Intelligentes Targeting bei der Kombination von TV- mit Digitalwerbung
Anton Priebe, 30. Oktober 2019Das klassische TV verliert insbesondere in den jüngeren Zielgruppen an Reichweite. Der Konsum von Bewegtbild verlagert sich zunehmend in andere Dienste oder auf digitale Plattformen. Neben den offensichtlichen Alternativen wie Netflix & Co. haben sich auch Mediatheken sowie Social Media wie Youtube oder Facebook für Video etabliert. Für die Mediaplanung bedeutet dies, dass sie TV-Wenigseher oder -Komplettverweigerer dort mit ihrer Werbung erreichen muss, um einerseits die einstige Reichweite von TV aufzufüllen und andererseits die richtige Kontaktdosis sicherzustellen. Doch am Anfang steht die Frage, wie überhaupt genau die Personen identifiziert werden, die über TV-Spots nicht mehr ansprechbar sind? ADZINE hat sich in der Agenturwelt umgehört, wie die Strategien zur Zielgruppenbildung und anschließendem Targeting aussehen.
Bastian Lütz, Client Director und Managing Partner von Essence, bringt es zunächst auf den Punkt: “Es gibt bisher eigentlich keine Möglichkeit, explizite TV-Nicht-Seher zu identifizieren.” Allerdings gehe es weniger um diejenigen, die das Fernsehen komplett verweigern, denn die Gruppe sei sehr klein – weniger als ein Prozent bei den unter 14- bis 59-Jährigen. “Viel wichtiger sind die Wenig- oder Selektiv-Seher, die selbst in dieser großen Altersgruppe mit immerhin knapp 20 Prozent vertreten sind, mit höheren und schnell steigenden Anteilen in jüngeren Segmenten”, so der Agentur-Profi. In der Praxis haben sich für deren Identifikation einige Behelfslösungen und Workarounds etabliert.
Alternative Nutzungsmuster und Lookalike-Bildung
Es existieren durchaus Segmente auf dem Markt, die auf die abwandernden Zielgruppen abzielen. “Hier bietet Google beispielsweise das vordefinierte Segment ‘Light TV Viewers’, die unter anderem anhand der Nutzung von Streamingdiensten, entsprechender App-Downloads und Keywords geclustert werden. Noch weiter verfeinern lässt sich dieser Ansatz anhand von Custom Affinity Audiences”, so Lütz. Eine weitere Option abseits von Google ergebe sich aus eigenen Online-Befragungen und der anschließenden Hochrechnung zur Lookalike-Bildung. Die GfK biete entsprechende Daten an. “Und natürlich ganz pragmatisch: Diejenigen, die man abends regelmäßig als Streamer auf dem ans Internet angeschlossene TV-Gerät identifizieren kann, werden im linearen Fernsehen höchstwahrscheinlich nur noch selten anzutreffen sein”, schließt Lütz.
Auch Anja Liebig, Leiterin integrierte Mediastrategie bei Pilot, verweist auf die Nutzung von GfK-Daten in Kombination mit Datenanbietern zur Hochrechnung: “Über das GFK-Panel kann die Mediennutzungsdauer von TV gemessen werden. Die GFK unterscheidet hierbei in TV-Wenigseher (weniger als 15 Minuten Sehdauer pro Tag) und TV-Vielseher (mehr als 98 Minuten Sehdauer pro Tag). Diese Seher-Typen können im Rahmen der Panelerhebung in die digitale Welt überführt und mithilfe von Data Providern als Targeting-Segment modelliert und für Kampagnen zur Verfügung gestellt werden.”
Haushalts-Targeting als technische Variante
Ein eher technischer Ansatz resultiert aus der zunehmenden Verbreitung von Smart TVs. “TV-Nicht-Seher werden mithilfe von technologischen Partnern im Bereich Addressable TV in Zusammenarbeit mit der Agentur analysiert. Eine Identifizierung findet unter anderem auf Haushalts- bzw. Geräteebene statt, sodass wir das Sehverhalten analysieren und für eine ganzheitliche Ansprache mit der Spot-Aussteuerung nutzen können”, erklärt Martin Richter, Director TV von Initiative.
Bastian Lütz ergänzt: “Es werden derzeit gute Fortschritte dabei erzielt, verschiedene Endgeräte dem gleichen Haushalt zuzuordnen. Die schnelle Verbreitung internetfähiger Fernseher ist hier ein wichtiger Treiber. So können Nutzer, die nur selten einen TV-Werbekontakt haben, über mobile Endgeräte erneut adressiert werden, um die notwendigen Kontaktdosen aufzubauen, Geschichten weiterzuerzählen oder situationsbasierte CTAs auszuspielen, die den TV-Spot ergänzen. Noch ist die Datenbasis überschaubar, wächst aber zügig. Hier wird es in Zukunft noch viel zu sehen geben.”
Auch bei Pilot wird die IP-Ebene für die Zielgruppenbildung genutzt, zwei Vermarkter tun sich dabei scheinbar besonders hervor: “Cross-Device-Kampagnen im Universum der SevenOne Media und der Ad Alliance sind eine weitere Möglichkeit – hier wird über die IP-Adresse des Haushalts das Nutzungsverhalten aller Geräte getrackt und im Anschluss zur Ausspielung der Kampagne wieder genutzt. So kann ermittelt werden, welcher Haushalt generell wenig TV nutzt oder, kampagnenindividuell, wer noch keinen Kontakt mit der aktuellen Kampagne hat”, verrät Anja Liebig.
Ausschlussverfahren
Christoph Gaschler, CEO und Founder von Videobeat Networks, zeigt darüber hinaus einen weiteren Ansatz auf: “Es empfiehlt sich, die Fragestellung umzukehren und statt der TV-Nicht-Seher zunächst einmal die TV-Seher zu identifizieren. Auf Basis von Website Analytics können die Charakteristika von Zielgruppen erfasst werden. Vergleicht man diese Informationen zu Alter, Geschlecht, Device, etc. beispielsweise vor und während einer TV-Kampagne miteinander, können Rückschlüsse auf deren Nutzungsverhalten gezogen werden. Bei einem signifikanten Unterschied kann so die Zielgruppe identifiziert werden, die eine Marke stark über das TV wahrnimmt. Im Umkehrschluss kann aus dieser Erkenntnis aber auch abgeleitet werden, welche Zielgruppe das nicht macht und demzufolge eher online auf den digitalen Plattformen aktiv ist.”
Es fehlt (noch) an eindeutigen Identifizierungsmerkmalen
Es bleibt die Erkenntnis, dass auch Agenturen bislang keine einwandfreie, technische Möglichkeit gefunden haben, um TV-Wenig- und -Nicht-Seher eindeutig in den alternativen Medien zu erkennen und anzusprechen. Dazu müssten alle Fernseher internetfähig sein und ein übergreifendes Tracking zulassen. Trotzdem existieren mehrere Ansätze, die teilweise auch von offizieller Seite geprüft wurden und durchaus funktionieren – wenn auch mit einigen Abstrichen. “Grundsätzlich lassen sich auch TV-Nicht-Seher durch intelligentes Profiling identifizieren und gezielt ansteuern. Auch eine demografische Planung bzw. interessengeleitete Umfeldplanung kann hier einzahlen”, resümiert Manfred Klaus, Geschäftsführer der Plan.Net Gruppe.
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