“Mütter sind viel effizienter als Gründer, die sich ihre Zeit frei einteilen können”
René Weber, 29. Juli 2019Nico Lumma ist Managing Partner beim Hamburger Next Media Accelerator und damit Experte in der hiesigen Startup-Welt. Er spricht im Interview über besonders innovative Ideen in der Medienbranche und den Vorteil, den er darin sieht, ausländische Startups nach Deutschland zu holen. Darüber hinaus hebt Lumma die Effizienz von Gründerinnen hervor und beurteilt den Stand der heimischen Digitalisierung.
ADZINE: Hallo Nico, man kennt dich als Impulsgeber für die Digitalpolitik und vor allem auch wegen deiner täglichen „Hund-vor-Trinkhalle-Bilder“ im Social Web. Aber Spaß beiseite: Du hast dich beruflich ganz dem Thema Startups verschrieben. Zusammen mit zwei Partnern leitest du den Next Media Accelerator (NMA) in Hamburg, ein Frühphaseninvestor für Startups im Bereich Medien. Was sind für dich die derzeit größten Innovationen, denen du begegnest?
Nico Lumma: Beim NMA haben wir uns voll und ganz dem Thema Medien-Innovation verschrieben und sorgen dafür, dass die Branche neue Impulse durch Startups aus ganz Europa und Israel bekommt. Viele Innovationen passieren bei der Personalisierung und Distribution von Inhalten, aber auch im Bereich Adtech kommen immer wieder spannende Startups zu uns. Ein Portfolio-Unternehmen sorgt beispielsweise dafür, dass Native Advertising sich auf mobilen Seiten wertig vom Umfeld abhebt. Ein anderes Startup analysiert Video-Inhalte in Hinblick auf Diversität und bietet diesen Dienst Plattformen an. Generell sind Dienste rund um Bild und Video ziemlich gefragt und wir verknüpfen unsere Investoren mit Firmen, die Archive neu verschlagworten können oder die Bilder und Videos von Nutzern für Media-Plattformen nutzbar machen können.
ADZINE: Mir ist aufgefallen, dass die Startups in euren letzten Batches immer internationaler werden. Habt ihr den heimischen Markt schon leergefegt oder findet Innovation heute außerhalb Deutschlands statt?
Lumma: Es war immer unser Ansatz, innovative, junge Firmen aus ganz Europa und Israel nach Hamburg zu holen. Das ist zwar zusätzlich herausfordernd, aber gleichzeitig sehr empfehlenswert, denn wir sorgen für viele kalkulierte Irritationen, weil natürlich Startups von außerhalb Deutschlands Ideen umsetzen, von denen wir hierzulande noch gar nicht geahnt haben, dass diese Herausforderungen lösbar sind.
ADZINE: Mit Attention Insight habt ihr derzeit ein litauisches Startup vor Ort, das Eye-Tracking-Technologie für Publisher anbietet. Wie überzeugt ihr Unternehmen aus einem technologisch fortschrittlichen Land wie Litauen nach Deutschland zu kommen? Erklär uns in dem Kontext auch gerne mal euer Business-Modell: ihr investiert bis zu 50.000 Euro in die Unternehmen und die bleiben dann ein halbes Jahr hier. Ich frage mal etwas provokant: Wo ist der Mehrwert? Das reicht doch gerade mal für den Umzug und in die Miete in Hamburg.
Lumma: Wir bieten unseren Investoren Zugang zu Innovationen und unseren Portfolio-Unternehmen Zugang zum größten Medienmarkt Europas. Das ist für beide Seiten lukrativ und hilft Unternehmen bei der digitalen Transformation einerseits und Startups beim Aufbau eines Kundenstamms andererseits. Unser Investment von 50.000 Euro reicht in der Tat nicht ewig, aber es liegt in der Natur der Sache, dass Startups nach der Accelerator-Phase wieder eine Finanzierungsrunde anstreben müssen. Im Idealfall sorgen wir für die sogenannte Traction, also erste zahlende Kunden, die das Potential für das Produkt aufzeigen und das Startup interessant für Investoren macht.
ADZINE: Viele der Geschäftsführer der Startups im NMA sind Frauen. Du hast mir auch erzählt, dass ein paar davon Mütter sind, die in Teilzeit arbeiten. Sucht ihr gezielt nach von Frauen geführten Startups?
Lumma: Wir versuchen, möglichst viel Diversity in unseren Batches abzubilden, also in den zwei Durchgängen, die wir für je sechs Monate hier in Hamburg durchführen. Dabei haben wir keine Quote, sondern wählen strikt nach Plausibilität des Businessplans und der zu erwartenden Umsätze aus. Aber wir haben vermutlich in den bisherigen acht Batches gezeigt, dass wir ein gutes Umfeld für Gründerinnen bieten, sodass wir immer wieder tolle Bewerbungen bekommen. Im gerade abgeschlossenen Batch hatten wir zehn Firmen bei uns in Hamburg, davon wurden sechs von Frauen geführt und darunter sind drei Mütter. Dieses Batch war mit Abstand das selbständigste, denn schon nach ein paar Stunden gab es eine eigene Whatsapp-Gruppe, über die sich die Gründerinnen und Gründer organisierten. Die Mütter waren nicht Vollzeit hier in Hamburg, sondern maximal drei Tage pro Woche, haben aber ihre Zeit hier maximal genutzt mit ideal vorbereiteten Terminen und waren viel effizienter als Gründer, die sich ihre Zeit frei einteilen können.
ADZINE: Eine letzte Frage an dich als Hamburger Lokalpatriot: Wie bewertest du den Status quo bei der Digitalisierung der schönsten Stadt Deutschlands? Wo liegen für dich die dringendsten To-dos?
Lumma: Generell gilt: Wir sollten unzufrieden bleiben. Ich hatte bereits 1998 als Student 100 mbit/s in meinem Wohnheimzimmer, weil wir selber dafür gesorgt haben. Natürlich braucht Hamburg flächendeckend Glasfaser und es zeigt sich leider, dass der Verkauf der HEW (Hamburgische Electricitäts-Werke) vor knapp zwei Jahrzehnten dafür gesorgt hat, dass der Glasfaser-Ausbau ins Stocken geraten ist. Ich erwarte von einer modernen Großstadt auch, dass nahezu alle Behördengänge online erledigt oder wenigstens vorbereitet werden können. Die Schulen benötigen Glasfaser und WLAN, aber auch vernünftige Ressourcen für Unterricht und Administration. Die Wirtschaft hat lange geschlafen, wacht aber mittlerweile auf. Mir dauert das alles zu lange. Und ja, ich will Glasfaser zuhause haben, da bin ich egoistisch.
ADZINE: Vielen Dank für das Interview!
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