Jörg Poggenpohl ist der Leiter des Digitalmarketings bei BMW. Hinsichtlich der Tools, die er zur Verfügung hat, verspürt er keinen Mangel. Die digitale Kompetenz im Gesamtmarketing dürfte allerdings gerne noch höher sein. Ein typisches Bild für die Automobilindustrie.
Marketingverantwortlicher in einem Automobilkonzern: ein Traumjob? Noch vor zehn Jahren hätte vermutlich jeder zweite Uni-Absolvent, zumindest in klassischen Disziplinen wie BWL, vorbehaltlos diesen Job als Traumziel definiert. 2019 stellt sich die Situation anders dar. Die Absätze in den Industrienationen stagnieren. Die Wachstumsmärkte China oder Indien sind kompliziert zu bespielen, der Wettbewerb ist enorm. Die durchoptimierte Lieferkette wird immer wieder durch politische Verwerfungen erschüttert, etwa durch Trumps Handelskrieg gegen China oder die Grenzschließung zu Mexiko, einem der wichtigsten Produktionsstandorte fast aller großen Automarken auf dem amerikanischen Kontinent. Dazu kommt die intensive öffentliche Debatte über Schummelsoftware, Elektro-Mobilität und CO2-Steuern. Und über allem schwebt als Damoklesschwert die Frage: Wollen junge Menschen in Zukunft noch Auto fahren und wenn ja, wie?
Aber es gibt natürlich auch die andere Seite, die Entwicklung ganz neuer Geschäftsmodelle. Alle Automobilunternehmen wären in Zukunft gerne ein universeller Mobilitätsdienstleister für ihre Kunden. Und alle arbeiten an den gleichen Themen: Wie integriert man verschiedene Verkehrsmittel in Apps, um den Nutzer sicher, schnell, bequem und manchmal auch luxuriös von A nach B zu bringen. In diesem Haifischbecken schwimmen aktuell auch „artfremde“ Dickschiffe wie die Deutsche Bahn oder Google mit und auf lokaler Ebene bringen sich Platzhirsche wie die Berliner BVG in Stellung.
Und die zweite wichtige Innovation – die ebenfalls derzeit in allen Automobil-Headquarters heiß diskutiert wird – ist die Frage nach neuen Vertriebsmodellen. Autovermieter Sixt brüstet sich dieser Tage mit einem Abo-Modell und einer Mietwagen-Flatrate. Und plötzlich stellt sich die Frage, ob die Automobiler in Zukunft noch Autos an Privatmenschen verkaufen oder eher an die Verleiher. Oder wird man selbst zum Verleiher? BMW-Konkurrent Mercedes hat vor einem Jahr einen Pilotversuch gestartet, namens „Mercedes me flexperience“. Für Preise zwischen 750 und 1.800 Euro im Monat können die Kunden zwischen 12 Flottenfahrzeugen wählen und – etwa für die Urlaubsfahrt – vorübergehend ihr Gefährt wechseln.
Der Druck steigt: Startups wie Like2drive oder Cluno greifen gleich beide an, die Vermieter und die neuen Geschäftsmodelle der Hersteller, wobei sie für eben jene gleichzeitig wichtige Volumenkunden für die Zukunft sind.
Mehr Wandel, mehr Marketing
Insofern ist der Job von Jörg Poggenpohl eben doch ein Traumjob, denn je schneller sich die Zeiten ändern, umso wichtiger wird das Marketing. Allerdings ist bei den Automobilherstellern das digitale Marketing in der Regel deutlich schwächer ausgeprägt als die Klassik oder das Handelsmarketing. Letztere drehen um ein Vielfaches höhere Budgets. Und möglicherweise liegen sie damit dieser Tage zumindest teilweise richtig: So lange die potentiellen Kunden nicht nach Abo-Modellen suchen, gilt es Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und sich als Anbieter in Stellung zu bringen. Und hier haben TV, Radio und OOH erwiesenermaßen ihre Stärken.
Dennoch wünscht sich der Digitalmarketer Poggenpohl, dass noch viel mehr Entscheidungen im BMW-Marketing evidenzbasiert aus den Performance-Daten heraus getroffen werden. Poggenpohl ist der Teamleiter des digitalen Marketingteams und somit nicht unmittelbar mit den operativen Aufgaben, sondern mit der Steuerung betraut. „Mein Lieblings-Tool ist das Data Analytics Center. Ich nutze es täglich. Darin sind neun Ansichten von Kanal, über Kampagne, Produkt, Marke bis hin zu Trending Topics abgebildet.“ Das Data Analytics Center von BMW ist übrigens eine Eigenentwicklung.
Die Daten aus den Dashboards stehen allen Mitgliedern des Marketings gleichsam zur Verfügung, auch den Kollegen vom Brand Marketing oder Handelsmarketing. „Hier greift jede Disziplin darauf zu“, sagt der Wahlmünchner. Und auf dezidierte Nachfrage der Adzine stellt er fest, dass diesem Tool eine so gute Datenbasis zugrunde liegt, dass so unterschiedliche Kanäle wie TV und Programmatic dadurch vergleichbar werden.
„Tatsächlich können wir recht klar sehen, welchen Input wir in einen Kanal gegeben haben, welches Ergebnis daraus resultierte und welche Rolle das für unser Kerngeschäft spielt“. Das gelingt aber nur, wenn die Kampagnen sauber zugeordnet werden. Viel wichtiger, als eine Trennung zwischen den Kanälen ist für Poggenpohl eine klare Verteilung der Aufgaben und Ziele. Ist eine Kampagne eher auf Markenbekanntheit ausgerichtet oder soll sie den Absatz des neuen i8 fördern? „Hier geht es eher um eine klare Rollenverteilung. Die Zentrale ist verantwortlich für Marke, Awareness und somit Brand-Kampagnen. Die Märkte kreieren die Sales- und taktischen Kampagnen.“ Ob also der nächste Werbeeuro in TV oder Programmatic fließt, ist eher eine Frage des Kampagnenziels, als eine Frage, wie zufriedenstellend ein Kanal insgesamt arbeitet.
Aber trotz dieser günstigen Ausgangssituation schwingt leichte Unzufriedenheit in den Antworten von Jörg Poggenpohl mit. „Die digitale Kompetenz des Digitalteams würde ich als sehr hoch bewerten, neun von zehn. Im Gesamtmarketing würde ich vier von zehn Punkten vergeben.“ Hier gibt es also offensichtlich Nachholbedarf. Im Umkehrschluss kann das nur bedeuten, dass entweder die Evidenz, die die Zahlen liefern, nur unzureichend genutzt und somit in die Praxis überführt wird. Oder dass Bereiche außerhalb des Digitalteams zu wenig Know-how über die Möglichkeiten der digitalen Werbemethoden besitzen und somit – trotz Evidenz – die Bedeutung des Digitalmarketings innerhalb des Gesamtmarketings auf niedrigem Niveau verharrt, obgleich sie mehr verdient hat.
Und das überrascht bei BMW dann doch. Die inzwischen zu Audi gewechselte ehemalige Markenchefin Hildegard Wortmann hat vor fünf Jahren dadurch Schlagzeilen gemacht, dass sie begann Datenanalysten fürs Marketing anzuheuern. „Umbau muss auch wehtun“, wird sie vom Handelsblatt zitiert. Und ihr Nachfolger Jens Thiemer hat zwar eine eher klassische DNA, doch ihm gelang bei Mercedes immer wieder das Kunststück, digitale Themen zu integrieren. So investierte Thiemer zwar einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in den Messeauftritt bei der IAA 2018, ließ aber mitten auf dem Stand eine kleine Innovationskonferenz unter dem Namen me Convention abhalten. Somit scheint auf Führungsebene reichlich Digitalkenntnis vorhanden und Poggenpohls Unwohlsein rührt wohl eher aus den daily operations.