Wohl jeder hat schon Recruiting-Prozesse durchlebt, die vorsichtig ausgedrückt noch „Luft nach oben" hatten: Rückmeldungen der Firmen lassen ewig auf sich warten oder erfolgen im schlimmsten Fall überhaupt nicht. Nicht selten werden die Bewerber auch durch zig Gesprächsrunden gequält, weil die Unternehmen ein so genanntes 360-Grad-Feedback einholen wollen. Und am Ende gibt es nach erfolgreicher Einstellung auch noch die übliche Probezeit von sechs Monaten obendrauf. Schöne heile Recruiting-Welt! Wir haben mit Daniela Conrad, Executive Partner bei five14 über aktuelle Herausforderungen beim Recruiting, die Arbeit professioneller Personalberater sowie über Kunden gesprochen, die auf der Blacklist landen.
ADZINE: Hallo Daniela, zu Beginn ein fiktives Beispiel: Der mittelständische Hersteller von Dichtungsringen Eisele aus Schwäbisch Gmünd ist auf der Suche nach einem neuen Chief Digital Officer (CDO). Die Firma hat euch damit beauftragt, auf die Suche nach geeigneten Kandidaten zu gehen. Wie geht ihr die Sache an? Wie läuft der Prozess von der Beauftragung bis zur Einstellung eines neuen CDO konkret ab?
Conrad: Ein tolles Beispiel! Der Prozess beginnt im Grunde schon vor der Beauftragung. Es ist uns sehr wichtig, Kunden und Kandidaten langfristig zu begleiten, deshalb übernehmen wir nur Aufträge, die wir für realisierbar halten. Das bedeutet, dass wir schon im Pitch mit unserer Bedarfsanalyse starten. Ist der Vertrag geschlossen, beginnen wir mit dem ausführlichen Briefing und dem Kennenlernen des Teams und der Führungskräfte. Im Anschluss machen wir dann unsere Hausaufgaben: Wo steht das Unternehmen am Markt, wer sind die wichtigsten Wettbewerber? Welche Zielfirmen gibt es, in denen aktuell gute Kandidaten arbeiten könnten? usw. Das ist deshalb so wichtig, weil die besten Kandidaten eben oft nicht einfach beim Wettbewerb sitzen.
Danach startet die Identifizierung dieser Kandidaten und die Kontaktaufnahme. Wir schaffen es dann, nach fünf bis sechs Wochen eine Shortlist mit den drei besten am Markt verfügbaren Kandidaten zu präsentieren. Diese Gespräche begleiten wir mindestens in der ersten Runde, bei Bedarf auch länger.
ADZINE: Wie gut sind eure Kunden vorbereitet, wenn sie zu euch kommen? Wie gut wissen sie schon, welche Fähigkeiten sie benötigen und wie der ideale Kandidat aussieht?
Conrad: Das ist absolut unterschiedlich. Wir haben Stammkunden, die ganz genau wissen, wen sie brauchen und bei denen im Zweifel ein kurzes Sparring absolut ausreicht. Es gibt aber auch viele Kunden, die sich noch nicht sicher sind und gerne unsere Beratungsleistung in Anspruch nehmen. Vermutlich wäre dein Beispiel so ein Kunde. Hier liegt die Kernkompetenz eben breitgefächert beim Thema „Dichtungsring“ und weniger in Digitalisierungsthemen. Eben dafür sucht man dann ja Abhilfe durch spezialisierte Personalberater.
ADZINE: Wie können Unternehmen auch dann bei den Bewerbern punkten, wenn sie ihnen vielleicht nicht das Top-Gehalt der Branche zahlen können?
Conrad: Durch die Unternehmenskultur. Wertschätzung, Authentizität und Entwicklungsmöglichkeiten spielen natürlich mit rein. Aber nimm als Beispiel Google: Auf gleichem Level zahlt Google natürlich hervorragend, aber viele Kandidaten sind sogar bereit, für ein so erfolgreiches Unternehmen einen Karriereschritt zurückzugehen, nur um Teil des Google-Universums zu werden; das ist dann eine gehaltsunabhängige Entscheidung. Wir begleiten aber auch viele kleinere Unternehmen, die so eine Wohlfühlatmosphäre bieten, dass das Gehalt in den Hintergrund rückt.
ADZINE: Könntet ihr den neuen CDO aus dem Beispiel nach erfolgreicher Einstellung direkt wieder für eine andere Firma abwerben oder sind euch da erst mal die Hände gebunden?
Conrad: Können? Ja! Ich kenne sehr unterschiedliche Executive-Search-Verträge und in keinem findet sich so ein Ausschluss, aber in unserer Welt (also die von five14) gibt es eine Businessethik, die schon den Gedanken daran gar nicht entstehen lässt. In der Praxis bedeutet das, dass wir immer wieder auch anderen Kandidaten – nicht nur von uns platzierten – absagen, da wir niemals bei unseren Kunden abwerben würden. Da wir sehr sensible Informationen von unseren Kunden erhalten, ist das Vertrauensverhältnis so groß, dass der Punkt aber auch nie ein Thema ist.
ADZINE: Wie funktioniert überhaupt euer Businessmodell? Für welches Stadium im Recruiting-Prozess fließt Honorar?
Conrad: Wir haben bei Gründung lange darüber gesprochen und wollten unbedingt ein Modell, das für alle Seiten zu jedem Zeitpunkt fair ist. Wir haben uns dann für das 30/20/50-Modell entschieden. Bei Projektstart werden 30 Prozent des Honorars in Rechnung gestellt. Dafür wird dann der gesamte Prozess abgeleistet. Der Kunde erhält neben der Shortlist nach circa fünf Wochen ab der dritten Woche Statusberichte mit Marktfeedback. Oft beinhaltet dieses Feedback bereits Wissen, das deutlich mehr Wert haben kann. Mit der Freigabe der Shortlist – das bedeutet, dass der Kunde die Kandidaten auch für gut befindet und in die Gespräche gehen möchte – wird eine zweite Rechnung in Höhe von 20 Prozent gestellt. Erst bei Vertragsunterzeichnung wird dann die letzte Rechnung gestellt. Mir ist bewusst, dass der Markt hier härter wird und viele Kollegen inzwischen rein erfolgsbasiert arbeiten. Davon nehmen wir jedoch Abstand, weil wir überzeugt sind, dass ein hochwertiger und fokussierter Prozess nur dann stattfinden kann und sollte, wenn die Arbeitsleistung auch abgesichert ist. Bei jeder anderen Art von Beratungsleistung wäre alles andere undenkbar. Eine Anfrage, um zum Beispiel McKinsey erfolgsbasiert zu beauftragen, würde wohl eher auf ein Lächeln stoßen.
ADZINE: Bekommt ihr eigentlich immer mit, aus welchen Gründen von euch empfohlene Bewerber nicht genommen werden? Erhaltet ihr auch von den Bewerbern Rückmeldung dazu, wie die Absage vonstattenging? Verfährt ein Arbeitgeber da nicht auf die feine englische Art, würde das ja auch negativ auf euer Image abstrahlen.
Conrad: Wir sind so eng mit Kunden und Kandidaten im Austausch, dass wir immer informiert sind. Eine Ausnahme bilden manchmal die Amerikaner, die ihre Absagen gelegentlich doch etwas vorsichtiger formulieren. Zusagen machen die Unternehmen sehr gerne selbst und das ist auch absolut richtig und wichtig! Absagen werden meist durch uns weitergeleitet. In den meisten Fällen spürt der Kandidat den Mismatch allerdings schon selbst. So ist es oft keine Überraschung oder sogar eine beiderseitige Entscheidung.
ADZINE: Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass Bewerber Firmen absagen?
Conrad: Fast immer geht es dabei um die Aufgabe. Meist geht man der Aufgabe wegen in ein Unternehmen und verlässt es wegen der Führungskraft. Im Sales kann es auch monetäre Gründe haben. In sehr seltenen Fällen passiert es, wenn der Kunde sich nicht an den von uns empfohlenen Prozess hält für die Zeit nach der Kandidatenpräsentation. Das können etliche Interviewrunden sein oder auch unqualifizierte Interviewpartner. Die Unternehmen müssen heute einfach anders agieren als noch vor ein paar Jahren.
ADZINE: Auf LinkedIn wird immer öfter von Betroffenen das Thema „Ghosting“ diskutiert: Ein paar Gesprächsrunden per Telefon und vor Ort sind durch. Eine Entscheidung steht bald an und dann passiert … nichts. Die Firma meldet sich überhaupt nicht mehr, konkrete Anfragen verlaufen im Sande. Wie oft kommt Ghosting in Recruiting-Prozessen vor?
Conrad: Von deutschen Unternehmen, egal ob groß oder klein, kenne ich so etwas gar nicht – jedenfalls bei den Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten. Bei den US-Firmen muss man meist ein bisschen Zeit einplanen. Wenn man das direkt mit den Kandidaten kommuniziert und ihnen vorab sagt, dass es ein langer Prozess werden kann – mit Feedbacks, die sich auch schon mal über Wochen ziehen – ist es normalerweise kein Problem, außer bei Sales-Positionen. Persönlich empfinde ich dieses Prozedere aber trotzdem als schwierig und eher demotivierend. 360-Grad-Feedback ist eine tolle Sache, sollte aber dennoch zeitnah und dem Level entsprechend ausgeführt werden. Soll heißen: Wenn mein Interviewpartner jemand ist, der später zu mir reporten soll, möchte ich auch dementsprechende Fragen gestellt bekommen. Einem Kandidaten gar nicht zu antworten, ist unprofessionell.
ADZINE: Was tut ihr, wenn ihr Fehlverhalten von Unternehmen mitbekommt? Habt ihr eine Blacklist mit Firmen, mit denen ihr nicht mehr zusammenarbeiten wollt?
Conrad: Ja. Das ist ein Luxus, dessen wir uns sehr bewusst sind. Uns ist Wertschätzung sehr wichtig und deshalb würden wir solche Unternehmen nicht weiter begleiten. Auf der Blacklist können aber auch Unternehmen stehen, die zum Beispiel einem alleinverdienenden Elternteil keinen sicheren Job bieten können. So eine Besetzung könnte ich mir, wenn es schiefgeht, nicht verzeihen.
ADZINE: Würdest du meiner Aussage zustimmen, dass manche Firmen beispielsweise mit Blick auf endlose Job-Interview-Schleifen – dein Partner Harald R. Fortmann hat das mal sehr treffend als "Besetzungsangst" der Unternehmen bezeichnet – ihr Recruiting nicht richtig im Griff haben?
Conrad: Auf jeden Fall. Ansonsten wären wir überflüssig. HR ist oft massiv überlastet, unterbudgetiert und kommt eben fast nie aus den Fachbereichen. Das macht es dann sehr schwierig, auf hohem Level zu rekrutieren. Marktüberblick und Netzwerk sind elementar bei der Besetzung solcher Positionen. Man kann das auch inhouse realisieren, allerdings sollte man dann eine eigene Recruitingabteilung schaffen. Wenn ich die Steuererklärung inhouse ableisten möchte, stelle ich ja auch einen Steuerberater ein.
ADZINE: Daniela, vielen Dank für das nette Gespräch!
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