Employer Branding als Augenwischerei: Unternehmen blenden im Kampf um Talente
René Weber, 6. September 2019Hübsch aussehende Stellenanzeigen versprechen das Blaue vom Himmel, auf ihren Webseiten rühmen sich die Firmen für ihre inspirierende Kultur, im Social Web kursieren Bilder von ausgelassenen Feiern – Unternehmen betreiben in Zeiten des Fachkräftemangels viel Aufwand, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Inwiefern die Firmen das nach außen transportierte Bild wirklich leben, was der Unterschied zwischen Employer Branding und Arbeitgeberkommunikation ist und was es mit dem Löschen von Kommentaren auf Bewertungsplattformen auf sich hat, darüber haben wir mit Andreas Scheuermann, Partner der Beratungsagentur Auctority, gesprochen.
ADZINE: Hallo Andreas, erklär unseren Lesern doch zu Beginn mal, was wir unter Arbeitgeberkommunikation verstehen können. Wo liegt der Unterschied zum Employer Branding?
Andreas Scheuermann: Da triffst du mich an einem wunden Punkt. Ich könnte zuerst erklären, wie Employer Branding mal gedacht war, aber das will gar niemand hören oder lesen. Der Begriff ist fast schon verbraucht, vom Essensgutschein-Anbieter bis zur Software für Zeiterfassung erklären heute alle, sie würden was für das Employer Branding tun. Praktisch kann man‘s abkürzen und sagen: Firmen machen Personalwerbung.
Bei der Arbeitgeberkommunikation muss man etwas weiter blicken. Die Gestaltung einer für alle zukunftsfähigen Arbeitswelt im Unternehmen und auch zwischen Unternehmen ist eine strategische Frage. Da hängt ein Bündel Einzelthemen dran, von Digitalisierung über Gesundheit bis zu Demografie und Diversity. Das musst du als Firma alles im Blick haben. Und als Kommunikationsmensch musst du zu allem was sagen können.
ADZINE: Unternehmen legen sich ordentlich ins Zeug heutzutage, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren: auf hübsch aussehenden Stellenanzeigen schreien sie neudeutsch ihren Purpose in die Welt – um nur ein Beispiel zu nennen: Wie oft hat das nach außen transportierte Bild deiner Erfahrung nach mit der Wirklichkeit in den Unternehmen zu tun?
Scheuermann: Meistens hat das gar nichts miteinander zu tun. Das ist genau das, was ich mit Werbung meine. Alle wollen gut dastehen und alle erzählen das Gleiche. Das kann man den Firmen auch nicht übelnehmen. Es bringt nur nichts, weil die Leute das bemerken. Wenn man nicht gerade Berufsanfänger ist, dann weiß man, wie die Arbeitswelt funktioniert und wie eine Firma tickt. Positiv betrachtet kann man sagen: Die Unternehmen wissen schon, wie sie sein sollten, und versuchen, Stück für Stück auch so zu werden, wie sie gerne wären.
Der entscheidende Punkt, glaube ich, ist, dass es dieses Außen und Innen gar nicht mehr gibt. Wenn es Innen was zu wissen gibt, dann ist das ruckzuck draußen. Umgekehrt gilt: Was draußen über die Firma gesagt wird, beeinflusst massiv das Innenleben. Darum entwickeln wir beispielsweise Themenbotschafter-Programme für HR-Abteilungen. Nichts mit Influencern, nichts mit Testimonials. Die Leute aus der Firma, die was beizutragen haben, müssen das draußen sagen, damit es drinnen ernst genommen wird.
ADZINE: Ein Bekannter hat mir letztens erzählt, dass seine Firma die Angestellten dazu aufgefordert hat, auf einschlägigen Arbeitgeber-Bewertungsplattformen positive Bewertungen abzugeben. Was hältst du von solchen Praktiken? Wie sollte man als Mitarbeiter auf eine solche Aufforderung reagieren?
Scheuermann: Das ist ein super Beispiel dafür, wie es nicht geht. Grundsätzlich halte ich diese Plattformen für überschätzt. Und wenn ich es als Firma nötig habe, meine Leute zu Jubelarien aufzufordern, dann stimmt doch was nicht. Wer ausgeprägtes Rückgrat hat, der erklärt der eigenen Firma, was schiefläuft. Wer sich den Stress nicht machen will, der postet eben was Nettes, was vielleicht ein halbes Jahr vorher schon mal jemand so ähnlich von sich gegeben hat. Aber nochmal: Wer Mitarbeiter zum Posten verdonnert, begeht organisierten Selbstbetrug.
ADZINE: Unternehmen können aus ihrer Sicht negative Bewertungen löschen lassen. Sicher kommt es nach Streitigkeiten mal zu sehr negativen Bewertungen aus dem Affekt heraus. Was aber, wenn diese Kritik wirklich stimmt, der Firma aber nicht genehm ist im Sinne ihrer Außendarstellung? Warum spielen die Plattformen da bei der Löschung mit? Unter welchen Voraussetzungen? Das untergräbt doch total die Aussagekraft dieser Plattformen.
Scheuermann: Negativ ist in der Tat nicht gleich negativ. Es kann schon Fälle geben, wo man eingreifen muss, wenn zum Beispiel irgendwo offensichtlicher Unfug oder objektiv Falsches reingeschrieben wird. Oder Beleidigungen. Man hat ja als Arbeitgeber auch eine Fürsorgepflicht. Da sind die Plattformen dann auch vernünftig. Aber das meiste, was drinsteht, sind subjektive Einschätzungen, und die muss man aushalten. Eine Plattform, die sowas löscht, sollte ihre Daseinsberechtigung hinterfragen.
ADZINE: Es gibt diverse Arbeitgeberauszeichnungen. Wie schwer oder wie leicht ist es für Firmen, eine solche Auszeichnung zu bekommen? Gibt es da Unterschiede zwischen verschiedenen Anbietern?
Scheuermann: Das kommt auf den einzelnen Fall an. Es gibt etablierte Anbieter, die seit vielen Jahren am Markt sind und im Hintergrund einen Datenbestand aufgebaut haben, der Benchmarking ermöglicht. Da muss man dann als Unternehmen die eigenen Ergebnisse dagegenstellen und seine Schlüsse ziehen. Aber es gibt natürlich auch massenweise Pseudolabels, hinter denen gar nichts steckt. Es gibt sogar Verlage, die sich auf dieses fachlich dünne Eis begeben und irgendeine Bewertungslogik erfinden. Und dann bekommst du einen Brief und sollst 8.000 Euro dafür bezahlen, ein Logo nutzen zu dürfen.
ADZINE: Extremer Stress, schlechte Stimmung im Team, Psycho-Chef: Wie können Mitarbeiter damit umgehen, wenn sie neu in einer Firma angefangen haben und schnell feststellen, dass sie die Gegebenheiten im Unternehmen ganz anders eingeschätzt haben – aber jetzt auch nicht gleich wieder kündigen wollen?
Scheuermann: Frei nach Adorno würde ich sagen: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen Job.“ Wenn es nicht passt, dann sollte man schon gehen. Und einen Psycho-Chef sollte man sich schon gleich nicht antun, das macht einen auch verrückt. Zudem sollte man sich überlegen, was einen zu den falschen Annahmen gebracht hat. War es das raffinierteste Employer Branding der Welt oder auch ein wenig eigene Naivität und Wunschdenken? Das soll ja beim nächsten Mal nicht wieder passieren. Wer sich nicht traut zu gehen, weil drei kleine Kinder zu Hause sitzen und Kredite abbezahlt werden müssen, der sollte über Yoga, Entspannungstechniken und den temporären Abschied von Ambitionen im Beruf nachdenken.
ADZINE: Wie kann aus deiner Sicht Arbeitgeberkommunikation und Employer Branding aus einem Guss aussehen? Hast du paar Beispiele parat von Firmen, die das aus deiner Sicht gut umsetzen und auch glaubwürdig (intern) leben?
Scheuermann: Es ist recht schwer, ein Unternehmen als Ganzes positiv herauszustellen. Es kommen dann nämlich sofort drei Leute um die Ecke, die genau über diese Firma ein ganz schreckliches Einzelbeispiel erzählen können, das sicher auch stimmt. Und selbst der schlimmste Laden weiß noch, wie er das Schaufenster dekorieren muss. Ich persönlich mag Firmen, wo ich im persönlichen Kontakt merke, dass die Leute generell freundlich sind und einem offen begegnen. Das ist eine Frage von Kultur, Werten und manchmal auch Tradition.
Generell gute Beispiele sind eigentlich immer diejenigen Firmen, die verschiedene Themen umfassend inhaltlich bearbeiten, draußen nach Impulsen und neuen Ansätzen suchen und sich dazu auch längerfristig in Netzwerken engagieren, beispielsweise bei der Charta der Vielfalt. Wir selbst sind für das Demografienetzwerk ddn tätig, das im kommenden Jahr zum ersten Mal den Deutschen Demografiepreis vergibt. Da wird es auch eine ganze Reihe guter Beispiele für Projekte und Maßnahmen geben.
Woran kann man sonst noch merken, ob Firmen das glaubwürdig leben? Ich setze auf selbst gewählte soziale Kontrolle. Arbeitgeberkommunikation und Employer Branding funktionieren dann am besten, wenn man einen Anspruch an sich selbst hat und dazu ein öffentliches Commitment abgibt, an das man jederzeit erinnert werden kann, falls man es im hektischen Alltag mal übersieht.
ADZINE: Wie geht man eigentlich als Berater rein bei einem komplexen Thema wie Arbeitgeberkommunikation? Ich kann mir vorstellen, dass man sehr dicke Bretter bohren muss. Oder ist der Leidensdruck der Firmen mittlerweile so hoch bei der Fachkräftesuche, dass sie Rat von außen gerne annehmen?
Scheuermann: Sinnvollerweise steckst du drin in den Themen. Ich mache seit 14 Jahren schwerpunktmäßig Sachen, die ich „Menschen-Themen“ nennen würde. Ich arbeite seit mehr als drei Jahren sogar im DIN-Ausschuss für Personalmanagement mit. Wenn man nicht versteht, welche praktischen Fragen im Personalmanagement relevant sind, dann muss man da als Berater gar nicht auftauchen. Den Leidensdruck gibt es in vielen Bereichen, der Fachkräftemangel ist da nur ein Thema, und für manche Unternehmen gar nicht das Entscheidende. Allerdings dasjenige, wo mittlerweile auch Geld für Kommunikation ausgegeben wird.
ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch!