Die Dominanz von GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple), mehr Standardisierung unter Vermarktern und eine gemeinsame Datenbasis... Tim Ringel, Global CEO der Mediaagentur Reprise Digital, spricht im Interview mit ADZINE über die Entwicklungsmöglichkeiten und Herausforderungen denen sich der deutsche Werbemarkt stellen muss.
ADZINE: Der deutsche Werbemarkt wächst, doch das Wachstum kommt nicht bei den digitalen Medien an. Stattdessen profitieren die US-Player. Warum?
Tim Ringel: Die Big Four nehmen natürlich dem fragmentierten Werbemarkt die Butter vom Brot. Das liegt zum einen daran, dass die technologischen Plattformen nicht in der Form reguliert werden, wie die deutschen Vermarkter. Zum anderen bieten sie eine Vielzahl an Funktionen und Angeboten in einem Stack. Bei Google bekomme ich Search, Display, Analytics und, aufgrund von YouTube, auch Social aus einer Hand. Werbetreibende und Agenturen mögen einfach den Komfort, den diese Lösungen bieten.
Wir versuchen teils bewusst auch andere Anbieter zu testen, auch wenn das mit mehr Arbeit verbunden ist, weil beispielsweise die Usability durch das Interface zu schlecht ist oder Ähnliches. Am Ende sind wir als Agentur jedoch dazu verpflichtet, den Kunden dazu zu verhelfen, die beste Leistung für ihr Geld zu bieten.
Die komfortable Bedienung der Lösungen wird dadurch extrapoliert, dass wir Daten erhalten, die Werbetreibende von deutschen Vermarktern, zumindest in dieser Form, nicht bekommen. Zusätzlich können wir diese Daten auch innerhalb der Ökosysteme teilen und transferieren – zum Beispiel von Search zu Display bei Google oder von Facebook zu Instagram. Das ist einer der Hauptgründe. Dazu haben wir als Agentur manchmal gar keine andere Wahl, da Unternehmen wie Google unsere KPIs in ihren Ökosystemen wesentlich besser messbar machen.
Zudem fragen immer wieder CMOs aktiv nach, ob wir auch genügend Geld für Google und Facebook ausgeben, weil sie dort die Audience erwarten. All diese Faktoren treiben die Konsolidierung der großen Plattformen voran.
ADZINE: Gibt es denn für deutsche Vermarkter überhaupt Möglichkeiten, wie sie den GAFAs entgegentreten können?
Ringel: Search und Social sind fest in den Händen der US-Player und daran wird sich wohl auch nichts ändern. Anders sieht es im Bereich Programmatic Advertising aus. Wenn wir heute gezwungen sind, bei Google 95 Prozent in Sachen Search auszugeben und 60 bis 70 Prozent unseres Social-Etats ins Facebook-Universum zu stecken, ist es im programmatischen Bereich völlig anders. Programmatisches Inventar findet man eigentlich überall. Die Frage ist nur, welche Exchange bietet das beste Inventar und die besten Vereinbarungen mit den Publishern. Hier sehe ich Potenzial, dass deutsche Vermarkter den US-Anbietern Wasser abgraben können.
Die deutschen Vermarkter müssten dafür mit ihren SSP-Lösungen aktiv in Bewegung kommen und sich neben ihrem eigenen Publishing-Universum weiter öffnen, um ihre Technologielösungen auch in Fremduniversen zu bringen. Mir als Werbetreibender ist es doch egal, ob ich bei Google oder IP biete, solange ich das richtige Placement und die richtige Audience finde.
Wenn es irgendeinen Krieg gibt, den die Vermarkter noch gewinnen können – sie werden keine Suchmaschine starten, sie werden kein Social Network starten –, ist es das programmatische Game.
ADZINE: Reicht denn aber eine reine Umstellung auf Programmatic, um mit Google und Co. zu konkurrieren? Was muss noch passieren?
Ringel: Wir brauchen besseres Data Sharing in Deutschland. Ich bin bei diesem Thema zwiegespalten. Einerseits möchte ich als Werbetreibender die bestmöglichen Daten bekommen. Andererseits sehe ich, wie hier in den USA mit Daten umgegangen wird, und möchte nicht, dass Deutschland diesen Antrieb für Data Security und Privacy aufgibt.
Es tut natürlich der Werbebranche in Deutschland massiv weh, dass sie nicht konkurrenzfähig mit Google und Co ist. Selbst wenn sich die Single-Sign-on-Allianzen durchsetzen, ist das Angebot trotzdem nicht konkurrenzfähig, weil es nicht über die Intent-Daten verfügt, die Google hat. Die Telekom-Suche ist die einzige Intent Database, die in Deutschland noch besteht. Wenn man diese Datenbank mit den Daten aus dem Single-Sign-on kombinieren könnte, wäre schon ein wichtiger Schritt getan. Die Vermarkter werden trotzdem niemals so gut targeten können wie Google. Das müssen sie allerdings auch nicht, wenn sie wenigstens ihr Inventar schützen. Die Empfehlung müsste also sein, sich zwar programmatisch zu öffnen, aber seine Seele nicht an Google zu verkaufen.
ADZINE: Sie haben die Single-Sign-on-Allianzen angesprochen. Wie kann es gelingen, möglichst viele Nutzer dafür zu gewinnen. Das größte Argument scheint bisher zu sein, dass sie mehr Datensicherheit bieten.
Ringel: Die Datensicherheit hervorzuheben ist die völlig falsche Argumentation für Konsumenten. In dem Moment, in dem man dem Konsumenten einen Login bietet, der die Daten sicherer macht, erzeugt man in ihm automatische eine Angst um die Sicherheit seiner Daten.
Die GAFAs dieser Welt liefern dagegen additive Services, dass es den Kunden am Ende gar nicht interessiert, ob seine Daten in dem Universum geteilt werden. Meiner Meinung nach müsste man die netID mit One-Click-Payment and Order kombinieren, sodass Kunden mit einem Klick in allen relevanten Shops auf Basis der netID bezahlen können. Das ist der einzige Weg, den es gibt, einen Mehrwert zu bieten. Ein neues „Maps“ braucht niemand und lässt sich auch gar nicht umsetzen. In Deutschland ist dagegen die Kreditkartenpenetration verglichen mit vielen anderen Märkten marginal. Die EC-Karte dominiert. Fast jede Lösung der US-Player benötigt jedoch in der Regel eine Kreditkarte. Hier könnte die netID, über die andere Zahlungsmöglichkeiten zum Einsatz kommen, punkten.
ADZINE: Wenn Programmatic Advertising der einzige Bereich ist, in dem deutsche Vermarkter GAFA das Wasser abgraben können, warum wird dann nicht stärker in diesen Markt investiert?
Ringel: Die meisten großen Vermarkter sind entweder selbst an der Börse oder Töchter von gelisteten Unternehmen und müssen dadurch Quartalsergebnisse liefern. Und die Technologisierung wie auch das Schaffen von Allianzen kostet richtig viel Geld. Wenn alle jedoch quartalsgetrieben denken, kann eine wirkungsvolle Alternative zu Google nicht zustande kommen. Es haben längst nicht alle Vermarkter den Schneid, konsequent ihren Digitalbereich auszubauen und das Geschäft langfristig auszurichten.
ADZINE: Was können sich lokale Vermarkter von Google und Co. abgucken?
Ringel: Generell muss ich sagen, dass Google und Facebook für uns extrem gute Partner sind – in vielen Fällen bessere Partner als die Vermarkter. Ich spreche fast jede Woche mit Mitarbeitern von Google, Amazon und Facebook, um neues über Produkte zu erfahren, zu brainstormen und exklusive Technologien zu entwickeln, die wir zusammen mit ihnen bauen können. Ich habe es noch nie erlebt, dass sich ein Vermarkter aktiv mit uns zusammensetzen will, um so etwas anzustoßen.
Sowohl Google als auch Facebook bieten zudem eine Menge Zertifikate zur Weiterbildung für unsere Mitarbeiter. Wir haben letztes Jahr bei Reprise 2.300 Google Zertifikate abgeschlossen. Das sind alles Trainings, die online abgewickelt werden.
Für deutsche Vermarkter wäre daher die Angleichung ihrer Formate ein weiterer wichtiger Schritt. Man muss zumindest eine Sprache sprechen, um etwas gemeinsames zu entwickeln. Solange Vermarkter nicht als eine Einheit arbeiten, können auch keine Zertifikate entwickelt und auch keine neuen Fachkräfte darin ausgebildet werden. Es fängt ja bei den Menschen an. Wenn sie nicht wissen, wie eine Plattform funktioniert, sind die Adoption Rates extrem klein. Das heißt, wenn man Mitarbeiter nicht entsprechend trainiert und ihnen die Vor- und Nachteile sowie Funktionen und Werbeformate nicht beibringt, warum sollten sie ein Angebot dann nutzen? Außer den Vorgaben des BVDW gibt es bisher keinen Standard für Programmatic Advertising außerhalb von Google und Co. Dabei könnte eine gemeinsame Basis sogar noch einen weiteren Vorteil gegenüber GAFA bieten.
ADZINE: Welchen?
Ringel: Google und Facebook messen die Viewability und die Klickraten völlig anders und rechnen nach anderen Metriken ab. Das regt unsere Kunden wahnsinnig auf, weil keine Vergleichbarkeit gegeben ist. Wenn sich lokale Vermarkter über Formate, Abrechnung und Messung einigen würden, dann wäre das schon ein riesiger Schritt, konkurrenzfähiger mit den großen US-Playern zu werden. Die AGOF versucht zwar Standards zu setzen, aber es fühlt sich nicht standardisiert an. Wenn diese Standards vorhanden sind, können auch Trainings angeboten werden, um die Adoption zu steigern.
ADZINE: Herr Ringel, besten Dank für das Gespräch und die Insights! Wir sehen uns auf der Adtrader.
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