Aktuelle Trends und Herausforderungen in der deutschen Publishing-Landschaft
Anton Priebe, 3. Juli 2019Die Publisher stehen permanent vor Herausforderungen, um ihr Inventar möglichst gewinnbringend zu vermarkten. Auf den OMR 2019 trafen wir Rajeev Goel, CEO und Gründer der Supply-Side-Plattform Pubmatic, und sprachen mit ihm über aktuelle Entwicklungen in der Branche. Der Serial Entrepreneur hat Pubmatic 2006 gegründet und gilt als einer der Pioniere im Programmatic Advertising. Die Expansion nach Deutschland erfolgte rückblickend sogar etwas zu früh, da der Markt hierzulande noch nicht ganz reif für die Funktionen einer SSP war. Trotzdem betreut Pubmatic heute mit Büros in München, Berlin und Hamburg sieben der Top 10 Agof-Publisher in Deutschland.
ADZINE: Herr Goel, Pubmatic ist seit über einem Jahrzehnt ein relevanter Player im Publishing Business. Glauben Sie, dass das goldene Zeitalter des Digitalen Publishings langsam vorüber ist?
Goel: Ich hoffe, dass das goldene Zeitalter gerade erst beginnt! Der Programmatic-Advertising- Markt hat sich während des vergangenen Jahrzehnts bedeutend weiterentwickelt und ich denke, dass viele Publisher momentan dabei sind, ihre organisatorischen Bausteine zusammenzufügen, um alle Vorteile des digitalen Advertising vollends auszuschöpfen. Wir sehen heute weitaus mehr positive Beispiele für erfolgreiche Publisher als noch vor fünf Jahren – natürlich sitzt nicht jeder mit in diesem Boot, aber Axel Springer etwa hat sich perfekt an die Veränderungen angepasst.
Grundsätzlich können wir meiner Meinung nach also auf eine positive Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit zurückblicken. Aktuell sehen wir viele neue Themen aufkommen, wie beispielsweise Mobile-Monetarisierung, weil sich der Konsum dahingehend verändert hat. Auch Identity und wie sie Publisher im offenen Internet nutzen können, um ihre Ads relevanter zu machen, ist ein großer Punkt. Sie müssen schließlich gegen die Walled Gardens bestehen.
ADZINE: Apropos Mobile – wie können Publisher auf den Shift zu Mobile und der damit einhergehenden schrumpfenden Werbefläche reagieren?
Goel: Der Schlüssel ist eine andere Art von Interaktion mit dem User. Die gesamte Branche versucht verschiedene Ad-Formate zu testen, die mehr Relevanz in der Mobile-Umgebung versprechen. Ja, es steht weniger Fläche zur Verfügung, aber dafür kann man dort einen höheren Impact haben. Darüber hinaus existieren viel mehr Targeting-Daten. Informationen wie etwa der Standort oder die Bildschirmgröße, die Ads relevanter machen können.
Wir haben erst kürzlich gemeinsam mit Forrester eine Studie veröffentlicht, die ergründet hat, was Marketer dazu bewegt mehr Budget in Mobile Advertising zu verlagern. Die Hauptpunkte waren: bessere Messmöglichkeiten und Attribution, höhere Viewability und Brand Safety. Daran wird momentan fleißig gearbeitet.
Außerdem ändert sich gerade die App als Werbeumfeld. Die App war historisch gesehen ein sehr Performance-orientiertes Ad-Medium, aber mehr und mehr Marken möchten dort mit Brandingkampagnen präsent sein. Da das Smartphone ein so persönliches Gerät ist, kann die Werbung eben auch sehr viel relevanter sein.
ADZINE: Man muss aber die Daten mitbringen, um die Impression hochwertiger zu machen.
Goel: Absolut. Wenn Publisher Informationen wie Location oder Targeting auf Grundlage der Device ID anbieten, steigt der CPM im Schnitt um 100 bis 200 Prozent. Der Umsatz pro Ad kann sich also schnell verdoppeln oder sogar verdreifachen, wenn man diese Daten hinzufügt. Das ist das große Versprechen von Mobile App Advertising und das gesamte Ökosystem arbeitet daran es weiterzuentwickeln.
ADZINE: Pubmatic war einer der Vorreiter beim Header Bidding. Wie hat die Technologie die Monetarisierungsstrategien der Publisher beeinflusst?
Goel: Header Bidding hatte einen großen Impact auf das gesamte digitale Advertising. Es hat verändert, wie Publisher ihr Inventar verwalten und auch den Zugang der Buy-Side gewandelt. Vorher hat ein Publisher nur mit ein oder zwei SSPs gearbeitet, heute kann er mit einem halben Dutzend oder mehr kooperieren. Die Buy-Side hingegen hat sich hinter den SSPs konsolidiert. Das hat jedoch bei allen Vorteilen auch zu einem Problem geführt.
Da die DSPs vorher mehrere tausend Kampagnen in jeder SSP laufen hatten, konnten Publisher keinen Überblick über die gesamte Bidding-Landschaft erlangen. Jetzt können sie das und wir befinden uns damit in einer neuen Phase, in der Duplicate Inventory auftaucht. Dasselbe Inventar wird über eine Vielzahl von Header Bidding-Partnern zur Verfügung gestellt und teilweise bieten Marken gegen sich selbst. Die Buy-Side versucht nun, die Ausgaben zu kontrollieren und mit einer handvoll von SSPs zusammenzuarbeiten, um die dadurch entstehenden Kosten zu minimieren. Das ist auf jeden Fall eine spannende Entwicklung.
ADZINE: Da wir gerade von Header Bidding als Evolution des Bidding-Systems sprechen – was wird als nächstes kommen? Wie sieht die nächste Stufe aus?
Goel: Wir beobachten aktuell eine Dynamik zwischen Client-Side- und Server-Side-Header Bidding. Server-Side hat einige Vorteile mit Blick auf User Experience und Ladezeit. Client-Side hingegen profitiert momentan noch aufgrund des Trackings via Cookie. Das Interessante hierbei ist jedoch, dass der Cookie als primärer Träger von Identity immer mehr unter Beschuss steht. Das wird Server-Side Header Bidding beflügeln.
In den vergangenen 12 Monaten fanden außerdem vermehrt Videos Einzug in Header Bidding. Immer mehr Publisher-Inventar wird zugänglich für Video. Die Anzeigen laden schneller und sind relevanter. Diese Entwicklung lässt die Preise ansteigen und holt verstärkt weitere Publisher – und Advertiser – mit ins Boot.
ADZINE: Wie würden Sie insgesamt die Evolution der Supply-Side-Plattformen seit der Gründung von Pubmatic in 2006 beschreiben? Insbesondere mit Blick auf Deutschland?
Goel: Wir sind seit sieben Jahren in Deutschland am Markt. Noch vor vier oder fünf Jahren hat jeder behauptet, dass er Programmatic macht. Aber dabei ging es eher um das nichtdeutsche Inventar oder vergleichbar kleine Anteile. Heute haben die Deutschen Programmatic im großen Stil adaptiert. Programmatic ist für alle großen Medienunternehmen der Standard für die Monetarisierung geworden und die Penetration wird weiter ansteigen.
Die Buy-Side hat sich konsolidiert. Marketer nutzen immer weniger DSPs. Das wird nun auch mit der Sell-Side in den kommenden Jahren geschehen. Supply Path Optimization wird zu weniger, aber dafür größeren SSPs führen. Omnichannel SSPs, also diejenigen, die Desktop, Mobile, Display, App, Video et cetera vereinen, sind hier im Vorteil – vor allem mit Blick auf die Datenverarbeitung.
Nach dem Bankrott einer der größeren SSPs dieses Jahr fragen sich sicherlich viele Agenturen und Publisher nach dem richtigen Partner, der auch langfristig bestehen bleibt. Das wird zu weiterer Konsolidierung führen.
ADZINE: Glauben Sie, dass SSPs irgendwann einmal komplett aus der Kette geschmissen werden? Also dass DSPs direkt an die Publisher angeschlossen sind?
Goel: Das Argument höre ich, seitdem ich mit Pubmatic gestartet bin. Aber was bedeutet es, direkt mit dem Publisher zusammenzuarbeiten? Die Buy-Side müsste ein Team haben, das tausende Publisher-Beziehung managt, das Bezahlungen und Verträge abwickelt, das die Ad Quality bewertet und das die Technologie baut, um das Inventar in die DSP zu integrieren... Es gibt keine Zauberformel dafür, die gesamte Arbeit einer SSP zu übernehmen. Vielleicht wird es organisatorische Veränderungen geben, eventuell in Form von Integrationen entlang der Wertschöpfungskette. Oder die Funktionalität von DSPs und SSPs wird in einem einzigen Unternehmen kombiniert. Vielleicht möchte eine Agentur auch einmal die gesamte Supply-Chain besitzen, um es ihren Kunden einfacher zu machen.
All das ist sehr wahrscheinlich. Aber die fundamentale Arbeit einer DSP oder SSP wird immer bestehen bleiben und nicht zu ersetzen sein.
ADZINE: Nochmal zur Zusammenfassung: Welche Trends im Publishing sehen Sie momentan?
Goel: Erstens Profitabilität und Nachhaltigkeit, nicht nur aufseiten der Publisher, sondern auch aufseiten der Tech-Partner. Publisher werden hier sicherlich künftig mehr Fragen stellen. Zweitens Supply Path Optimization. Was bedeutet es für die Publisher, wenn Agenturen Supply Path Optimization betreiben? Wie können sie den Zugang zu Demand Dollar behalten? Welche SSPs behaupten sich hier? Drittens Mobile. Wie kann Header Bidding für Video in Mobile Umgebungen adaptiert werden? Und als letzten Punkt Identity. Jeder Publisher braucht unbedingt eine Strategie für Identity im offenen Internet. Jeder sollte hier für sich testen und ausprobieren, welches die beste Lösung ist.
ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch!
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