Game of Fraud: Ein Lied von Selbstbetrug und gesundem Menschenverstand
Francois Roloff, 29. Mai 2019Kaum eine Woche vergeht in der digitalen Mediawelt, in der Programmatic Advertising nicht verheißungsvoll als Heilsbringer und Zukunftstechnologie besprochen wird. Kein Wunder, schließlich herrscht seit geraumer Zeit unter gewissen Marktteilnehmern eine regelrechte Goldgräberstimmung. Warum ist das eigentlich so, werden Sie sich jetzt fragen? Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd. Weil Programmatic es dank geringer technischer Hürden leicht macht, jemandem ein X für ein U vorzumachen.
Noch deutlicher formuliert: Die investierten Budgets steigen und steigen, nur leider will – oder kann – oft niemand so ganz genau wissen, woher all die Klicks, Impressions, Views und Downloads in den verfügbaren Reportings tatsächlich gekommen sind. Anleitungen, wie man im Handumdrehen eine URL oder einen App-Namen zu “erzeugt”, auch wenn diese bereits vergeben sind, finden sich reichlich im WWW. Die uralte Forderung nach mehr Transparenz im Mediageschäft hat deshalb kein bisschen an Aktualität eingebüßt. Nun hat sich herausgestellt, dass sich Geschichte auch in der Werbung wiederholt: Die Technik war willig, die menschliche Kraft dahinter aber leider schwach.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Ja, es stimmt: der Markt bewegt sich mit vereinzelten Initiativen in die richtige Richtung, wie CAAF, Ad Alliance und andere belegen. Allerdings mutet die Bewegung weniger dynamisch als notwendig an. Nach wie vor arbeiten blinde oder semi-blinde Netzwerke ohne jegliches Impression-Reporting mit Klicks aus dem sprichwörtlichen Nirvana, mit wundersamen Installs und anderen vermeintlichen Nutzerinteraktionen. Leider hat nichts davon mit echten Menschen zu tun, die Interaktionen werden durch “Click-Injection” und andere “Hacks” den transparenten Marktakteuren gestohlen.
Solange diese Art Fraud beim Kunden abgerechnet werden kann, ist der Markt weiterhin auf Kollisionskurs. Dies gilt leider auch für programmatisch gehandelte Werbeflächen, ganz egal ob Video oder Display. In-App Placements können nur mit einem entsprechenden SDK oder integriertem Tracking zielführend analysiert werden.
Lücken im System: Eine Einladung zum Missbrauch
Kriminelle Energie ist dem Streben nach Transparenz längst mehrere Schritte voraus. SSPs bieten, unwissend oder auch nicht, unter falschem Namen Inventare, oder verkaufen gleich solche Formate, die es nach jeder vernünftigen Überlegung im entsprechenden Inventar gar nicht geben kann. Wer glaubt, dass jede SSP am Ende doch auch das Vertrauen der Kunden und Partner im Fokus haben sollte, wird als naiv enttarnt. Was für viele Marktteilnehmer im noch immer eher dunkel- als blassgrauen Programmatic-Markt zählt, ist der Werbedollar.
Der Widerstand auf professioneller Seite ist eher gering: Sowohl DSPs als auch SSPs skalieren ihr Angebot über Self-Service-Angebote. Oft wird angeschlossen, wer angeschlossen werden will. Zudem werden die Weiterleitungsketten dank Programmatic immer länger. Dieses Geschäftskonzept verstehen kreative Kriminelle als Einladung zur Suche nach der Lücke im System. Und die zu finden, ist denkbar einfach. Jeder angebundene Adserver, jeder integrierte Tracking-Anbieter, jeder zusätzliche Server mit Dynamic Creatives ist eine potenzielle Schwachstelle.
Kooperation der Akteure, Qualitätsstandards und gesunder Menschenverstand
Advertisern und Werbetreibenden bleibt kaum eine Wahl, als eine Wagenburg gegen diese Art von Geschäftsgebaren zu bauen: Es gilt, nicht länger gutgläubig auf angelieferte Excel-Listen, Plattformreportings oder auf Grafiken von Dashboards zu vertrauen. Wir sollten diese Ergebnislisten mit allem gesunden Menschenverstand anzweifeln, der uns zur Verfügung steht.
Bot-Netze mit maskierten Domains ergaunern täglich Millionen Euro Werbebudgets. Wo immer möglich, sind nachhaltige Beziehungen aufzubauen und zu schützen, ganz klassisch, persönlich zwischen Publisher oder Vermarkter und Advertiser. Zusätzlich sollte in Private Marketplaces nach bestimmten, unternehmensweit definierten Kriterien eingekauft werden, am besten auf Basis fixer Inventar-Cluster. Self-Service-DSPs sowie technische Blocker stellen Marketer oft vor Hürden, die bei DSPs mit erfahrenem Personal im Hintergrund vermieden werden können. Die Anzahl der programmatischen Stakeholder wächst, wodurch spezialisiertes menschliches Know-how von kaum einer Self-Service-Lösung substituiert werden kann.
Experten können Set-up-Fehler bei Kampagnen im Zusammenspiel zwischen Open Market, PMPs und Daten reduzieren und die Kampagnenziele, unter Einhaltung qualitativer Standards, erreichen. Initiativen wie Ads.txt sind begrüßens- und unterstützenswert, wenn auch für App-Traffic noch keine Lösung gefunden wurde und an dieser Stelle weiterhin vor allem vertrauenswürdige Supply-Partner und Vermarkter gefragt sind.
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