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Neue Werbeformate im Streaming scheinen die Nutzerperspektive zu vergessen

Anton Priebe, 10. Januar 2020
Bild: Sandra Dubosq; CC0 - unsplash.com

Zwei Entwicklungen lassen uns derzeit aufhorchen: Vermarkter übertragen die von Youtube bekannten “Bumper Ads” ins digitale Fernsehen. Die Sechssekünder sollen beim Senderwechsel im linearen Programmumfeld zwischengeschaltet werden. Von der anderen Seite des Erdballs erreicht uns die Nachricht, dass große TV-Stationen “Pause Ads” anbieten. Dies meint Clips, die dann aktiv werden, wenn ein Konsument sein Programm pausiert. Bei beiden Werbeformaten scheinen die Verantwortlichen das Thema User Experience aus einem anderen Blickwinkel zu sehen – ein Kommentar.

Die Möglichkeiten für Werbetreibende, welche die fortschreitende Digitalisierung des Fernsehkonsums mit sich bringt, sind vielversprechend. Die traditionelle Ansprache der breiten Masse in TV-Werbeblöcken wird zunehmend personalisiert. Doch nicht nur das Targeting im TV befindet sich derzeit im Umbruch, die Entwicklung bringt auch innovative Formate mit sich.

Bumper Ads fürs “Zapping”

Im Fahrwasser dieser Innovation wurden in Deutschland vor kurzem die Einführung von Bumper Ads verkündet. Dies meint sechssekündige Unterbrechungen, die beim Wechsel von einem zum nächsten Sender platziert werden sollen. “Die Zeit für die Werbebotschaft ist kurz und knackig – ideal für pointierte Videos, die auf einfach gestalteten Creative-Elementen basieren, damit sie schnell verstanden wird”, hieß es in der Meldung. Das Format ist nicht unbedingt neu, denn es wurde an anderer Stelle im linearen Fernsehumfeld bereits getestet und für gut befunden. Schließlich hat Vorreiter Youtube die Sechssekünder salonfähig gemacht.

Die Werbewelt freut sich – Media im Bewegtbildumfeld ist schließlich gefragt. Und die Konsumenten? Dass die Verbraucher nicht in Jubelschreie ausbrechen, wenn es um das Thema Werbung geht, ist klar. Doch wagen wir ein kurzes Gedankenexperiment und stellen uns die Nutzungssituation beim klassischen Fernsehen im Gegensatz zu Video-on-Demand oder Youtube vor. In welchen Fällen wechselt ein Nutzer hier von einem zum nächsten Kanal? Einige beispielhafte Szenarien:

Erstes Szenario: Im derzeitigen Programm kommt Werbung. Der Konsument versucht der Werbung zu entgehen und zu erkunden, was andere Sender zu bieten haben. Er bekommt: Werbung zwischendurch.
Zweites Szenario: Der Nutzer hat vorher keinen Blick auf das Programm geworfen und “zappt”. Das Ergebnis bleibt dasselbe. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Schöpfer des Formats auch an das Frequency Capping gedacht haben.
Drittes Szenario: Der Nutzer wechselt den Sender, weil die Inhalte nicht überzeugen und rutscht in Szenario zwei.

Ist das vergleichbar mit der Nutzungssituation auf Youtube? Sechs Sekunden hat sich in der Praxis zwar als Schmerzgrenze erwiesen, die Nutzer tolerieren, bevor sie Content umsonst konsumieren können. Doch die Konsummuster von Youtube lassen sich schlichtweg nicht ins TV übertragen – ebenso wenig wie die Werbeformate. Was in der einen Situation erträglich ist, kann in der anderen schnell nervig werden.

Man könnte an dieser Stelle dagegenhalten, dass gerade dies die perfekte Platzierung ist, da der Nutzer eh schon sein Programm unterbricht. Besser als die Alternative, in der er fremdbestimmt aus dem Content gerissen wird – der Senderwechsel ist schließlich nutzerinitiiert. An der Debatte scheiden sich offenbar die Geister.

Pause Ads für...wen eigentlich?

Nehmen wir die zweite Meldung, diesmal aus den USA, genauer unter die Lupe. Die Pause Ads erscheinen dreißig Sekunden, nachdem ein Konsument auf Stopp gedrückt hat. Bisher waren vorwiegend statische Anzeigen zu sehen, doch jetzt kommen bewegte Bilder ins Spiel.

Springen wir wieder in die Nutzerperspektive. Wann pausiert ein Konsument das Programm?

  • Szenario eins, zuhause: Der Nutzer unterbricht, weil ihn ein Impuls von außerhalb dazu zwingt. Sei es das klingelnde Telefon oder der Besuch an der Haustür. Vielleicht begibt er sich auch in die Küche, um etwas zu essen zu holen, oder ins Kinderzimmer, weil das Baby aufgewacht ist. Die Werbung läuft entweder, wenn sich der Konsument nicht im Raum befindet, oder sich gerade etwas auf anderes konzentriert.
  • Szenario zwei, im mobilen Umfeld: Der Konsument pausiert, um etwa das Fortbewegungsmittel zu wechseln oder an der Kasse zu bezahlen. In beiden Fällen schaut er mit Sicherheit nicht auf sein Smartphone. Die Werbung läuft komplett ins Leere.

Auch hier gibt es eine Gegenposition: Was ist mit dem dritten Szenario, in dem mehrere Positionen vor dem Fernseher sitzen und nur einer den Raum verlässt? Das ist wahrscheinlich auch das Verkaufsargument der Vermarkter. Während einer der Zuschauer unterwegs ist, können sich die anderen Werbung angucken – ob sich Werbetreibende auf einen solch potentiellen Kontakt einlassen, bleibt fragwürdig.

Streaming bietet Raum für Advertiser-Experimente

In einer Zeit, in der die Werbung zunehmend versucht, sich nativer in die entsprechenden Umfelder zu integrieren und an die Nutzungssituationen der Konsumenten anzupassen, wirken die beiden vorgestellten Werbeformate fehl am Platze. Im Netz sind Bewegungen wie die Coalition for Better Ads, Adblocker-Raten, die Rufe nach Standards etc. deutliche Zeichen dafür, welche Werbung User bevorzugen und welche nicht. Die Frage ist, ob der Fokus bei der Werbung im Streaming-Umfeld nicht stärker auf der User Experience liegen sollte als auf möglichen, neuen Platzierungen?

Sowohl Bumper als auch Pause Ads sind immerhin Versuche, die TV-Werbeformate, welche sich im Laufe ihres über 70-jährigen Bestehens nicht großartig verändert haben, weiterzuentwickeln. Diese Experimente sind ein gutes Zeichen dafür, dass mit althergebrachten Formaten gebrochen wird. Dennoch bleibt abzuwarten, ob sich Bumper und Pause Ads durchsetzen und wie sie in der Praxis angenommen werden.

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