dass sich Empfehlungen ausschließlich an den Zielen des Kunden ausrichten und Unternehmen nicht über Umwege in die eigene Tasche wirtschaften. “Die meisten Unternehmen verstehen sich allerdings als eigene Wirtschaftsstufe. Sie agieren im Programmatic Advertising entsprechend als Händler, so dass nicht das gleiche Transparenzlevel erwartet werden kann. Daher sollte der Fokus hier auf Leistungstransparenz, Verifizierung und gesamtheitlicher Einordnung liegen. Bei eingeschränkter Transparenz von außen hilft nur der neutrale Vergleich messbarer Kennzahlen.”

Kosten- und Datentransparenz auf der To-do-Liste der Tech-Dienstleister

An welchen konkreten Stellen des Systems muss sich also etwas ändern? Für Advertiser Koenen ist die Priorität eindeutig: “Insbesondere bei der Kostenverteilung fehlt es aktuell an Transparenz. Wenn man sich die Wertschöpfungskette aus Sicht eines Werbetreibenden ansieht, hört die Transparenz spätestens hinter der ausführenden Agentur auf.” Es werde ein Budget zur Verfügung gestellt, wobei im Vorfeld verhandelte Gebühren für Dienstleistung und Bereitstellung der Infrastruktur abgezogen werden. Über weitere Gebühren und Abschläge, die an DSP, Exchange bzw. SSP und Publisher gehen, gebe es keine Einsicht. “Der Werbetreibende hat so keine Möglichkeit die Wertschöpfungskette zu seinen Gunsten zu optimieren”, beklagt sich Vodafones Media Manager.

Bild: Neslé Presse Maike Abel, Nestlé

Maike Abel teilt die Einschätzung ihres Branchenkollegen: “Besonders die Technologien und Algorithmen sind für uns oftmals noch eine Black Box. Es wird oft nicht ersichtlich, wer von den Marktteilnehmern auf welche Form der Monetarisierung, beispielsweise auf Frist-Price-Auktionen, umgestellt hat.” Ein weiterer entscheidender Punkt, an dem nachgebessert werden sollte, sei der Umgang mit personenbezogenen Daten. “Für Nestlé und viele andere Unternehmen ist es insbesondere wichtig, die Daten unserer Konsumenten zu schützen. Daher ist es unablässig, die Herkunft der programmatisch verwendeten Daten mit dem dazugehörigen Consent-Prozess zu kennen. Aber gerade auf diesem Feld gibt es im Markt noch einige To-dos.”

Inhousing aufseiten der Werbetreibenden als Konsequenz?

Dirk Nögel, Crossmedia

Während Katja Reis, Managing Director bei Publicis Media, vor allem einen breiten Dialog als Lösungsansatz sieht, damit die Werbetreibenden ihre Anforderungen “über die gesamte strategische wie operative Kette klar formulieren”, nennt Nögel Druck auf GAFA sowie Inhousing als Hilfsmittel, um mehr Transparenz zu schaffen: “Für den Gesamtmarkt bleibt es entscheidend, inwiefern es gelingt, ausreichend Transparenzdruck auf dominierende Player wie Google und Facebook auszuüben. Doch darauf kann ein einzelner Werbungtreibender nicht warten. Der Aufbau von Inhouse-Kompetenzen und/oder die Wahl einer beratungsneutralen Agentur sind sicherlich ein guter Anfang. Auch wenn weiterhin kaum Einblick hinter die Kulissen der marktdominierenden Algorithmen aus dem Silicon Valley möglich sein wird, kann jeder für sich so zumindest den Nahbereich deutlich aufhellen, um von dort aus weitere Schritte einzuleiten.”

Inhousing von Know-how oder gar von Technologie ist ein Punkt, mit dem sich derzeit viele Werbetreibenden auseinandersetzen, jedoch die Marken vor erneute Herausforderungen stellt. Sowohl aufseiten von Vodafone als auch bei Nestlé betreiben die Verantwortlichen Programmatic bereits Inhouse – zumindest in Teilen. Koenen erklärt: “Inhousing ist der erste logische Schritt fehlende Transparenz abzubauen. Zum einen wird eine komplette Ebene, die zur Intransparenz beiträgt, eliminiert, zum anderen eröffnen sich Möglichkeiten zur Vorwärtsintegration in die Wertschöpfungskette.” Abel ergänzt: “Wir bei Nestlé haben uns im Bereich Programmatic Media bewusst für eine Hybridlösung entschieden, um das Beste aus zwei Welten zu nutzen. Strategie und technologische Entscheidungen werden von unseren Mitarbeitern getroffen. Umsetzung und Inspiration liegen bei der Agentur. So stellen wir Kontinuität und Transparenz sicher und bekommen gleichzeitig von außen wichtige Impulse.”

Komplette Transparenz in der Wertschöpfungskette als Idealvorstellung

Bild: Publicis Presse Katja Reis, Publicis Media

Eine der Kernfragen beim Thema Transparenz bleibt jedoch, ob in einem derart fragmentierten Markt überhaupt vollständige Klarheit geschaffen werden kann und ob das eigentlich im Interesse jeglicher Player ist. Publicis Media-Chefin Katja Reis glaubt an diese Vision: “Möglich ist sie meiner Meinung nach mit einer entsprechenden Expertise durchaus, nur ist sie aktuell nicht an jeder Stelle gegeben. Grundvoraussetzung bleibt die entsprechende Offenheit aller Beteiligten.”

Dirk Nögel sieht die Sache hingegen recht nüchtern: “Vollständige Transparenz über alle Aspekte des Marktes gibt es in keinem Wirtschaftsbereich und wird auch im digitalen Marketing ein Idealziel bleiben. Einfordern sollte man sie jedoch dort, wo sie sich besonders auszahlt – wie beim Thema Beratungsneutralität von Agenturen und Beratern. Genau hier dient Transparenz als Vertrauensbasis dafür, dass sich Empfehlungen an der Zielsetzung orientieren und nicht durch finanzielle Eigeninteressen korrumpiert sind.” Eine Alternative zur Beratungsneutralität wäre der Schritt von Vodafone, komplett auf Agenturen zu verzichten – was allerdings nur bedingt zur Transparenz in der gesamten Wertschöpfungskette beitragen kann.

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