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MOBILE

In-App-Werbung im Wandel: Kommt das WeChat für Europa?

Frederik Timm, 27. Juni 2019
Bild: Jevanto Productions - Adobe Stock

Im Interview spricht der neu ernannte CEO von Smaato, Arndt Groth über die Verbindungen der Mobile-App-Vermarktungsplattform zum chinesischen Markt und über dessen Potenzial sowie über die zunehmende Branding-Werbung im In-App-Bereich und ein WeChat für Europa.

ADZINE: Hallo Herr Groth, Sie beschreiben den chinesischen Markt als den Markt der Zukunft. Da passt es, dass mit Spearhead ein chinesisches Unternehmen 2016 Smaato übernommen hat. Doch schon vor der Übernahme lag der Fokus von Smaato auf APAC. Im asiatischen Markt gilt wie sonst nirgends auf der Welt „Mobile First“. Lassen sich Lehren aus dem chinesischen Markt für andere Märkte, insbesondere den deutschen Markt ableiten?

Bild: Smaato Presse

Groth: Wir beobachten in China das WeChat-Phänomen. Es gibt eine App, die sozusagen über allem steht. Das gibt es nirgends sonst in der Welt. Niemand hat etwas Vergleichbares geschafft, auch nicht Facebook. Deswegen gehört China zu einem der Märkte mit der höchsten In-App-Nutzung. Alles läuft über App, von Terminabsprache via Chat über die Buchung des Tisches im Restaurant bis hin zur Bezahlung des Taxis. Mitunter wird es für Touristen sogar schwer, bestimmte Dienste in Anspruch zu nehmen, da nur über die App gezahlt werden kann. Wir erwarten, dass es diese Art von App auch in Europa geben wird. Interessant ist auch der demografische Unterschied zwischen deutschen und chinesischen Mobile-Nutzern. In Deutschland gehören mobile Zahlfunktionen wie Google Pay oder Apple Pay noch zur Ausnahme und werden vorrangig von den jüngeren Generationen ausprobiert. In China zahlen auch wesentlich ältere Generationen, die weit über das Alter der hier ansässigen Silver Surfer hinausgehen, per App.

Der Werbemarkt in China ist zudem sehr hierarchisch strukturiert. Wenn wir hier in Europa oder in den USA mit neuen Partnern sprechen, arbeiten wir uns vom Mediaplaner aus in den Strukturen hoch. Um in China erfolgreich zu sein, muss man in den Strukturen top-down gehen, um als neuer Partner erfolgreich zu sein. Auch aus technischer Sicht gibt es Unterschiede. In China gibt es zum Beispiel nur wenige Demand-Side-Plattformen. Es herrschen fast noch AdNetwork-Strukturen. Die chinesischen App-Anbieter wollen meist die Value Chain komplett im Griff behalten und bieten Kauf und Verkauf aus einer Hand an.

ADZINE: Im Online Advertising hat In-App eine gewisse Sonderstellung. Die technologische Umsetzung ist nur ein Beispiel. Profitiert In-App-Advertising von den Innovationen im Mobile Web oder ist es dafür zu unterschiedlich?

Groth: In-App profitiert in dem Sinne von Mobile Web, als dass sich der ganze Mobile-Markt weiterentwickelt. Es stimmt allerdings, dass neue Lösungen meist zuerst im Mobile Web Anwendung finden und erst später für den App-Bereich adaptiert werden. Ein konkretes Beispiel, das uns besonders betrifft, sind Consent Management Tools. Während die entsprechenden Lösungen vom IAB erstmal nur für das Web gedacht waren, haben wir eine Open-Source-Lösung für den In-App-Bereich entwickelt. Damit es jedem App-Publisher möglich ist, ebenfalls das IAB Consent Framework zu nutzen.

Je mehr die Aufmerksamkeit in der täglichen Nutzung den Apps gewidmet wird, desto höher ist der Anteil der Werbespendings. Erstaunlicherweise ist die Entwicklung in Deutschland langsamer als in den anderen Märkten. Hier wird Werbung noch sehr stark in klassischen Medien geschaltet und konsumiert.

ADZINE: Wie entwickelt sich der App-Markt in Deutschland generell? Wie sehen Sie Entwicklungen wie Progressive Web Apps entgegen? Wächst der App-Markt überhaupt noch oder verlagert sich das Nutzungsverhalten in Richtung Mobile Web?

Groth: Den Trend können wir noch gar nicht erkennen. Es herrscht weiterhin eine sehr starke In-App-Entwicklung und Nutzung vor. Die klassischen Medienmarken sind im App-Bereich leider noch nicht sonderlich erfolgreich. Sie haben allerdings ohnehin nicht die allerhöchste Reichweite im Digitalbereich. Dadurch entscheiden sich Advertiser eher für die klassischen Kanäle dieser Medienmarken – auch wenn das Digitalangebot vielleicht teils schon umfänglich vorhanden ist.

Es gibt jedoch einen wichtigen Trend, der die In-App-Nutzung verändert und die Aufmerksamkeit dorthin verlagert: die Entwicklung rund um die cookie-less World. Wir haben es bei Safari und Firefox bereits gesehen und Google hat es nun auch angekündigt: Die größten Browser blocken die Werbe-Cookies. In dem Zug, wenn auf einmal der Werbewirtschaft die Cookies verloren gehen, kommt die In-App-Welt mit Device IDs usw. ins Spiel.

Markenunternehmen haben längst verstanden, dass es weniger um die Medien X oder Y geht, als darum, wo die jeweiligen Zielgruppen zu finden sind. Und die sind eben zunehmend in Apps aktiv und erreichbar. Diese können auch ohne den Einsatz von Cookies wertvolle Daten liefern. Diese Erkenntnis sorgt dafür, dass sich die Spendings im In-App-Bereich weiter erhöhen.

ADZINE: Früher war In-App-Advertising sehr stark performancegetrieben. Heißt die Entwicklung, die Sie beschreiben, dass jetzt auch mehr Branding In-App stattfindet?

Groth: Definitiv. Unsere Stärke liegt besonders im Branding-Bereich. Wir sehen das unter anderem daran, dass wir sehr stark auf TKP ausgerichtet sind. Zweifellos gibt es viele Performance-Kampagnen, aber es gibt diese klassischen CPI- (Cost-per-Install-)Netzwerke und DSPs, die eine klare Kompetenz und Ausrichtung auf Performance und Installs haben. Mittlerweile gibt es jedoch ebenso viele, die sich auf Branding konzentrieren. Der Anteil von Performance-Kampagnen wird vor allem von Game-Publishern erhöht, die immer wieder 10 bis 20 Prozent ihres Umsatzes investieren, um neue Nutzer zu generieren oder alte zu aktivieren. Wir beobachten jedoch auch, dass innerhalb von Gaming Apps anders geworben wird als früher. Wir haben in unserer Plattform nachgeschaut, welches die Top-5-Branchen sind, die in Games Werbung machen. Dazu gehören Media (26 Prozent), Retail (21 Prozent), Automotive (17 Prozent), Food and Beverage (9 Prozent) und Telekom (8 Prozent). Zu Media gehört auch Gaming. Der Anteil liegt jedoch bei unter einem Drittel. Wir sind auch nicht die Plattform, auf der Spiele andere Games bewerben.

ADZINE: Sie haben bereits erwähnt, dass ein WeChat-ähnliches Produkt für Sie auch in Europa denkbar ist. Wie hoch stehen die Chancen, dass es Facebook ist? Tim Ringel hat Anfang des Jahres erklärt, dass neben Programmatic Advertising ein Zahlservice der Login-Allianzen Verimi oder netID eine Möglichkeit wäre, die Dominanz der großen US-Player einzuschränken.

Groth: Es ist aberwitzig, dass wir gegen die großen Platzhirsche angehen wollen, es aber dafür schon zwei Ansätze in Deutschland gibt – Fragmentierung ist vorprogrammiert. Ich halte dieses Vorgehen für total sinnbefreit. Ein weiterer Faktor dabei ist der deutsche Nutzer. Und wenn der deutsche Nutzer schon seiner Kreditkartenfirma nicht traut, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er einer netID sein Vertrauen schenkt, die er vom Namen her auch nicht kennt, relativ gering. Ich glaube daher eher, dass die Frage der Bezahlfunktion nicht mit netID lösbar ist und sich der Verbraucher nicht dafür entscheiden wird. Das schließt schon fast im Umkehrschluss ein, dass eines der großen internationalen Unternehmen das Rennen machen wird, weil die Nutzer zum Beispiel zu PayPal ohnehin das Vertrauen haben. Es bleibt nur die Frage, ob man von Seiten der EU den großen Anbietern erlaubt, sämtliche Produkte aus einer Hand anzubieten, oder ob es da nochmal eine Deregulierung gibt.

Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass die chinesischen Anbieter wie Alipay einen Anlauf auf den europäischen Markt starten. Über die wird momentan noch wenig geredet, aber in Zukunft könnte sich das ändern. Mit Tiktok sehen wir bereits erste Entwicklungen im Social-Bereich. Dort redet die junge Generation schon länger nicht mehr über Facebook. Wir befinden uns an einem Tipping Point. Es wird noch richtig spannend. Und wenn es keine regulatorischen Eingriffe gibt, dann glaube ich nicht mal mehr, dass amerikanische Unternehmen langfristig das Rennen machen.

ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch!

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