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DIGITAL MARKETING

Von Citroën zu Zitrön und zurück – technisch nicht lösbar

Frank Puscher, 5. August 2019

Die Umstellung der Website und Social-Media-Konten bei der spektakulären Zitrön-Kampagne zeigt, dass flexible Teamarbeit bei komplexen Prozessen der Automatisierung überlegen ist. Roman Franke, Digitales Marketing und CRM, und Scott Wiltgen, Head of Marketing Communications, sind die Köpfe hinter dem Marketingstunt von Citroën und verraten konzeptionelle sowie technische Details im Interview.

Das war der Paukenschlag des 22. Juli: Citroën Deutschland gab bekannt, dass man künftig nicht mehr unter dem Traditionsnamen firmiert, sondern dass der für die Deutschen leichter auszusprechende Begriff “Zitrön” gewählt wird.

Ein Eingriff in den Markennamen? Das größtmögliche Sakrileg im Marketing war tatsächlich nur ein Scherz. Die Prozesse dahinter waren allerdings knallharte Arbeit mit einer Reihe von kritischen Unbekannten. Der Einsatz von MarTech spielte überhaupt keine Rolle und Macher Roman Franke ist sogar der Auffassung, dass MarTech das gar nicht leisten kann.

ADZINE: Herr Franke, wie kam es zur Zitrön-Kampagne?

Roman Franke: Wir wussten, dass Sichtbarkeit und Awareness für Citroen in Deutschland eine Herausforderung darstellen. Und da haben wir uns Ende 2018 die Frage gestellt, wie wir hier entgegenwirken können. Leider haben auch wir nur ein begrenztes Budget zur Verfügung und mussten daher den Media-Ansatz so effizient wie möglich gestalten. Und so sind wir auf die Idee gekommen, eine aufmerksamkeitsstarke Aktion zu starten.

ADZINE: Haben Sie das noch mit zusätzlichen Daten unterfüttert? Man könnte doch genauso vermuten, dass ein Markenname, der aneckt und nicht einfach auszusprechen ist, mehr Awareness erzeugt.

Franke: Konkrete Zahlen liegen uns nicht vor. Wir sehen das aber jeden Tag, sogar bei uns im Unternehmen. Das war einfach aus Erfahrung.

Scott Wiltgen: Tatsächlich eckt der Name oft gar nicht an, weil den meisten gar nicht bewusst ist, dass sie das falsch aussprechen.

ADZINE: Wie lange dauerte es, bis sie eine Freigabe aus Frankreich hatten?

Wiltgen: Das erste Okay haben wir nach drei Monaten bekommen. Das lag auch daran, dass wir uns hier so lange Gedanken gemacht haben, bis wir selbst zufrieden waren.

ADZINE: Als Teil der Videoproduktion haben Sie den Scherz auch mit Ihren ahnungslosen Händlern gemacht?

Franke: Ja. Auf der Händlertagung zum hundersten Jubiläum sind Scott Wiltgen, Grégory Fiorio, unser Direktor Marketing, und unser Geschäftsführer Wolfgang Schlimme zu Beginn der Tagung auf die Bühne gegangen und haben das Konzept präsentiert. Dann haben wir die Händler erstmal 15 Minuten in dem Glauben gelassen, dass wir uns wirklich umbranden. Dort sind auch die Bilder entstanden, die Sie im Video sehen. Und erst danach wurde das Ganze aufgelöst.

ADZINE: Haben Sie das Kampagnen-Video dann mit einem echten Händler gedreht?

Franke: Das war ein Schauspieler. Die Produktion des Videos haben wir zeitgleich zur Händlertagung gemacht. Die war an einem Freitag und am Samstag haben wir im Autohaus die restlichen Bilder produziert.

ADZINE: Schauen wir in die Website. Wie tief ging das „Rebranding“?

Franke: Das ist unsere echte Homepage. Wir haben keinen Zwilling gebaut und dann rübergeschoben. Und da haben wir uns fast ausschließlich auf die Startseite fokussiert. Das betraf also Texte, Bilder, Reiter und Menüpunkte. Sobald man etwas tiefer in die Website gegangen ist, also zu den Showrooms oder in den Konfigurator, da hatte sich nichts verändert. Wir waren der Meinung, dass das für den Effekt genügte. Und wenn wir weitreichendere Veränderungen gemacht hätten, wären die Konsequenzen größer geworden, denken Sie zum Beispiel an SEO.

ADZINE: Und auf der Homepage war das Thema SEO egal?

Franke: Das haben wir in Kauf genommen. Wir haben auch die Metadaten angepasst. Wir wissen allerdings für SEO und SEA, dass Google uns auch findet, wenn der User den Namen falsch schreibt. Und Zitrön ist in Deutschland eine häufige Falschschreibung.

ADZINE: Welches CMS steckt dahinter, wie viel Handarbeit war nötig?

Franke: Von beidem etwas. Das CMS ist eine Inhouse-Lösung, die uns von der Zentrale zur Verfügung gestellt wird. Teilweise werden die Inhalte lokal verwaltet, teilweise zentral. Ich muss dazu sagen: Die Umstellung der Website an sich war nicht das Schwierige. Die Herausforderung war, die ganzen Fachabteilungen und Agenturen zu koordinieren.

Wir hatten natürlich eine Leadagentur, das war die Havas Düsseldorf, die haben die ganzen Assets produziert. Diese Assets mussten verteilt werden und dann mussten wir die Maßnahmen koordinieren. Dabei war klar, dass die Website teilweise gecached wird, also eine Umstellung nicht per Knopfdruck beim User sichtbar wird. Gleiches gilt für die Social-Media-Plattformen. Eine Logo-Änderung bzw. ein Profilbild zu ändern ist schnell gemacht, sobald es aber an die Umbenennung des Kontos geht, muss das in die Freigabe bei den einzelnen Diensten gehen. Und das kann etwas länger dauern. Wir haben Facebook oder Twitter direkt kontaktiert, um einen Ansprechpartner zu haben, der Bescheid wusste und der eventuell eingreifen kann, wenn etwas nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben.

ADZINE: Ging das so ohne weiteres? Viele Marketer beklagen, dass sie nie Ansprechpartner bei den großen Plattformen bekommen.

Franke: Erstaunlicherweise hat es funktioniert, aber wir haben das auch über Monate vorbereitet. Wir haben Wochen damit verbracht, die richtigen Ansprechpartner zu finden und sie zu briefen. Wir haben versucht, alle möglichen Probleme vorher zu sehen.

Und man muss sagen: Viele Probleme hatten wir nicht. Nur bei Youtube hat es nicht funktioniert. Da haben wir es nicht geschafft, in den ersten 24 Stunden der Aktion das Konto umzubranden. Hier hat die Freigabe durch Youtube tatsächlich länger gedauert, als wir geplant haben, und so wurde der YouTube-Kanal erst am zweiten Tag umgeschaltet. Alle anderen Plattformen konnten wir relativ schnell ändern.

ADZINE: Noch einmal zurück zu den Assets: Wie werden die eingespielt, so dass man das auch schnell wieder rückgängig machen kann?

Franke: Wir haben einen Projektplan in Excel gemacht. Da stand drin, was jeder Verantwortliche zu tun hat. Und dann haben wir für jede Fachabteilung eine Art Redaktionsplan erzeugt, wo genau drin stand, was an welchem Tag passieren sollte und welche Assets dafür benötigt werden. Es gab sehr viele Assets, jede Plattform hat ein anderes Format. Das wurde alles vorproduziert und jeder Ansprechpartner hat das dann verteilt. Und wir aus der Zentrale haben dann jeden einzelnen Schritt nachvollzogen und geschaut, ob das so passiert ist, wie wir es uns gewünscht haben.

ADZINE: Wäre es für Sie aus zentraler Marketingsicht spannend, ein Steuerungsinstrument zu haben, mit dem man so etwas zentralisiert fahren könnte? Die großen Marketing-Suites könnten das eventuell.

Franke: Ich glaube, dass es schwierig ist, das zentral technisch zu lösen. Man muss sehr flexibel sein. Dass jede Plattform andere Anforderungen hat, wäre eventuell abbildbar, aber jede Fachabteilung hat andere Ansprechpartner bei den Verwaltern der Plattform. Das technisch aufzubauen, wäre sicher sehr schwierig und auch nicht zielführend. Solche Aktionen kommen ja nicht jeden Tag vor.

ADZINE: Meetings waren für Sie also wichtiger als Tools?

Franke: Das kann man so sagen. Wir hatten vor Start der Aktion fast täglich Meetings. Da waren alle Stakeholder dabei und da wurde dann jedes Detail gleichzeitig mit allen Ansprechpartnern durchgegangen. Das war enorm wichtig, denn so konnten Synergien zwischen den Agenturen entstehen. Das war ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

ADZINE: Würden Sie rückblickend so einen Lasttest für ein Team als wertvoll erachten, weil die klare Aufgabe Prioritäten gesetzt hat und für das tägliche Hickhack kein Platz war?

Franke: Unbedingt. Die Komplexität der Aufgabe und natürlich auch das Erfolgserlebnis haben sicher dazu beigetragen, dass wir künftig als Team besser funktionieren werden. Die Synergien, die da geschaffen wurden, waren wirklich außergewöhnlich. Und da hat jeder etwas mitgenommen.

ADZINE: Verändert diese Erkenntnis auch die künftige Zusammenarbeit mit den Agenturen?

Franke: Ja und Nein. Bei Standardkampagnen funktioniert der klassische Wasserfall beginnend bei der Leadagentur sehr gut. Bei größeren Projekten scheint das Vorgehen, wie wir es hier gemacht haben, effektiver. Die Webagentur hat Kreationsvorschläge gemacht, die die Kreativagentur umgesetzt hat. Diese wiederum haben zum Community-Management beigetragen. Da sind Sachen bei rausgekommen, die wir im Normalfall so nicht hätten umsetzen können, oder die uns gar nicht eingefallen wären.

Das nehmen wir auf jeden Fall für zukünftige Aktionen mit, dass wir alle Akteure und Ansprechpartner an einen Tisch bringen.

ADZINE: Und man hört durch, dass Sie mit einem strafferen Briefing in ein solches Meeting reingehen werden.

Franke: Definitiv wichtig. Vor allem bei solchen Aktionen, die auch in der Umsetzung spannend sind. Das ist ja keine Alltagsarbeit und da gibt es sehr viele Möglichkeiten, etwas zu machen. Und hier sollten wir als Auftraggeber auch immer wieder die Agenturen zurückholen und das Kernziel wieder in den Fokus rücken: Achtung Leute, wir wollen immer noch Autos verkaufen. Alles, was wir hier machen, muss diesem Zweck dienen. In diesem konkreten Fall ging es ja nicht nur um die Aufmerksamkeit sondern auch eine Verjüngung und Neupositionierung der Marke.

ADZINE: Aber sie haben doch sicher auch dauerhaft Adwords-Kampagnen laufen?

Franke: Der Zeitpunkt der Kampagne wurde so gewählt, dass wir uns mit anderen Kampagnen nicht in die Quere kommen. Wir haben darauf geachtet, dass wir keine größere Aktion parallel laufen haben. Die Ongoing-Kampagnen wie SEA haben wir nicht gestoppt, aber wir haben natürlich erlebt, dass unser Budget für Juli durch die Decke ging.

ADZINE: Das heißt in genau?

Franke: Das SEA-Budget hat sich fast verdreifacht.

ADZINE: Jetzt muss man natürlich die Frage stellen, ob sie am Montag bei der Zahlenauswertung auch mehr Leads, Konfigurationen oder gar Abverkäufe gesehen haben.

Franke: Definitiv. Eine Umwandlung in Sales dauert in der Regel länger, da müssen wir noch warten, aber die mittleren Funnel-Zahlen – Leads, Anfragen Showroom-Besuche, Konfigurationen – die haben definitiv profitiert.

ADZINE: Haben Sie zusätzlich noch Paid Media darauf gesetzt?

Franke: Eigentlich hatten wir das vor. Wir haben aber in den ersten Stunden gesehen, dass die Kampagne durch die Decke geht und uns dann auf Seeding beschränkt.

ADZINE: Hand aufs Herz: Was haben Sie übersehen?

Franke: Wir wollten das ursprünglich fünf Tage laufen lassen, haben es dann aber nach drei Tagen beendet, weil wir die erhoffte Wirkung erreicht hatten und die Sorge aufkam, dass wir das Thema überziehen. Aber das konnte man nicht vorhersehen, ebenso wie die Entwicklung beim Mediabudget. Hier geht es darum, am Ball zu sein und die Flexibilität zu haben, auch reagieren zu können.

ADZINE: Gibt es ein Follow-Up?

Franke: Die zweite Kampagnenphase läuft seit Ende Juli. Wir wollen den Menschen die Aussprache von Citroën etwas näher bringen, das Logo enthält jetzt auch Lautschrift. Wir werden im Laufe des Augusts noch viel Content erzeugen. Wir haben mit Influencern wie Nathalie Licard zusammengearbeitet – die kennt man vielleicht aus der Harald Schmidt Show. Die hat Menschen auf dem Frankreichfest in Düsseldorf gefragt, wie man französische Worte ausspricht. Ab nächster Woche wird es ein Gewinnspiel geben, wo man einen Art Sprachtest macht.

ADZINE: Herr Wiltgen, Herr Franke, vielen Dank für dieses Gespräch.