Geballte Female Leadership bei Unilever
René Weber, 8. November 2019Unilever ist als eines der größten FMCG-Unternehmen gleichzeitig einer der stärksten Werbetreibenden weltweit, dessen Stimme Gewicht in der Branche hat. In vielen Fällen nehmen die eingeschlagenen Pfade durchaus eine Vorbildfunktion ein, sei es beim Boykott einzelner Plattformen oder bei der Diskussion über andere aktuelle Streitthemen. Dies beschränkt sich jedoch nicht nur auf Werbung, auch die Konzernstrukturen und -prozesse stehen des Öfteren im Rampenlicht. Marketing- und Digitalexpertin Anja Kischkat spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn sie verantwortet als Digital Transformation Director DACH im Hamburger Hauptsitz die Überführung des FMCG-Riesen in die digitale Welt. Im Interview spricht sie mit ADZINE über die Herausforderungen in ihrem Job, die modernen Arbeitsmodelle in ihrem Konzern und vor allem über das Thema Female Leadership.
ADZINE: Auf diversen Events rund um Female Leadership wird oft über Angela Nelissen und Christiane Haasis berichtet: Beide haben bei Unilever als Vice Presidents nicht nur eine steile Karriere hingelegt. Das Besondere im Falle von Nelissen und Haasis ist auch, dass sie sich den Job als VP Refreshment DACH bei Unilever teilen (Stichwort Job Sharing). Abgesehen von diesem gerne referenzierten „Leuchtturm-Exempel“, bei der Karriere und ein flexibles Arbeitsmodell zusammenkommen – wie weit fortgeschritten ist das Thema Female Leadership in deinem Unternehmen auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut)? Wo siehst du noch die dringendsten To-dos?
Anja Kischkat: Aufgrund dessen, dass die beiden aus meinem Unternehmen stammen, und aufgrund vieler weiterer solcher Beispiele würde ich Unilever eine 8 bis 9 geben. Ich bin der Meinung, dass Female Leadership bei Unilever großgeschrieben wird. So hat es sich Unilever zum Beispiel vor einigen Jahren zum Ziel gemacht, 50 Prozent der Managementpositionen bis 2020 mit Frauen zu besetzen. Man beachte: Wir haben bereits Ende 2018 eine Quote von 49 Prozent erreicht, mit stetigem Wachstum im Jahr 2019.
Dass so viele Führungspositionen bei Unilever von Frauen besetzt sind, liegt unter anderem daran, dass Unilever sie auf diverse Weisen – sei es durch Job Sharing oder andere flexible Arbeitsmodelle (Home Office, 80-Prozent- oder 60-Prozent-Arbeitsmodelle) – unterstützt. So können Frauen, denen es aus privaten Gründen nicht möglich ist, Vollzeit zu arbeiten, trotzdem in Führungspositionen tätig sein.
Ich kann sagen, dass Unilever sehr offen ist, was das Thema Female Leadership anbelangt, und Frauen dabei hilft, private Verpflichtungen und Karriere unter einen Hut zu bekommen. Daher würde ich nicht sagen, dass wir dringende To-dos für die Zukunft haben. Es sollte einfach so kooperativ und verständnisvoll weitergemacht werden wie bisher.
ADZINE: Erzähl mal etwas über dich: Du bist schon 19 Jahre bei Unilever und seit über drei Jahren als Digital Transformation Director DACH. Um was geht es in deinem Job? Wie bist du dahin gekommen, wo du jetzt bist? Was sind die größten Herausforderungen, die du in deiner Karriere meistern musstest?
Kischkat: In meinen Job geht es darum, Unilever digital zu transformieren. Sprich, meine Aufgabe ist es, unser Geschäftsmodell in die Neuzeit zu übersetzen. Dabei ist das Ziel, schneller, effizienter und kundenzentrierter zu sein, um so als Unternehmen noch agiler und zukunftssicherer aufzutreten. Konkret beinhaltet mein Job und der meines Teams Technologien, Prozesse, Arbeitsweisen und Organisationsstrukturen zu transformieren und neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln, die Unilever auf morgen vorbereiten.
Ich persönlich habe einen Marketing- und Vertriebshintergrund. In meinen Rollen beschäftigte ich mich viel mit den Zielgruppen unseres Unternehmens – da war Vorausdenken und Konsumenten-Zentrizität immer schon entscheidend. Früh habe ich erkannt, dass die Themen Tech und Digital für den Kunden, aber auch für ein Unternehmen relevante Komponenten sind. Ich denke über Bereiche, die einen faszinieren und für die man brennt, will man gerne mehr erfahren und sich weiterentwickeln. So war es bei mir und so bin ich auch zu meiner aktuellen Rolle gekommen, ein Marketing-getriebenes Unternehmen digital zu transformieren. Hierbei sind wichtige Voraussetzungen, um einen Kulturwandel herbeizuführen, ein ausgeprägtes Interesse an Technologien zu haben, Neugierde neue Dinge auszuprobieren und Menschen inspirieren zu können.
ADZINE: Personalberater Harald R. Fortmann hat kürzlich ein Buch namens „Female Leadership Pictured“ herausgebracht mit vielen spannenden Portraits weiblicher Führungskräfte. Ich frage mich aber: Inwiefern bringen solche hübsch gemachten „Bilderbücher“ das Thema Female Leadership wirklich weiter?
Kischkat: Das Buch ist ein Statement, welches verdeutlicht, dass wir im 21. Jahrhundert angelangt sind, in dem Frauen beruflich genauso viel erreichen können wie Männer. Ich denke, dass es als Inspiration und Motivation dienen kann und an Frauen appelliert, ihren Weg zu gehen, ohne sich zu verbiegen. Gerade der Bezug des Buches auf die digitale Branche ist interessant, da es möglicherweise auch Frauen anspricht, die zuvor dachten, dass Digital männerdominiert sei.
ADZINE: Kommen wir kurz auf das Thema Frauenquote zu sprechen: Wie stehst du zu dem auch unter Frauen sehr kontrovers diskutierten Thema? Bist du Pro-Quote oder dagegen und wie begründest du das?
Kischkat: Deutschland ist, was die Anzahl der Frauen in Führungsposition anbelangt, im internationalen Vergleich weit hinten. Hier findet sich auf kaum vier von hundert Vorstandspositionen eine Frau. Das ist leider die traurige Realität. Ich bin der Meinung, Frauen sollten die gleichen Chancen haben wie Männer und dies ist scheinbar in Deutschland nicht der Fall. Ich würde mir wünschen, dass man keine Frauenquote bräuchte, da es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nach Qualifikation und nicht nach Geschlecht beurteilt zu werden.
Ich denke aber auch, dass es mit einer Frauenquote allein nicht getan ist. Es ist genauso wichtig, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Frauen einfacher machen, private Interessen und Verpflichtungen neben der Karriere zu meistern. Das beinhaltet in meinen Augen, dass sich mehr Unternehmen flexibleren, neuen Arbeitsmodellen annähern müssen.
ADZINE: Hast du Vorbilder – ob männlich oder weiblich – an denen du dich beruflich orientierst? Wenn ja, wer?
Kischkat: Da gibt es ja viele, sehr interessante und inspirierende Frauen. Daher hier nur ein kleiner Auszug meiner Favoritinnen:
Ich finde Janina Kugel inspirierend, die bis vor Kurzem im Vorstand von Siemens war und dort das Personalwesen leitete. In meinen Augen war sie die Vorzeigefrau von Siemens. Was mich besonders an ihr fasziniert ist, dass sie authentisch wirkt und sich scheinbar nicht verbiegt. Sie ist souverän ihren Weg gegangen und hat es aufgrund ihrer Menschen zugewandten Art geschafft, die Mitarbeiter zu inspirieren und die Organisation mitzureißen, um so den 170 Jahre alten Traditionskonzern Siemens umzukrempeln. Aufgrund ihrer Tätigkeiten gibt es bei Siemens neuerdings keine Einzelbüros und Festnetztelefone mehr, dafür vermehrt flexible und agile Arbeitsmodelle.
Ebenfalls nach wie vor sehr inspirierend: Melinda Gates, ehemals GM bei Microsoft, die sich bereits seit vielen, vielen Jahren mit der weltweit größten, privaten Charity-Organisation u.a. auch für Gender Equality einsetzt. Eine großartige Frau, die nicht nur ihre berufliche Karriere, sondern auch ihren persönlichen Purpose verwirklicht.
Ich persönlich liebe darüber hinaus die Marke Dermalogica. Die Hautpflegemarke wurde vor mehr als 30 Jahren von Jane Wurwand gegründet, die damals in die USA zog und ein Hautpflegeinstitut gründete, in dem sie bereits damals schon Frauen in ihrer beruflichen Ausbildung förderte. Damals wie heute ist es ihr ein großes Anliegen, Frauen in vielen Ländern eine Ausbildung zu ermöglichen und mit ihrem Fonds Kredite für Frauen zu unterstützen, die sich selbstständig machen wollen, um sich somit eine berufliche Existenz aufzubauen. Ich finde sowohl ihren beruflichen Erfolg mit ihrer Firma als auch ihr soziales Engagement beeindruckend.
ADZINE: Wie wird die Businesswelt in zehn Jahren aussehen? Werden wir dann noch Fauxpas in der Art erleben, wie das Vorstandsfoto von Engel & Völkers zum Weltfrauentag mit einer reinen Männerriege, das einen veritablen Social-Media-Shitstorm erzeugt hat?
Kischkat: Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass sich keiner mehr über ein solches Foto aufregen müsste, weil in meinem Wunschdenken in zehn Jahren das Thema Geschlecht in Führungspositionen einfach keine große Rolle mehr spielen wird und Frauen ihren festen Platz in den Managementpositionen eingenommen haben.
ADZINE: Das ist ein schönes Schlusswort, vielen Dank Anja!