Digitale Werbevermarktung: Premiumgeschäft für die Zukunft sichern
Frederik Timm, 30. Januar 2019Deutsche Vermarkter sind unter Druck. Auf der einen Seite stehen sie vor einem Gezeitenwechsel, bei dem das klassische IO-Geschäft, das bisher für stabile und gute Umsätze sorgte, langsam immer weiter der automatisierten Anzeigenbuchung weicht. Auf der anderen Seite verlangen Agenturen und Werbetreibende nach innovativen Produkten und einheitlichen Datenlösungen. Die Herangehensweisen der Verkaufsseite an diese Herausforderungen unterscheiden sich dabei teils stark voneinander.
Den Premium-Vorteil durch Standards stärken
Für Abdelkader Barjiji, SVP Product Management Digital & Data von Ströer Media Solutions, des reichweitenstärksten Digitalvermarkters in Deutschland, steht fest, dass derzeit internationale Player überproportional vom Programmatic-Advertising-Trend profitieren. Um dem zu begegnen, müssten die lokalen Vermarkter und Technologieanbieter nach Barjijis Meinung zur treibenden Kraft im Programmatic Advertising werden.
„Die Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Größe und damit Relevanz, um am Markt ein echtes Gegengewicht zu dominanten internationalen Playern zu bilden“, erklärt Barjiji. „Um dies zu erreichen, benötigen wir gemeinsame Standards für das Programmatic Advertising.“
Den größten Vorteil würden lokale Player jedoch mit ihren Premium-Inventaren ausspielen. Barjiji dazu: „Eine Konsolidierung der Premium-Inventare bietet das Potenzial hierfür, Standards hinsichtlich Werbeformen, Qualitätsmessung etc. zu definieren und am Markt durchzusetzen. Nur so erlangen wir Unabhängigkeit und Kontrolle zurück.“
Durch den Kauf mehrerer deutscher Vermarktungshäuser – insbesondere durch die Übernahme von Interactive Media im Jahr 2016 – hat sich Ströer in den letzten Jahren ein Portfolio mit der größten AGOF-Reichweite aufgebaut und so zumindest teilweise für eine Konsolidierung im Markt gesorgt. Dennoch ist das nicht ausreichend. Vielmehr sind es Zusammenschlüsse aus möglichst vielen Vermarktern, die Standards im deutschen Werbemarkt ermöglichen. Die Ad Alliance, bestehend aus den Medienpartnern IP Deutschland, G+J e|MS, Smartclip, Ligatus und Spiegel Media, ist ein Beispiel dafür, wie ein Qualitätsportfolio aus TV, Print, Online und Mobile von unterschiedlichen Vermarktern für einheitliche Werbeausspielung genutzt werden kann.
Neben der Standardisierung von Werbeformen, benötige der deutsche Markt auch Kooperationen im Datenbereich, merkt Barjiji an, um ein relevantes Datenangebot zu etablieren und so das Programmatic Advertising „hierzulande zu enabeln“.
Die Login-Allianzen netID und Verimi sind zwei solcher Verbände von Unternehmen und Vermarktern, die Nutzern eine einheitliche Plattform bieten, um die über sie gesammelten Daten zentral zu verwalten. Auf Advertiser-Seite bieten die Allianzen die Möglichkeiten, Nutzer mit einer übergreifenden ID über die teilnehmenden Webseiten und Angebote der Teilnehmer hinweg zu verfolgen und – eine entsprechend große Anzahl von Teilnehmern vorausgesetzt – ein Targeting zu bieten, dass mit den GAFAs mithält und gleichzeitig dem Nutzer mehr Transparenz bietet.
Die Programmatic-First-Strategie
Dass eine rein programmatische Vermarktung schon heute möglich ist, zeigt der Fall von gutefrage.net, einer Tochterseite der Holtzbrinck Digital Content Group. CSO Markus Forster erklärt: „Wir haben unsere Vermarktungsstrategie vor 2,5 Jahren komplett geändert und vermarkten zum Beispiel gutefrage.net mit einem Programmatic-First-Ansatz. Das bedeutet, dass wir unser gesamtes Inventar programmatisch verfügbar machen und der Demand Side anbieten. Direkte Kampagnen werden in unserem Modell nicht bevorzugt behandelt.“
Dafür wurde die komplette Vermarktung ins eigene Haus verlagert und über die zweieinhalb Jahre ein Team aus Programmatic-Experten aufgebaut, die den komplexen Technologie-Stack der Gruppe verwalten. Hier werden sowohl das Inventar als auch Daten programmatisch angeboten. „Wir vermarkten unser Inventar heute schon zu knapp 90 Prozent programmatisch und das mit sehr großem Erfolg“, erklärt Forster. Die Ergebnisse seien eine gesteigerte Monetarisierung, Transparenzgewinn und Kostenersparnis. „Durch die Unabhängigkeit in der Vermarktung konnten wir durch das Zusammenspiel von Produkt und Werbung auch das Nutzererlebnis auf ‚gutefrage‘ nachhaltig positiv beeinflussen.“
Wie Forster im Interview mit ADZINE ausführt, stammt der Großteil der Einnahmen aus dem sonst als „Resterampe“ verschrienen Open Market. Direct Deals, das programmatische Äquivalent zum klassischen Mediaeinkauf, kämen nur noch zum Einsatz, wenn man Einkäufer langsam an den automatisierten Anzeigenkauf heranführen wolle.
Qualität verlangt nach alternativen Lösungen
Eine andere Meinung vertritt Andreas Küenle, Geschäftsführer des Berliner Vermarkters Netpoint Media. In seinem Haus werden aktuell 30 Prozent des Inventars programmatisch gehandelt und das größtenteils über Direct Deals. Programmatic- und Direkt-Geschäft seien dabei gleichgeschaltet. Für Küenle benötigen die Premium-Inventare der Verleger, wie er Publisher nennt, alternative Vermarktungsmethoden. Programmatic allein würde dem nicht gerecht: „Schon allein die Vokabel 'Publisher' suggeriert, dass im programmatischen Handel von Werbeplätzen der deutsche Markt eine untergeordnete Rolle spielt“, kritisiert Küenle.
Publisher und Vermarkter würden in einen Topf geworfen und beide als reine Lieferanten von möglichst „sauberem“ Inventar betrachtet, während Inhalte und Vermarktungskonzepte in dieser Mediawelt eine untergeordnete Rolle spielen würden. „Das ist schade, denn viele der deutschen Verlagshäuser und Redaktionen erbringen tagtäglich vorbildliche Leistungen in Sachen vielfältiger und hochqualitativer Berichterstattung. Das sollte dem schnellen 'Click' nicht geopfert werden.“
Küenle sieht an dieser Stelle die Vermarktungshäuser in der Verantwortung, die programmatische Vermarktung auszubauen und zu fördern, aber auch im Gegenzug die individuelle Vermarktung einzelner Objekte nicht zu vernachlässigen. „Vielfältige Vermarktungsstrukturen fördern den Standort Deutschland, zumindest aus Verlegersicht.“
Mangelnde Innovation?
„Was wir vermissen, ist eine gewisse Innovationsfreudigkeit der Publisher,“ bemängelte erst vor Kurzem Lothar Prison, Chief Digital Officer von Publicis Media. In der Praxis würde es nicht vorkommen, dass Publisher auf seine Agentur zukämen, um etwas Neues auszuprobieren.
Die Gründe dafür sieht Markus Forster in dem immer noch fortlaufenden Umstellungsprozess von IO auf Programmatic: „Der programmatische Ein- und Verkauf von Inventar erfordert in vielerlei Hinsicht ein Umdenken sowohl auf der Demand als auch auf der Supply Side. Über Jahrzehnte gelernte Praktiken können nicht 1:1 aus der ‚alten‘ IO-Welt in eine programmatische Welt übersetzt werden. Damit haben sicherlich einige Publisher, aber auch Agenturen zu kämpfen.“
Für Andreas Küenle liegen die Gründe dafür eher in der Dominanz der großen US-Player. Aus Angst davor, nicht mehr mit den Vorgaben der großen US-Plattformen konform zu sein und dadurch vom Verkauf des Inventars ausgeschlossen zu werden, käme die Innovation mehr von den GAFAs als von einzelnen Publisher.
Letztendlich würden viele der Publisher den Spielregeln und Vorgaben eines Digitalgiganten folgen. "Gemäß dem Motto 'One size fits all' wird die Vermarktung weitestgehend standardisiert und alternative Geschäftsmodelle mit möglichen Restriktionen belegt. Innovationsfreude kann unter diesen Bedingungen nur schwer aufkommen“, kritisiert Küenle.
Es gäbe dennoch genügend Beispiele für Publisher und Agenturen, die mit viel Innovation die Entwicklung von Programmatic Advertising im deutschen Markt vorantreiben, schließt Forster. „Aus meiner Sicht wird sich der Markt weiter in diese Richtung entwickeln und Programmatic wird sich zunehmend auch im Bereich der Premium-Vermarktung durchsetzen. Bereiche wie TV und OOH werden sich ebenfalls weiter in diese Richtung entwickeln.“
Die unterschiedlichen Positionen zur Zukunft der Online-Vermarktung in Deutschland sind durchaus nachvollziehbar. Es wird viel davon abhängen, wie lange sich Premium-Inventare noch als Insellösungen ohne einheitliche Datenbasis verkaufen lassen. Es gilt daher, keine Zeit zu verlieren und aktiv das Angebot zu gestalten, wenn es darum geht, hochwertige Umfelder mit Hilfe von Daten und Technologie zu reichweitenstarken und wettbewerbsfähigen Mediaprodukten der Zukunft zu machen.
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