Vom Unternehmensberater zum Fotografen – Ein Spagat zwischen zwei Berufswelten
René Weber, 20. Dezember 2019Raimar von Wienskowski hat Mitte der Neunziger seine eigene Unternehmensberatung gegründet und konzentriert sich seit dem Jahrtausendwechsel auf Online-Player, die von außerhalb in den deutschsprachigen Markt einsteigen wollen. Nebenbei beschäftigte er sich ausgiebig mit Fotografie und hat mittlerweile sein Hobby zum Beruf gemacht. In der Online-Werbebranche ist Wienskowski dafür inzwischen wohlbekannt, nicht wenige aus diesem Sektor standen bereits vor seiner Kamera. Im Interview erklärt der Vater zweier Töchter, wie er die beiden Tätigkeiten unter einen Hut bringt, welche Rolle die Digitalisierung bei seinem Selbststudium gespielt hat und wie er sich die Zukunft vorstellt.
ADZINE: Hallo Raimar, du bist nicht nur Fotograf, sondern auch oder vor allem Consultant für Firmen der Digitalbranche aus dem Ausland, die im deutschen Markt starten wollen. Wie kommt man zu so einer Kombination? Das hört sich so an, als hätte da jemand nach einigen Arbeitsjahren als Berater sein Hobby zum Beruf gemacht.
Raimar von Wienskowski: Seit 1999 begleite ich als selbständiger Business Development Berater ausländische Unternehmen beim Markteintritt in DACH. Vor ewigen Zeiten habe ich ja mal Jura studiert und dann verschiedene kaufmännische Erfahrungen gesammelt. Fröhlich vor mich hin geknipst habe ich schon lange, wie die meisten von uns, und teils hatte ich für diese Bilder schon positives Feedback bekommen. Es war erkennbar, dass ich das richtige Auge habe.
Vor knapp zehn Jahren habe ich dann damit begonnen, quasi einer inneren Stimme folgend, mich wirklich sehr intensiv mit Fotografie zu beschäftigen. Seit acht Jahren habe ich in Hamburg mein eigenes Studio, in dem ich unglaublich viel Zeit damit verbracht habe, mir als klassischer Autodidakt und mithilfe von fototv.de die Technik zu erarbeiten. Heute bin ich sattelfest mit allen Lichtquellen und in jedem Umfeld. Das fotografische Auge ist mittlerweile noch mehr geschärft.
Ich lebe mit meiner 15-jährigen Tochter allein zusammen, das lässt mich organisatorisch noch etwas eingeschränkt sein, weswegen ich in den kommenden drei Jahren nach wie vor den Spagat zwischen den zwei Berufswelten mache werde. Ab dann werde ich meinen Fokus ganz auf die Fotografie legen und auch gänzlich davon leben können.
ADZINE: Inwiefern hilft dir deine Beratervergangenheit bei der Fotografie und umgekehrt? Gibt es zwischen beiden Tätigkeiten Synergien, die du nutzen kannst?
von Wienskowski: Die Beratertätigkeit und das dadurch über Jahrzehnte aufgebaute Netzwerk hilft mir sehr bei der Akquise von Business-Portrait-Shootings. Die Tätigkeit als Fotograf hilft mir in der Beratertätigkeit, da es ein wunderbares Thema für den Smalltalk und ein perfekter Ice-Breaker ist.
ADZINE: “Heute kann sich einfach jeder, der 200 Euro investiert und sich kurz mit der Materie beschäftigt, DJ schimpfen“, so schilderte Techno-DJ Mark Pecnik kürzlich den Wandel seines Jobs durch den Einsatz moderner Technologien. Auch vor der Fotografie macht die Digitalisierung nicht halt, allerdings macht teures Equipment noch keinen zum Profi. Verdrängt die Digitalisierung langsam aber sicher klassische Berufe wie den eines Fotografen?
von Wienskowski: Allgemein gesagt, wird die Fotografie mehr zur KI-gestützten Bildproduktion hingehen. Davon ist der Bereich Portrait-Fotografie aber noch sehr lange ausgenommen, denn das Portrait lebt davon, dass ein menschliches Auge auf die Ausstrahlung seines Gegenübers reagiert. Diesen Nuancenreichtum kann KI bis auf weiteres nicht ersetzen und das Interesse der Menschen an einem eigenen Abbild wird auch langfristig Bestand haben – das hat etwas mit der Angst vor der eigenen Vergänglichkeit zu tun und dem Wunsch, an einem Moment festhalten zu können. Fotografen wie ich werden also bis auf weiteres noch gebraucht.
ADZINE: Wie hat die fortschreitende Digitalisierung deine Arbeit konkret verändert? Was machst du heute anders als noch zu Beginn? Spürst du einen “Hauch von New Work” in deinem Arbeitsalltag?
von Wienskowski: Ich habe ja erst mit der Fotografie angefangen, als die Digitalisierung bereits weit vorangeschritten war, somit gab es da keine Veränderung für mich. Aber ich habe natürlich all die Vorzüge der Digitalisierung in dem Bereich zu schätzen gewusst. Aus meiner „Knipser-Zeit“, die in die analoge Fotografie zurückreicht, weiß ich natürlich noch, wie mühsam es war, dass man nicht gleich sehen konnte, was man da eigentlich fotografiert hat. Außerdem war man auf ein Labor angewiesen, wenn man die Fotos nicht selbst entwickeln konnte.
Bei mir hat die Information über die Fototechnik mit Videos auf fototv.de digital stattgefunden. Das Betrachten unzähliger Fotos von anderen Fotografen zu Übungszwecken ging und geht übers Internet nicht nur bequem, sondern einen solch breiten Zugang hätte man analog gar nicht. Die Post Production läuft bei mir über Lightroom, also auch da gilt der Digitalisierung Dank. Im Endprodukt sollte man aber trotzdem häufiger einen Ausdruck machen, da ein Bild auf Papier nochmals ganz anders rüberkommt, als auf dem Screen.
Wenn das Grundverständnis von New Work ist, dass man sich selbst im Berufsleben nicht nur einseitig verwirklicht, sondern seinen verschiedenen Interessen und Talenten folgt, dann bin ich wohl ein Paradebeispiel für New Work. Das hat dann aber überhaupt nichts mit Work-Life-Balance zu tun, sondern mit Work-Around-The-Clock, die aber eben dem eigenen Leben gerecht wird, weil man sich das Recht rausnimmt, sich selbst zu verwirklichen.
ADZINE: Was macht für dich ein gutes Bild aus? Was sind für dich die Grundzutaten für ein gelungenes Shooting?
von Wienskowski: Das variiert natürlich nach dem Genre. Für den Bereich Portrait sollte die Lichtsetzung durchdacht sein, wie auch die Kleidung. Wenn man den Eindruck gewinnt, dass das Bild die Authentizität der darauf befindlichen Person vermittelt, ist es ein gutes Bild. Es geht nicht um schön oder hässlich, es geht allein um Ehrlichkeit. Weswegen diese gänzlich glattgebürsteten “Portraits” für mich eben auch keine solchen sind, sondern schlechte Bilder. Grundsätzlich gilt, je mehr in die Bildbearbeitungstrickkiste gegriffen wird, desto schlechter ist das Bild. Ein gutes Foto hat das nicht nötig. Ausnahmen sind hier natürlich der künstlerische Bereich oder bestimmte Markenauftritte.
Ein Portrait-Shooting lebt davon, das beide Seiten bereit sind, sich aufeinander einzulassen. Der Fotograf muss eine grundsätzliche Neugierde auf Menschen haben und ihnen möglichst vorurteilsfrei gegenübertreten. Er muss motivieren und führen können. Ferner hat der Fotograf sein Handwerk zu beherrschen, damit beide Seiten nicht von der Technik abgelenkt sind.
ADZINE: Du hast nicht nur eine, sondern zwei Töchter. Nehmen wir mal an eine deiner Töchter würde gerne in deine Fußstapfen treten und Fotografin werden. Was würdest du ihr raten?
von Wienskowski: Meine ältere Tochter studiert Deutsche Literatur an der Humboldt in Berlin, meine Jüngere will Wirtschaftspsychologie studieren. Aber ich würde jedem jungen Menschen, der Ambitionen in diese Richtung hat, raten, sich mit ganzer Energie und der Bereitschaft zu harter Arbeit für eine begrenzte Zeit auf dieses Abenteuer einzulassen und dann eine kritische Zwischenbilanz zu ziehen. Die wirtschaftlich goldenen Zeiten in der Fotografie sind allgemein gesprochen vorbei und werden auch nicht wiederkommen. Einige Fotografen werden sich allerdings immer durchsetzen und ihren Markt finden.
ADZINE: Wagen wir zum Ende einen Blick in die Zukunft: Wie stellst du dir Fotografie in 20 bis 30 Jahren vor?
von Wienskowski: Persönlich werde ich in 20 bis 30 Jahren genau das machen, was ich jetzt bereits tue: ausdrucksstarke Fotos von Menschen, die sich auf mich und meine Kamera einlassen.
ADZINE: Danke für das Interview, Raimar!