Dass sich der Bewegtbildkonsum verändert, ist mittlerweile schon seit Jahren zu beobachten. Eine Vielzahl neuer Plattformen und Dienste hat sich bei den Zuschauern etabliert und zieht sie weg vom TV. Für Werbetreibende und Agenturen heißt es, Alternativen auszumachen, die, wenn nicht als Ersatz, dann als Ergänzung zur TV-Werbung geeignet sind.
Bisher galt: Wer für seine Marke Reichweite erzeugen möchte und Nutzer emotional ansprechen will, der setzt – das entsprechende Budget vorausgesetzt – auf TV-Werbung. Die moderne Bewegtbildplanung stellt Werbetreibende vor eine stetig wachsende Anzahl an Optionen, die Bewegtbildwerbung zulassen. Längst gilt es nicht mehr, den optimalen 30-Sekünder für den Blockbuster nach 20 Uhr zu spielen, sondern Videowerbung über eine Vielzahl von Kanälen und Formaten in der fragmentierten, digitalen Welt zu orchestrieren. Das veränderte Nutzungsverhalten der Zuschauer bedeutet mittlerweile jedoch auch, diejenigen anzusprechen, die dem klassischen TV immer häufiger den Rücken zukehren. Diese Nutzer zu identifizieren ist die erste Aufgabe, der sich Werbetreibende und Agenturen stellen müssen und wird hier ausführlicher behandelt. Außerdem stellt sich die Frage, wie sich TV am besten substituieren lässt.
„Aus Nutzerperspektive sind das Angebote, die ein TV-nahes Sehverhalten des Zuschauers provozieren. Es geht um Content, der länger ist als nur ein paar Minuten, also eher Catch-up-TV aus Mediatheken oder Streamingdiensten, die zudem häufig on demand und Live Streaming – kostenfrei oder gebührenpflichtig – anbieten“, erklärt Anja Stockhausen, Managing Director bei Publicis. Youtube, trotz immenser Reichweite, sieht Stockhausen nicht als vollwertiges Substitut, sondern vielmehr als Komplementärprodukt. Auch Facebook, Instagram und Snapchat sind ihrer Meinung nach aus Konsumentensicht keine Substitute, sie räumt jedoch ein: „Bei der Berücksichtigung von TV-Substituten ist aber ganz wesentlich, was die Zielgruppe schaut und danach müssen die Marktpartner für Video ausgewählt werden. Je jünger die Zielgruppe, umso eher verlassen wir das 'TV-nahe Substitut'.“
Reichweite ist nicht alles, oder doch?
Aus Sicht der Werbetreibenden geht mit sinkender TV-Nutzung auch ein gutes Stück Reichweite in bestimmten Zielgruppen verloren. Florian Holub, Director Strategy & Analytics bei Crossmedia, sagt jedoch: „Es geht nicht darum, auf dem Papier Reichweitenverluste des linearen Fernsehens aufzufangen. Vielmehr geht es darum, was dem Kunden an spür- und messbarer Wirkung verlorengeht […].“ In einem optimalen Mediamix müsse der potentielle Beitrag der Kanäle zum langfristigen Markenaufbau berücksichtigt werden. Gleichzeitig dürfe sich die Auswahl der Kanäle nicht in der maximal effizienten Reichweite erschöpfen, sondern sollte auch qualitativen Aspekten der Markenpositionierung Rechnung tragen. So kann das kurze Vertical in der Insta-Story zur dynamischen, nahbaren Marke passen, die Teil deines Lebens sein will. Im Zweifel suggeriert es aber vielleicht nicht in gleichem Maße Größe und Verlässlichkeit wie der TV-Spot vor dem Hauptabendspielfilm. „Hier ist der Blick hinter die Excel-Datei notwendig: die Betrachtung des Zusammenspiels von Inhalten und Werbebotschaft und Markenarchitektur“, meint Holub.
Stefan Uhl, Geschäftsführer bei Carat Deutschland, berichtet Ähnliches, allerdings stünde für viele Marken immer noch die Reichweite an erster Stelle: „Individualität in der kommunikativen Ansprache und situative Motivationen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Für viele unserer Kunden ist jedoch die Maximierung der Nettoreichweite ein Kernziel. Die Nettoreichweite steht für eine der wichtigsten Metriken, um neue Konsumenten an Marken heranzuführen und die Penetration zu erhöhen." Aus diesem Grund konzentriere man sich bei Carat auf die Ansprache von TV-Nicht- oder Wenig-Sehern und habe dafür eigens Lösungen entwickelt.
Alternative zum TV hängt von Kampagnenziel ab
„Als Substitut würde ich keinen Kanal bezeichnen – die digitalen Kanäle haben alle ihre eigenen Stärken und Schwächen“, sagt Manfred Klaus, Geschäftsführender Gesellschafter von der Agentur Plan.Net. Nicht zuletzt würden Planung, Einkauf und Gestaltung von digitalen Spots fundamental anderen Logiken folgen als die klassische TV-Kampagne. Reichweite, Zielgruppenaffinität und Kosteneffizienz seien wichtige Gesichtspunkte. Zudem sei die Wirksamkeit der Formate auf den einzelnen Plattformen abhängig von den Rezeptionsumständen. Aus diesem Grund hat Plan.Net eine Medienäquivalenzstudie aufgesetzt und herausgefunden, dass zum Beispiel ein klassischer TV-Spot immer noch doppelt so viel Impact hat wie ein Video-Ad auf Facebook.
Christoph Gaschler, CEO und Founder von Videobeat Networks, differenziert die einzelnen Kanäle explizit als Substitute, die stark von der verfolgten Zielsetzung einer Kampagne abhängen: „Für die Zielsetzung qualitative Markenkontakte zu generieren, ist Youtube als reichweitenstarker Kanal ein geeigneter Ersatz für TV. Diese Plattform eignet sich besonders für langanhaltende Content-Formate. Soll der Abverkauf skaliert werden, ist sicherlich Facebook eine besser geeignete Plattform.“
Darüber hinaus gebe es aber auch Plattformen, die sich insbesondere für die Ansprache einer bestimmten Zielgruppe eignen. Gaschler zählt zum Beispiel das Game-Streaming-Portal Twitch, die Kurzvideo-Plattform TikTok oder Snapchat dazu. Letztere sprechen speziell jüngere Zielgruppen an. Aber auch Mediatheken wie TV Now oder Joyn können wirksame TV-Substitute sein, insbesondere dann, wenn es darum geht, auch die Zuschauer zu erreichen, die sich zunehmend vom linearen TV entfernen. Verfolge man das Ziel der Reichweite sieht Gaschler auch das Radio als einen wirksamen TV-Ersatz. „Zwar nimmt die Bedeutung dieses Kanals tendenziell ab, trotzdem bleibt das Audiogeschäft interessant, weil sich auch dieses Geschäftsfeld analog zum linearen TV zunehmend breiter aufstellt und sein Angebot durch neue Formate, wie beispielsweise Podcasts, ergänzt“, erklärt Gaschler.
Bisher kein Ersatzstoff für TV in Sicht
„Im Bewegtbildmarkt gibt es aus unserer Sicht derzeit keine Alternativen, die das Medium TV vollkommen ersetzen. Lineares TV ist in allen Alterszielgruppen noch das Bewegtbildmedium mit der höchsten Reichweite“, schließt Martin Richter, Director TV bei Initiative. TV steht schließlich nicht im Wettbewerb mit den anderen Kanälen. Vielmehr ergänzen sie sich gegenseitig. Richter erwartet jedoch auch eine fortschreitende Veränderung im Bewegtbildkonsum, die sich grundlegend auf das lineare Fernsehen auswirken werden: „Final lässt sich der technologische Fortschritt und die steigenden Ansprüche der Zielgruppe nicht verhindern, sodass das lineare TV höchstwahrscheinlich in den nächsten fünf Jahren in der ursprünglichen Form nicht mehr existiert.“
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