Tod eines prämierten Blogs – Vom Daimler-Blog zum Corporate-Magazin
René Weber, 7. November 2019Das Daimler-Blog wurde zum 1. November überraschenderweise eingestellt. In den Augen der Kenner ist es ein Aushängeschild fürs Corporate-Blogging, dessen Verantwortliche anfangs auch von PR-Seite aus mit Preisen belohnt wurden. Im Tagebuchstil erzählten dort seit der Trennung von Chrysler 2007 Mitarbeiter des Konzerns Geschichten aus ihrem Alltag. Über 2.000 Posts von mehr als 1.200 Autoren aus dem Konzern-Umfeld bauten eine beachtliche Reichweite von zeitweise 350.000 Seitenaufrufen auf. Mit dem Übergang der Daimler AG in eine Holding wird das erfolgreiche Projekt nun beerdigt. Es soll allerdings einen Nachfolger geben. Und der steht bereits online.
Aus der Asche des Blogs soll ein Phönix auferstehen, der sich als “Daimler-Magazin” auf der Hauptseite des Konzerns präsentiert und eine neue Content-Strategie verfolgt (siehe Artikel im Upload Magazin). Keine Chronologie mehr, der Tagebuch-Charakter fällt weg, professionelle Autoren am Werk und die Themenfelder begrenzen sich auf die Automobilindustrie. ADZINE hat mit dem Schöpfer des Daimler-Blogs, Uwe Knaus, und der “Industrie-Schreibmaschine” an seiner Seite, Sven Sattler, über die Transformation des Blogs gesprochen. Beide übernehmen im neuen Magazin wichtige Rollen, damit es von der zwölfjährigen Reise des Blogs profitieren kann.
ADZINE: Hallo Uwe, hallo Sven, seit Freitag ist der Daimler-Blog Geschichte. Würdet ihr Unternehmen im Jahr 2019 trotzdem noch raten, einen Corporate Blog zu starten? Was sind eurer Meinung nach die Erfolgsfaktoren für einen Blog?
Uwe: Definitiv ja! Gut gemachte Blogs sind keine Modeerscheinung und somit auch heute noch eine sinnvolle Ergänzung der Öffentlichkeitsarbeit. Es kommt immer auf die Zielsetzung an und ob diese mit dem Format „Tagebuch“ unterstützt werden kann. Nichts Anderes ist nämlich ein Blog – die Kurzform von Weblog.
Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren von Corporate Blogs ist meines Erachtens der persönliche Tagebuchstil, im Idealfall inklusive persönlicher Eindrücke, Gefühle und Gedanken. Das funktioniert eigentlich immer bei sogenannten „Karriere-Blogs“, bei denen Mitarbeiter Außenstehenden einen authentischen Einblick in das eigene Unternehmen geben. Auch Technik-Blogs oder Blogs zu einem speziellen Thema können gut funktionieren. Hier kommt es auf das glaubwürdige Erklären von Zusammenhängen und Funktionsweisen an. Die Kommentarfunktion komplettiert dann den Austausch auf Augenhöhe.
ADZINE: Was hat denn das Daimler-Blog für dich zu einer Erfolgsstory gemacht?
Uwe: Dass wir es über den langen Zeitraum von zwölf Jahren geschafft haben, Außenstehenden einen authentischen Einblick in unser Unternehmen zu geben. Dafür an dieser Stelle nochmal ein ganz herzliches Dankeschön an unsere 1.250 Autoren. Sie waren diejenigen, die unserem Konzern ein Gesicht gegeben und das Daimler-Blog mit ihren Geschichten so lebendig und vielfältig gemacht haben.
ADZINE: Die Inhalte eines Magazins müssen gefunden werden. Wie stark treibt euch SEO um? Baut ihr gezielt Keywords in die Posts?
Sven: Es gibt sicherlich Leute, die sind überzeugt, dass Keyword-Bingo die reine Lehre ist, wenn man im Web relevant sein möchte. Ich bin da anderer Meinung: Relevant sind wir vor allem, wenn wir ein Produkt abliefern, das handwerklich gut gemacht ist und eine Geschichte erzählt, die ich in dieser Form eben nicht auf jeder x-beliebigen Unternehmenswebsite finde. Natürlich achten wir auf Suchmaschinenoptimierung, aber wir wollen keine Texte, die sich so anhören als hätte sie ein Algorithmus ausgespuckt. Hinter unseren Texten steht ein klar erkennbarer Autor – und nicht ein anonymer Absender oder irgendeine Agentur.
Uwe: SEO ist ein integraler Bestandteil, um heutzutage im Informationsdschungel zu seinen relevanten Zielgruppen durchzudringen. Wir schauen hier zum einen genau auf die Plattform und zum anderen auf die Optimierung des Inhalts, beispielsweise durch Vergabe von Fokus-Schlüsselwörtern, Meta Description oder Title Tags. Wie Sven es schon gesagt hat: Texte nur nach reinen SEO-Gesichtspunkten zu verfassen, ist weiterhin nicht unser Ding.
ADZINE: Nutzt ihr gelegentlich auch Paid-Maßnahmen für die Distribution der Inhalte oder setzt ihr rein auf organisches Wachstum?
Uwe: In erster Linie vertrauen wir auf organisches Wachstum durch die Qualität unserer Texte, allen voran die der Longreads. Außerdem wird es jenseits der Titelgeschichten auch kürzere, frechere Formate geben, von denen wir uns erhoffen, dass sie neugierig auf unser Magazin machen – und die Leser auf die Plattform bringen. Dazu zählen vor allem LinkedIn, aber auch Twitter oder Instagram Stories. Aber ganz schließen wir Paid-Maßnahmen, zumindest in der Startphase, nicht aus.
ADZINE: Was sind die zentralen KPIs von euch? Welche Optimierungen nehmt ihr mit Blick auf diese Daten vor?
Uwe: In erster Linie sind für uns zentrale Werte wie Page Impressions, Unique Visitors oder Verweildauer wichtig.
Mit dem neuen Daimler-Magazin wollen wir vor allem Menschen erreichen, die sich professionell mit Daimler beschäftigen. Darunter fallen gesellschaftlich Interessierte wie beispielsweise Verbände, Politiker, Journalisten, aber auch wirtschaftlich Interessierte wie Analysten, Aktionäre oder Investoren. Nicht zu vergessen die Gruppe der persönlich Interessierten, zu der wir Bewerber, Mitarbeiter und deren Umfeld zählen.
Deshalb legen wir darüber hinaus einen starken Fokus auf qualitative Kennzahlen wie beispielsweise Scrolltiefe im Verhältnis zur Verweildauer. Die Kommentarfrequenz wird weiterhin eine wichtige Kennzahl sein, genauso wie die Nennungen des Daimler-Magazins in Publikationen oder Benchmarks.
Wir denken zudem darüber nach, wie wir messen können, inwiefern unsere Themen an anderer Stelle einen Diskurs ausgelöst haben.
Sven: Da wir erst Anfang November mit dem neuen Medium starten, haben wir einfach noch keine konkrete Vorstellung davon, wie gut wir unsere Leser erreichen und wie gut unser Konzept ankommen wird. Aber natürlich werden wir uns im ersten Jahr des Magazins die Kennzahlen genau anschauen und dann entscheiden, ob unser Konzept so funktioniert und wo und ob wir etwas verändern wollen.
ADZINE: Kann man ein Magazin eines Automobilherstellers heutzutage überhaupt noch inhaltlich losgelöst von den ganzen Krisen und Herausforderungen wie Diesel, Elektroantrieb & Co. bespielen? Soll heißen: Dringen andere Themen überhaupt noch durch an die Leser?
Sven: Wir wollen Themen ansprechen, die strategisch oder gesellschaftlich relevant sind. Dazu gehören natürlich auch die Herausforderungen, vor denen die Automobilindustrie steht – zum Beispiel die Transformation vom Verbrennungsmotor hin zum Elektroantrieb. Gerade weil diese Themen so komplex sind und weil uns bisher der Platz fehlte, um sie auch in ihrer Komplexität zu erzählen, betreten wir mit dem Magazin Neuland. Ich bin überzeugt: Das Magazin kommt genau zur richtigen Zeit.
ADZINE: Du bist ein Verfechter eines gut besetzten Inhouse-Teams, um ein Magazin in der gebührenden Tiefe bereitstellen zu können. Für punktuelle Unterstützung nutzt natürlich auch ihr Autoren von außen. Wie wird das beim neuen Magazin geregelt sein?
Sven: Ich habe es vorhin schon angedeutet: Wir verabschieden uns mit dem Magazin zwar von der Leitidee des Blogs, wo jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter ein potenzieller Autor sein könnte. Wir verabschieden uns aber nicht von der Idee, dass wir authentische Einblicke geben wollen – und wir sind überzeugt, dass das nur gut funktioniert, wenn die Autoren auch tatsächlich einen Innenblick haben. Darum schreiben im Magazin vorrangig Kolleginnen und Kollegen, die im Kommunikationsbereich von Daimler arbeiten. Auf diese Weise wollen wir beide Ansprüche erfüllen: Sprachlich hochwertige Texte abliefern und dabei die Authentizität nicht verlieren.
ADZINE: Dann viel Glück für den Start und danke für das Interview!
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