New Work: „Die digitalen Technologien müssen uns dienen, nicht geißeln!“
René Weber, 12. Juli 2019Viele Firmen brüsten sich schon als innovative Arbeitgeber, wenn ihre Mitarbeiter hin und wieder Home Office machen dürfen. Dabei hat die Arbeitswelt seit dem Aufkommen von New Work doch viel mehr zu bieten. Was genau ist das Spannende an New Work? Woran hapert es noch bei der Umsetzung in den Unternehmen? Schieben viele Firmen die „neue Arbeitswelt“ nicht rein als Werbe-Label vor sich her, um als attraktiver Arbeitgeber zu wirken? Wir haben zu diesen Fragen mit Harald R. Fortmann, Executive Partner der Personalberatung five14, gesprochen.
ADZINE: Hallo Harald, in der Mission eures Unternehmens schreibt ihr: „Wir haben uns zusammengeschlossen, um Unternehmen dabei zu unterstützen, die Veränderungen im New Work Zeitalter erfolgreich zu meistern und die besten Talente hierfür an Bord zu holen.“ Was macht aus deiner Sicht New Work aus? Das Thema wird immer noch allzu oft gleichgesetzt mit „Mein Chef erlaubt mir, ein Mal die Woche Home Office zu machen“.
Harald R. Fortmann: Moin! In der Tat ist New Work zu einem Buzzword verkommen und wenn sich selbst Unternehmen dazu entschließen, es zu nutzen, trägt das nicht unbedingt zu einem besseren Verständnis bei. New Work ist aus unserer Sicht aber viel mehr als eine Business-Plattform, ein Event oder eben nur Vertrauensarbeitszeit und -ort. Die New-Work-Ära ist für uns das Zeitalter der Veränderung, wie Menschen ihre Tätigkeit sehen. Die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit wird heute viel mehr hinterfragt. Der Antrieb des Einzelnen muss mit dem Antrieb des Unternehmens übereinstimmen – ansonsten wird das nichts. Dazu gehören viele Facetten, wie Vertrauensarbeitszeit und -ort, offene und kommunikative Arbeitsflächen, flache Hierarchien, agile Arbeitsweisen und vieles mehr. Am Ende muss aber jedes Unternehmen im Einzelfall betrachtet werden. Was ist wo sinnvoll und machbar? Hier muss und wird sich etwas bewegen.
ADZINE: Wie erlebt ihr New Work bei euren Kunden? Ist das oftmals nicht einfach nur bloße Rhetorik, um sich gut als Arbeitgeber darzustellen? Mit der Wirklichkeit hat das dann unter Umständen nicht viel zu tun.
Fortmann: Neben unserem Executive-Search-Bereich haben wir auch eine Consulting-Dienstleistung. Hier bekommen wir viele Anfragen aus dem Mittelstand und Konzernen, ob wir New Work Workshops mit den Vorständen und Geschäftsführern veranstalten können. Sie wollen die New-Work-Ära verstehen. Welche Implikationen dadurch entstehen oder wie sie sich aufstellen müssen, um weiterhin ein nachgefragter Arbeitgeber zu sein. Wir haben die Themen mit großen Einzelhändlern, Messegesellschaften und Maschinenbauern schon besprochen. Natürlich gibt es Unternehmen, die es in ihre Mission aufnehmen und dann passiert nichts – das kenne ich selbst persönlich nur zu gut. Aber man merkt mittlerweile, dass die Unternehmer und Manager sich darüber ernsthaft Gedanken machen. Die Maßnahmen müssen immer zur Kultur des Unternehmens passen – nur dann kann sich die Kultur dadurch auch weiter wandeln.
ADZINE: Gibt es Branchen, die affiner dafür sind, New-Work-Ideen umzusetzen? Wenn ja, warum?
Fortmann: Eigentlich nicht. Es sind Unternehmen, die mehr junge Talente anziehen, die sich aus dem Bedarf heraus schneller dem Thema annähern. Wenn man so will, sind viele Start-ups 'New Work Natives' – aber lange nicht alle! New Work ist eine branchenübergreifende Bewegung.
ADZINE: Gibt es schon New-Work-Elemente, die von Stellenbewerbern erwartet oder regelmäßig nachgefragt werden?
Fortmann: Vertrauensarbeitszeit und -ort, ebenso wie flache Hierarchien und interdisziplinäre Kommunikation sind Themen, die uns im Kandidatengespräch öfters begegnen. Aber so wie jede Firma andere Möglichkeiten zur Umsetzung hat, so hat jeder Kandidat andere, ganz persönliche Anforderungen. Die Schnittmenge bestimmt dann den Fit.
ADZINE: Wie treibt ihr in eurer Beraterrolle das Thema in den Unternehmen voran? Inwiefern habt ihr da als Externe überhaupt Gestaltungspotential?
Fortmann: Wir können nur beraten, wenn wir das Thema auch selbst authentisch verkörpern. Auf der einen Seite, weil wir es selbst leben und weil wir vielseitige Einblicke dadurch bekommen, dass wir einige Unternehmen bei ihrer Veränderung begleiten. Wir können auch Experten, beispielsweise Coaches oder Innenarchitekten, empfehlen, aber das ist nicht unser Kerngeschäft.
ADZINE: Grundsätzlich ist New Work eine positive Entwicklung: Wie bei allen guten Sachen kann man auch New Work ins Negative treiben und die Arbeitenden bei all der neu gewonnenen Flexibilität noch mehr ins Hamsterrad pressen. Soll heißen: noch mehr Arbeit und Work-Life-Blending. Wie siehst du das? Wie können wir den positiven Geist von New Work beibehalten?
Fortmann: Persönlich bin ich ein Fan von Work-Life-Integration. Mein Leben ist auch meine Arbeit und meine Arbeit auch mein Leben. Im Gegensatz zu 48 bis 71 Prozent der Deutschen – je nach Studie – habe ich aber den großen Vorteil, dass ich meinen Job liebe. Ich verbringe jeden Tag mit tollen Menschen, die mich mit ihrem Werdegang begeistern, und mit Kunden, die Tolles vorhaben und denen wir bei der Umsetzung zur Seite stehen dürfen. Und da dieser Job so herrlich flexibel ist, kann ich meinen privaten Leidenschaften, sprich meinen Kindern, meiner Frau und, sobald der Rücken wieder fit ist, auch meinem Sport dann meine Aufmerksamkeit schenken, wenn sie es brauchen oder ich es will. Jeder hat es selbst in der Hand, sich nicht in die digitale Erschöpfung hineinzubegeben. Es gibt beispielsweise Funktionen im iPhone, die außer festdefinierten Favoriten nach 20 Uhr keinen Anrufer mehr durchlassen. Auch E-Mail-Postfächer kann man so konfigurieren, dass sie einen nur auf wichtige Mails aufmerksam machen. Die digitalen Technologien müssen uns dienen, uns nicht geißeln!
In diesem Sinne: Stay hungry, stay foolish!
ADZINE: Danke dir für das Gespräch, Harald!
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