Evolution des Retargetings: Vom bekannten Produkt zur personalisierten Werbung
Anton Priebe, 5. Dezember 2019Retargeting bedeutete in den Anfangszeiten, dass ein User von einem Produkt quer durchs Netz verfolgt wurde, nachdem er es sich vorher bei einem Online-Shop angesehen hatte. Heute ist es weitaus komplexer, die Algorithmen arbeiten intelligenter und die Werbung wird zunehmend persönlicher. Geblieben ist die Prämisse, dass der beworbene Nutzer bekannt ist – allerdings bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er auf der Website des werbenden Shops gewesen sein muss.
Beim Retargeting wird ein User bei seinem Website-Besuch markiert, üblicherweise durch einen Cookie, um ihm später auf Basis seines Surfverhaltens personalisierte Werbung auszuspielen. Das Prinzip ist aus der “Das könnte Sie auch interessieren”-Logik von Shops entstanden, mit der Idee, diese Produkte im Nachhinein in Bannerform außerhalb der jeweiligen Händler-Umgebung anzuzeigen.
Zu Anfang beinhaltete die Retargeting-Anzeige Produkte aus drei Kategorien:
- die konkret betrachteten Waren aus dem Sortiment des Shops
- vom Empfehlungsalgorithmus ausgesuchte Produkte, die Personen mit ähnlichen Interessen gekauft haben
- einen Querschnitt aus Top-Sellern
Damit bewegten sich Advertiser beim Retargeting ausschließlich im unteren Teil des Funnels, also stark performancegetrieben. Nach dem Websitebesuch bekam der User in der Regel zehn Tage in Folge Produkte vorgestellt, die in das genannte Schema passten.
Heute kann Retargeting viel mehr, wie Georg Sobczak, Deutschland-Chef von Criteo, erklärt: “Wir reden eigentlich nicht mehr von Retargeting, sondern eher von Remarketing. Dabei handelt es sich im Grunde um eine Ansprache von Zielgruppen, von Personen, die du kennst. Die können auch vor einem Monat oder vor einem Jahr etwas bei dir gekauft haben.”
Kein Widerspruch – Neukundenansprache mit Retargeting
Sobczaks Unternehmen wurde 2005 gegründet und zählt zu den Flaggschiffen im Retargeting. Mittlerweile muss der User noch nicht einmal etwas bei dem spezifischen Shop gekauft haben, um andernorts gezielt von ihm angesprochen zu werden, erläutert der Geschäftsführer. Es reicht, wenn der Nutzer mit der Bannerwerbung der Tech-Plattform in Kontakt gekommen ist oder auf der Seite einer ihrer Kunden Interesse an einem Produkt gezeigt hat: “Wenn sich beispielsweise eine Person einen Sneaker anschaut, können wir bei unseren Kunden prüfen, wer Sneaker in seinem Sortiment hat. Wir zeigen dann gebrandete Empfehlungen auf Partnerseiten an, obwohl sich diese Person nie auf der entsprechenden Seite des Online-Händlers befunden hat. Retargeting nennt sich das dann, weil wir die Person aus unserem eigenen Netzwerk kennen. Für den Shop ist es jedoch ein Neukunde.”
Diese Art der Werbung funktioniert, weil Criteo aktuelle Interessen sämtlicher bekannten User in einem gemeinsamen Pool sammelt. Die Nutzer werden dann anhand von Cookies in Kombination mit verschlüsselten E-Mail-Adressen von den Partner-Shops wiedererkannt. Auf der Ebene der mobilen Geräte zieht Criteo alternativ die Advertising-ID hinzu. Damit das ganze System funktioniert, muss sich jedoch ein User mindestens einmal irgendwo in einem Shop eines Kunden angemeldet haben. Die Kampagnen laufen im Wissen aller teilnehmenden Händler und das direkte Abwerben von speziellen Kunden eines Shops ist dabei nicht möglich – so sollen alle aus dem gemeinsamen Datenpool profitieren.
Retargeting arbeitet sich also langsam den gesamten Funnel hoch. Momentan bewegt sich Criteo selbst oft in der Mitte, also in der Consideration-Phase, meint Sobczak. Es muss demnach nicht immer der Warenkorbabbrecher sein – das Prinzip der erneuten Ansprache eignet sich ebenso für Prospecting, um Aufmerksamkeit für Marken zu schaffen.
Personalisierung als Schlüssel
Ein wesentlicher Vorteil bei der erneuten Ansprache ist die Möglichkeit der Personalisierung der Werbemittel. Die Kundenansprache ist komplett durchoptimiert, verrät Sobczak, und die Grundlage dafür liefert Dynamic Creative Optimization (DCO). So werden etwa verschiedene Call-to-Action-Texte auf Buttons, unterschiedliche Hintergründe des Ads oder auch Produktbeschreibungen vom Werbetreibenden hinterlegt, um flexibel auf die Bedürfnisse des Users zu reagieren, die wiederum aus dem Browsing-Verhalten abgeleitet werden. Eine Anzeige kann dann zum Beispiel je nach Kontext entweder blinkend mit Testimonial werben oder statisch Rabatte anpreisen.
Sobczak überlässt die Personalisierung gerne “der Maschine”. Ein Werbetreibender sollte dafür so viele Daten wie möglich liefern und den Machine-Learning-Algorithmus lernen lassen. Welche Daten genau hier besondere Vorteile bringen, kann nicht pauschalisiert werden, da es sich zu stark von Produkt und Branche unterscheidet. Generell gilt aber die Regel: je mehr desto besser.
Ein Beispiel, um dies zu verdeutlichen: Auf dem Papier sieht ein Kunde, der zehnmal im Jahr bei einem Shop kauft, wie ein attraktives Ziel aus. Wenn ein Shop sein CRM-System mit in die Bewertung des Users einfließen lässt, könnte sich jedoch herausstellen, dass der Kunde neun von zehnmal im Jahr retourniert. So verwandelt sich vielversprechendes schnell in verschwendetes Werbebudget.
Deep Learning im Retargeting
Einen anderen Ansatz verfolgt an dieser Stelle Criteos Wettbewerber RTB House. Tomasz Hada, Geschäftsführer DACH, verrät, dass nur die richtigen Daten Sinn ergeben, ansonsten würden sich möglicherweise irreführende Muster bilden: “Wenn man die falschen oder irrelevante Daten verwendet, beeinflusst es die Erfolgsquote des Retargetings negativ. Wenn beispielsweise jemand einen Flug auf Desktop sucht, ergibt es kaum Sinn auf Mobile dafür zu werben, weil lediglich eine kleine Anzahl an Personen den Kauf auf dem mobilen Gerät abschließen wird.”
RTB House nutzt zur Personalisierung nur die Verhaltensdaten aus einem spezifischen Shop. Dafür vertraut das polnische Unternehmen, das 2012 gegründet wurde, auf eine Architektur, die auf Deep Learning basiert. Hada ist davon überzeugt, dass Deep Learning die Zukunft des Retargetings ist, schließlich setzen Google (u.a. für DeepMind) und Facebook (u.a. für das Deep Learning Recommendation Model) auch in anderen Bereichen wie Personalisierung darauf. “Es gibt keine Technologie, die das Verhalten und die Bedürfnisse eines Users anhand von sequentiellen Daten besser vorhersagt,” so der Geschäftsführer.
Deep Learning ist ein Teil des Machine Learnings, der nicht auf vordefinierten Regeln basiert und vom strukturellen Aufbau her an das menschliche Gehirn angelehnt ist. So können extrem abstrakte Muster in großen Datenmengen aufgedeckt werden. Im E-Commerce wären das etwa die unterbewussten Intentionen eines potentiellen Käufers, erläutert Hada. Deep Learning kommt unter anderem beim autonomen Fahren zum Einsatz. Inwiefern es für die Online-Werbung sinnvoll ist, bleibt trotz des Unternehmenserfolgs von RTB House strittig.
Die technologische Intelligenz macht das Rennen
Wie auch immer der technologische Ansatz lautet: “Es geht im Endeffekt darum, möglichst hohe Reichweite mit maximaler Conversion-Rate für Advertiser zu schaffen – und das bei minimalen Kosten”, fasst Tomasz Hada zusammen. Darin stimmt auch Wettbewerber Georg Sobczak überein: “Man konnte auch schon vor zehn Jahren einen User erneut ansprechen. Heute kommt es darauf an, wer die besseren Algorithmen hat, um passgenauer auf den User bieten zu können. Das ist die Kunst. Schaffst du es mit deinem Gebot dann zu gewinnen, wenn du einen Banner anzeigen kannst, der Engagement mit dem User erzeugt?” Und die Datengrundlage ist der Treibstoff der Algorithmen.
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