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ADTECH

Was können Staaten der Macht von Datengiganten entgegensetzen?

René Weber, 28. Mai 2019
Bild: Exzellenzcluster Normative Ordnungen Matthias C. Kettemann

Die großen, globalen Internetkonzerne haben in den vergangenen Jahren immense Datenschätze angehäuft, extrem viel Geld damit verdient und mitunter erschreckende Machtpositionen erlangt. Wir haben mit Dr. Matthias Kettemann, LL.M. (Harvard) darüber gesprochen, ob diese Situation tatsächlich bedrohlich ist und welche Rolle Staaten dabei einnehmen können und sollten. Kettemann ist Leiter des Forschungsprogramms „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“ am Leibniz-Institut für Medienforschung │ Hans-Bredow-Institut, Hamburg. Er forscht und publiziert zu Internet Governance, Internet- und Medienrecht und Internetpolitik und berät regelmäßig DAX-Unternehmen, Parteien und den Bundestag in Fragen der Internetregulierung, des Medienrechts und des Grundrechtsschutzes in der Digitalität.

ADZINE: Herr Kettemann, welchen Einfluss hat das Thema Digitalisierung auf die aktuelle Lage Deutschlands und der Welt?

Matthias Kettemann: Digitalisierung gibt wichtige Impulse für Wirtschaft wie Gesellschaft und stellt uns vor ganz neue Herausforderungen. Noch haben wir mehr Fragen als Antworten. Etwa: Wie können wir die jungen Menschen fit machen für die Herausforderungen der Arbeitswelt von morgen? Wie können wir den Menschen in seiner Beziehung zu Maschinen und künstlicher Intelligenz verorten? Und wie stellen wir sicher, dass niemand digital abgehängt wird?

Denn Internetzugang ist ein Menschen- und ein Grundrecht. Das zu realisieren, ist aber ein echtes Problem. Weltweit haben 4,4 Milliarden Menschen Internetzugang, aber 3,3 Milliarden noch nicht. 2018 waren fast 95 Prozent aller Haushalte in Deutschland mit Internet ausgestattet; bei den Jüngeren liegt der Nutzeranteil bei Smartphones bei 95 Prozent. Das klingt gut, aber Deutschland hinkt bei der Internetgeschwindigkeit stark hinterher. In Japan und Südkorea haben fast drei Viertel aller Haushalte Glasfaserleitungen, in Deutschland aber nur zwei Prozent. Lange Jahre wurde mit „Made by Mittelstand“ geworben. Heute muss es heißen: „Made by Internet“. Schnelles Internet und ein starker Kompetenzaufbau bei der Nutzung von Internetinhalten sind wichtige Standortfaktoren geworden.

ADZINE: Der Faktor Macht spielt in den internationalen Beziehungen eine wichtige Rolle. Im Falle der digitalen Plattformanbieter wird oft deren Marktmacht diskutiert. Welche Machtfaktoren gibt es denn genau?

Kettemann: Die Macht ist ein ganz prägender Faktor in den Beziehungen zwischen Staaten und anderen Akteuren. Macht ist ja nicht nur die Fähigkeit, seinen Willen gegen Widerstände durchzusetzen, sondern auch die Unterbindung selbst der Artikulation gegenläufiger Interessen. Wer sich nicht als Akteur begreift, der Macht haben könnte, der wird erst gar nicht versuchen, aktiv zu werden. Zu den Machtfaktoren zählen neben Greifbarem wie Geld auch die Herrschaft über Daten, die Kontrolle von Infrastruktur, aber auch die Regelsetzungsbefugnis in Online-Kommunikationsräumen.

Sensibler Umgang mit Macht bedeutet daher auch jene, die sich ohnmächtig und abgehängt fühlen, zu befähigen, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Das kann der Staat dadurch machen, dass er verstärkt die Rechte Einzelner schützt.

ADZINE: Gab es in den letzten Jahren Verschiebungen in der Bedeutung dieser Faktoren? Sind neue Machtfaktoren hinzugekommen?

Kettemann: Eindeutig ja. Das Internet hat bedeutende Verschiebungen im globalen Machtgefüge bewirkt. Es gibt neue Machtvektoren, wie Herrschaft über Daten und die Domainnamenverwaltung, aber auch ganz konkret: Entscheidungsbefugnis über die Regeln, die bestimmen, was man online sagen und sehen kann. Informelle Macht ist ein wichtiger Faktor: Auch Schwarmmacht wird bedeutender. Denken wir an Fridays for Future, hier wird eine neue Art der Macht ausgeübt. Das Internet hat das Vokabular der Machtausübung verändert und neuen Akteuren Macht gegeben, dabei aber auch teils bestehende Macht(miss)verhältnisse repliziert.

Ganz zentral ist, dass ein Mehr an Machtausübung stets mit einem Mehr an Rechtsschutz korrespondieren muss. Wer Macht ausübt, muss Recht befolgen. Recht begrenzt Macht und verfasst die Machtausübung. Diese Erkenntnis – dass online natürlich Recht gilt, dass Bürgerinnen und Bürger sich genauso wie Unternehmen und der Staat im Internet an das Recht halten müssen – setzt sich langsam, zu langsam, durch. So setzten Gerichte etwa dieser Tage Löschungen von Beiträgen großer sozialer Netzwerke Grenzen, wenn die gelöschten Postings vom Recht der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sind. So erinnern Gerichte Internetplattformen an ihre Verantwortung, sich als machtvoller Akteur dennoch stets in dem Rahmen zu bewegen, den das Grundgesetz vorgibt.

ADZINE: Was früher Öl war, sind heute Daten: „Daten sind das neue Gold“ – so hört man oft. Wie bewerten Sie als Jurist diese Aussage? Welche Auswirkungen hat die Ressource Daten auf das Handeln von Staaten?

Kettemann: Daten sind ohne Zweifel eine wichtige Handelsware und wertvoll wie Gold. Allerdings sind Daten auch wieder nicht wie Gold, weil sie immer wieder genutzt werden können und durch Big Data Analytics und maschinelles Lernen große Wertschöpfungspotenziale bestehen. Es ist auch nicht absehbar, dass Daten an Wert verlieren. Ein „Daten-Rush“ im Stile eines „Gold-Rush“, der bald endet, ist nicht absehbar.

Bild: Leibniz-Institut für Medienforschung │ Hans-Bredow-Institut, Hamburg Matthias C. Kettemann

ADZINE: Die großen Internetkonzerne haben durch das konsequente Sammeln von Daten und deren Monetarisierung eine ungeheure Machtfülle erlangt. Wo sehen Sie überhaupt noch Steuerungspotentiale der Staatengemeinschaft im Umgang mit diesen Firmen?

Kettemann: Die Politik denkt zurzeit sehr intensiv darüber nach, wie wir die Wertschöpfungspotenziale von Daten vergesellschaften können. Stichwort: „Daten für alle“. Ist es fair, dass große Unternehmen ohne staatliche Interventionen über Jahre Daten gesammelt haben – und nun den Zugang dazu erschweren? Die meisten Unternehmen hätten grundsätzlich kein Problem damit, Datenbestände nutzbar zu machen, solange datenschutzrechtliche Bedenken ausgeräumt werden können.

Es ist schade, dass die Politik lange geschlafen hat und Unternehmen erlaubt hat, großen Daten zu sammeln, ohne eine gesellschaftliche Rückbindung der Erträge aus der Nutzung dieser Daten sicherzustellen. Start-ups müssen Datenbestände nutzen können, um Geschäftsmodelle erproben zu können. Gesellschaftliche Fragen können besser beantwortet werden, wenn wir mehr wissen. Gerade beim Training von Algorithmen ist es entscheidend, dass gute Daten verwendet werden. Dies bedarf einer kritischen Sichtung der Datenbestände.

Wir haben über die Jahre mühsam via Informationsfreiheitsgesetze gegenüber dem Staat den Zugang zu Daten mit Öffentlichkeitsrelevanz gesichert. Dieser wichtige Schritt muss auch gegenüber Datenbeständen nachvollzogen haben, die Unternehmen kuratieren. „Daten für alle“ als Forderung ist politisch sinnvoll; die Umsetzung muss aber rechtskonform erfolgen.

ADZINE: Folgt man den Diskussionen in der digitalen Werbebranche, so kann man leicht den Eindruck bekommen, dass wir Google, Facebook & Co. kaum noch etwas entgegensetzen können. Wir reagieren vermehrt nur noch und agieren nicht mehr. Wie stehen Sie zum Thema Dramatisierung oder gar Fatalismus? Wie kann man gegen diese Haltung angehen? Gibt es Lehren aus der Rechts- und Politikwissenschaft, die hier weiterhelfen?

Kettemann: Das sehe ich eher als Mythos an, der von verschiedenen Seiten gepflegt wird. Unternehmen freuen sich, wenn sie für mächtig gehalten werden; und Staaten können dann auf ihre Regelungsunfähigkeit verweisen, anstatt dafür gerade zu stehen, warum sie die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht schützen. Wir – als Gesellschaft, als Staaten – müssen reagieren. Weder Dramatisierung noch Fatalismus helfen. Die großen amerikanischen – und die chinesischen – Internetunternehmen haben die Online-Kommunikationswelt wie die Online-Werbewelt natürlich fundamental verändert, aber weiterhin gilt das Recht. Wichtige Urteile – zum Recht auf Vergessen, zu Speicher- und Datentransferpraktiken sozialer Netzwerke – zeigen den richtigen Weg hin zu einer grundrechtsorientierteren Ausgestaltung des Online-Kommunikationsraums.

Das Internet war einmal ein Raum für utopische Zukunftsvorstellungen, von Facebook-Revolutionen war die Rede. Am Wesen des Internets wird die Welt nicht genesen, aber eines ist klar: Weder große Internetunternehmen noch die Alleingänge einzelner Staaten bedrohen das Internet, wie wir es kennen, fundamental. Wir müssen die Stabilität und Sicherheit, die Funktionalität und Integrität des Internets schützen und Online-Kommunikationsräume so gestalten, dass für den gesellschaftlichen Zusammenhalt essenzielle demokratische Prozesse Raum und Resonanz finden. Nicht Cyberwar und das Darknet sind die größten Gefahren für unsere heutige Gesellschaft, sondern Apathie einerseits und Radikalisierung andererseits. Hier müssen wir gesellschaftlich gegensteuern und jene, die sich abgehängt fühlen, nicht den politischen Randkräften überlassen. Denn die haben gelernt, auf der Klaviatur der sozialen Medien sehr effektiv zu spielen.

Recht und Menschenrechte gelten online wie offline. Die Zeit der Utopie ist ebenso zu Ende wie die Zeit der demoralisierenden Tristesse. Seien wir realistisch und packen wir die Probleme des Online-Kommunizierens mit dem klaren Ziel an, eine kreative Welt voller Vielfalt im Netz zu sichern.

ADZINE: Schönes Schlusswort, vielen Dank für das Gespräch, Herr Kettemann!

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