Auf der Adtrader Conference 2019 ging es wieder um die Fragen, wie Mediaangebot und Medianachfrage in Zukunft zusammenkommen und welche Rolle Technologie dabei spielt, die Programmatic-Technologie insbesondere.
Der gesamte Mediamarkt hat sich in den letzten 10 Jahren stark verändert, lokale Medienanbieter konkurrieren schon lange nicht mehr nur untereinander. Sondern mit Plattformanbietern, die oft auch gleichzeitig Partner der Medien sind, zumindest temporär.
Bei genauerer Betrachtung sind es aber nicht nur die einzelnen Marktteilnehmer, sondern ganze nationale Märkte, die mit den globalen Marktplätzen und Mediavermittlern im Wettbewerb stehen.
Daher die Leitfrage der Adtrader Conference 2019:
Wie kann es nationalen Märkten und ihren Beteiligten gelingen, mit Hilfe von Programmatic Technologie die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produkte zu steigern und Werbung auch in Zukunft als verlässliche Erlösquelle für lokale Medien zu erhalten?
Lage der Nation
Tim Ringel, Global CEO der Agentur Reprise Digital, holte die Konferenz jedoch schnell wieder in die Realität zurück. Der Wachstum des digitalen Werbemarkts ist stark durch Search und Social getrieben – zwei Kanäle, die fest in der Hand der großen US-Anbieter liegen. Was bleibt dem deutschen Werbemarkt also übrig? Ringel sieht in erster Linie Programmatic Advertising als noch nicht verlorene Schlacht an, macht sich allerdings Sorgen, dass zu starke Regulierungen den US-Playern in die Hände spielen. „Der Markt wird von Plattformen beherrscht, die wir nicht kontrollieren können“, warnt Ringel.
Ein Vorteil, den die GAFAs (Google, Amazon, Facebook, Apple) vor den nationalen Angeboten haben, sind ihre aggregierten Nutzerdaten. Damit hiesige Login-Allianzen es schaffen, eine ähnliche Reichweite aufzubauen, wie sie Facebook und Google dank ihrem Login genießen, müssten nach Ringels Meinung Mehrwerte geschaffen werden, an denen der Konsument genügend Interesse hat, um seine Daten preiszugeben.
Europäische Zusammenarbeit bei digitalen Herausforderungen
Einen anderen Ansatz verfolgt Dr. Anselm Rodenhausen, Legal & Policy Officer bei der Europäischen Kommission. Er sieht die Möglichkeiten des deutschen Marktes in der besseren Vernetztheit mit anderen europäischen Ländern. Ein häufiges Argument für große Plattformlösungen, das Werbetreibende anführen, ist die Skalierbarkeit. Lokale Anbieter ließen sich nur unter höherem Aufwand in die internationale Strategie der Brands einbinden.
Rodenhausen argumentiert, dass durch die Harmonisierung der europäischen Unternehmen Wachstum generiert werden können. Durch Regulierungen wie der DSGVO soll es nationalen Unternehmen leichter gemacht werden, in anderen europäischen Märkten Fuß zu fassen, da die gesetzlichen Grundlagen dieselben sind.
Regulierungen: Chance und Hemmnis zugleich
Dass jedoch Regulierungen ein zweischneidiges Schwert sein können, weiß Thomas Duhr, Vizepräsident des BVDW. In der Vergangenheit hätte man hier immer wieder Fehler begangen. So sei die DSGVO ein gut gedachtes Gesamtsystem, übe aber vor allem Druck auf kleine Player in Europa aus. Dies sei bei all den Harmonisierungsbestrebungen der europäischen Politik bislang fast immer so gewesen und würde eine Schwächung der europäischen Unternehmen und eine gleichzeitige Stärkung außereuropäischer Player mit sich bringen.
Dabei wären Regelungen eine große Stärke von Europa und Deutschland, erklärt Duhr. So hätte sich der Programmatic Code of Conduct zu einem Exportprodukt entwickelt. Adaptionen in Polen, Niederlande und Großbritannien seien in Planung.
Regulierungen, die auf europäischer Ebene ausgehandelt werden, stehen jedoch häufig im Kontrast zum schnelllebigen Digitalmarkt. Konkurrenten auf dem europäischen Markt, wie China oder die USA, hätten diesbezüglich schnellere Entscheidungszyklen, erklärt Anselm Rodenhausen.
Vermarkter bauen eigene Tech Stacks
Abgesehen von den Regulierungen auf politischer Ebene nehmen auch lokale Vermarkter das Zepter in die Hand und entwickeln Lösungen, um sich gegen internationale Player wie Google zu schützen. Dabei setzen viele deutsche Vermarkter zunehmend auf eigene Technologielösungen. So baut ProSiebenSat.1 einen eigenen Adtech-Stack auf, um sich digital stärker zu vermarkten und bessere Preise zu erzielen. Aus diesem Grund habe man in Virtual Minds investiert, bestätigt Alen Nazarian, CTO von SevenOne Media.
Auch bei Ströer entwickelt man neue Technologien nicht nur aus dem Grund, ein Produkt „made in Germany“ zu haben. Abdelkader Bajiji, SVP Product Management Digital & Data, will mit lokalen Anbietern schneller und flexibler arbeiten, setzt aber auch weiterhin auf internationale Unternehmen bieten, um die Skalierbarkeit zu gewährleisten.
Julian Simon, Mitgründer von Mediascale, warnt jedoch vor zu vielen Eigenlösungen: „Wir tun uns keinen gefallen, wenn wir immer mehr verschiedene Systeme bauen. Wir tun gut daran, uns in dem Markt enger zusammenzuschließen.“ Hier würde jedoch das Kartellrecht häufig noch den ein oder anderen Riegel vorschieben. Initiativen wie Verimi und die netID seien jedoch gute Ansätze, die unterstützt werden müssten.
Adtech bei Publishern
„Wir als Adtech-Unternehmen müssen die Herausforderung annehmen, innovativ zu sein. Das können Publisher allein nicht leisten“, proklamierte Dirk Kraus im Panel.
Wenn es nach Meinung der Technologieanbieter geht, können sich Publisher allerdings auch nicht über ein mangelndes Angebot an Adtech-Innovationen beschweren. Sebastian Knauf findet: „Wir haben im Markt ein riesengroßes Angebot, das sich ausbreitet. Die Risikobereitschaft fehlt einfach.“ Zudem würde auf der Demand-Seite häufig das Wissen fehlen, um das Gebotene zu nutzen.
Den Vorwurf an Publisher, zu wenig in Adtech zu investieren, möchte Dr. Oliver Vesper so nicht stehen lassen. Dafür brauche es schließlich viel Kapital, was die meisten Publisher alleine nicht stemmen können. Seine Lösung: „Im Zusammenspiel zwischen Publisher und Vermarkter und deren Adtech-Anbietern kann man sehr gut Innovationen anbieten. Solche Dinge kann man sich vornehmen und hat gleichzeitig die Chance, im Driver Seat zu bleiben.“
Mario Gebers plädiert ebenfalls für mehr Zusammenarbeit: „Es kommen gute Ideen von Publishern. Tech-Anbieter können dabei die Skalierung bieten, um die Innovationen großflächig auszurollen.“
Inhousing bleibt Teamarbeit, auch mit Agenturen
Auch auf Advertiser-Seite geht der Trend hin zu mehr Technologieexpertise im eigenen Haus. Rund 60 Prozent der deutschen Unternehmen denken nach aktueller Umfrage darüber nach, das digitale Advertising im eigenen Haus zu verwalten. Der Heizungshersteller Viessmann und Teufel Lautsprecher sind bereits zwei Unternehmen, die sich Expertise im eigenen Haus aufgebaut haben, um eigenverantwortlich zu werben.
Trotz Inhousing setzen beide Unternehmen jedoch auf Agenturen, um skalierbar zur werben, ihre eigene Expertise zu ergänzen und zu erweitern sowie schneller auf Entwicklungen zu reagieren.
Daniela Tollert, Chief Digital Officer bei GroupM Germany, sieht Inhousing nicht als Gefahr für den Agenturmarkt. Vielmehr wünscht sie sich mehr Kunden, die Inhouse-Expertise mitbringen: „Wir haben als Agenturen eine sehr breite Kundenbasis und werden täglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Dadurch baut sich schnell Know-how auf. Leider fehlt es ein wenig in der Tiefe. Da wissen die Kunden meist mehr als wir. Wenn man Agentur- und Kundenseite miteinander verbindet, kann man den optimalen Kampagnenerfolg erzielen.“
Die Motivation für Inhousing sollte nicht darin bestehen, Kosten zu sparen, warnt Tim Ringel – denn auch der Aufbau von Kompetenz kostet. Der richtige Grund sei die Nähe zum Produkt. Dann reiche es jedoch nicht, nur Programmatic im eigenen Haus abzubilden. Search und Social sollten genauso hier stattfinden. Und auch dann ist nicht jedes Unternehmen geeignet, um Programmatic, Search und Social allein im eigenen Haus abzubilden, meint Ringel: „Ich sehe unglaublich viele Digital-First-Unternehmen, die inhouse begonnen haben, aber aufgrund ihres globalen Footprint nicht ohne Agenturpartner auskommen.“
Ohne Daten kein Geschäft?
Wie wichtig Agenturen in der Zusammenarbeit mit Marken sind, hebt Sacha Berlik, Managing Director EMEA von The Trade Desk hervor. Sie haben seines Erachtens einen guten Job gemacht, ihren Kunden den Wert ihrer Daten näherzubringen.
Doch der eigene Datenreichtum reicht häufig nicht, um mit Google und Co. zu konkurrieren. Häufig gehen Nutzerdaten bei der Synchronisation von Cookies verloren. Abhilfe sollen ID-Lösungen wie die Unified ID oder der Digitrust liefern, die Cookie-Pools bieten wollen, bei denen möglichst viele Marktteilnehmer ihre Cookies durch eine ID miteinander verknüpfen können. Hier durch sollen die Matching-Raten signifikant verbessert und das Nutzerverhalten auch webseitenübergreifend nachvollziehbar gemacht werden.
Noch ein Stück weiter gehen die Login-Allianzen netID und Verimi. Nutzer, die sich hierüber einloggen, könnten problemlos über die teilnehmenden Seite getrackt werden – auch ohne Cookies. Doch um die Allianzen ist es leise geworden. Jens Depenau, Director Data Consulting bei der Omnicom Media Group (OMG), fragt sich: „Ich lese seit einem Jahr über Verimi und netID. Was ist eigentlich das Vermarktungskonzept? Wann startet die Vermarktung?“
Die Antwort darauf kann auch Carsten Schwecke, der Chef vom Axel-Springer-Digitalvermarkter Media Impact, nicht geben: „Beide basteln da noch dran. Wir müssen uns überraschen lassen, wer da schneller in die Pötte kommt.“
Ebenfalls stellen sich Fragen zur Methodik: Wie granular sind die Segmente? Welche sind möglich?
Ungeklärte Fragen, auf die die Login-Allianzen hoffentlich noch 2019 eine Antwort geben.
Neue Kanäle, neue Chancen
Programmatic Advertising beschränkt sich nicht mehr nur auf die Display-Werbung. Auch auf Kanälen wie Digital-out-of-Home (DOOH), Radio und TV wird zunehmend programmatisch gehandelt. Selbst per Post lassen sich mittlerweile Werbebriefe mit der Targeting-Genauigkeit von einem Häuserblock verschicken. Lars Schlimbach, Leiter Business Development bei der Deutschen Post, beschreibt die Verquickung von Online-Nutzerdaten mit dynamisch generierten Mailings scherzhaft: „Bei uns heißen Media-Spendings 'Porto'. Der Adserver ist der Postbote.“
Doch bei all den Möglichkeiten, die Programmatic Advertising in den „neuen“ Kanälen bietet, mahnt Janine Liu, Managing Partner Product, Technology & Programmatic bei Mediacom, zur Besonnenheit: „Wir dürfen nicht Schritt zwei vor Schritt eins machen. Programmatic Targeting ist noch zu fragmentiert und skaliert nicht gut genug bei Audio, DOOH und TV.“
Die Herausforderungen annehmen
Die Adtrader Conference hat aufgezeigt, dass die Programmatic-Branche in Deutschland 2019 vor schwierigen Herausforderungen steht, sich jedoch ihrer Verantwortung bewusst ist. Klar ist, mit Social und Search fest in den Händen der US-Unternehmen bietet Programmatic Advertising dem europäischen Markt die einzige Möglichkeit, auch in Zukunft in der digitalen Werbung relevant zu sein. Das Jahr ist noch jung und wird zeigen, ob die Branche die Herausforderungen annimmt und wie sich der Markt und die Player im Programmatic Game schlagen.
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