Immer mehr Verlage bauen inhouse Data-Management-Plattformen auf und beginnen damit, eigene Zielgruppensegmente und Personas zu bilden. Zeitgleich häufen sich die Kooperationsprojekte unterinander. Die Hoffnung: Mehr Unabhängigkeit von Google und Facebook.
Es tut sich was auf der Angebotsseite. Immer mehr Verlagshäuser und Publisher erkennen den Wert ihrer eigenen Daten und beginnen damit, diese zu sammeln, zu veredeln und selbst auf dem Markt anzubieten, ohne Mittelsmänner. Und zeitgleich häufen sich die Kooperationsprojekte. Selbst erbitterte Wettbewerber bilden virtuelle Cluster und tauschen Daten aus. Anonym natürlich und ohne die Hoheit über die Datensätze aufzugeben. Ganz anders halt als bei den Walled Gardens Google und Facebook. Die Angebotsseite scheint zu erkennen, dass man dann gegen die Tech-Giganten bestehen kann, wenn man sich zusammenschließt.
„Und es geht nicht nur um Google und Facebook“, sagt Michael Nevins, der CMO von der Adtech-Plattform Smart. „Weitere große Publisher wie AT&T/AppNexus oder Amazon stehen vor der Tür.“ Durch die einzigartige Kombination aus E-Commerce und Unterhaltung kann der US-Versandriese inzwischen auch für Brand-Kampagnen eine spannende Plattform darstellen. Die Branchengattung Retail Media scheint zu einem Shootingstar in der Medialandschaft zu werden.
Das hat man auch bei Otto in Hamburg erkannt. Mastercard führte jüngst eine Kampagne über Otto Media durch, in der tatsächlich die Besitzer einer Mastercard adressiert wurden. Ziel war es, die Warenkörbe zu vergrößern und die User dazu zu bringen, tatsächlich mit der Kreditkarte zu bezahlen. Und das funktionierte: 24 Prozent mehr Nutzer kauften mit Karte im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Es kommt also viel neuer Wettbewerb auf die Publisher zu. Aber gleichzeitig zeigen sich neue Chancen. Otto bietet einen Teil seiner Daten ab Herbst im Rahmen der NetID-Allianz für das Targeting an. Auch Zalando ist dabei. Zur DMEXCO gab DHL den Beitritt bekannt. Und seit Kurzem gehören auch der Spiegel, die Süddeutsche und Gruner & Jahr dazu. Beim Wettbewerber Verimi meldeten sich die Deutsche Bahn und Volkswagen an.
Ein Blick über die Landesgrenzen macht Hoffnung. Das Konsortium Gravity vereint in Frankreich unter anderem so starke Medienhäuser wie Condé Nast, Lagardère oder L´Équipe. Gemeinsam erreicht man eigenen Angaben zufolge 44 Prozent aller Franzosen täglich. Das lockt auch die ganz großen Marken an. Coca-Cola zum Beispiel. In einer groß angelegten Cross-Channel-Kampagne über die Demand-Side-Plattform von Mediarythmics erzielte man sehr hohe Engagement-Raten. 57 Prozent aller bespielten Nutzer kamen entweder auf die Coca-Cola-Website, kauften im Online-Handel oder lösten einen Gutschein im stationären Handel ein. „Gravity erzielt eine hohe Reichweite bei der gleichzeitigen Qualitätssicherheit eines Premium-Publishers“, erklärt Gregoire Fremiot, Vice President Sales bei Mediarythmics.
In Österreich freut sich Styria Digital One zwar über Partner, braucht sie aber nicht unbedingt, denn man vereint über 30 unterschiedliche Publikationen in der Styria Media Group. „Wir erreichen fast 70 Prozent der Österreicher täglich“, erklärt Markus Lauscher, Head of Ad Tech Innovation. Seit fünf Jahren arbeitet Styria daran, sich von Google unabhängig zu machen. Inzwischen bietet man eigene Private Marketplaces an und bildet Zielgruppensegmente quer über alle Publikationen.
Einen etwas anders gelagerten Grund, eine eigene Infrastruktur in Sachen Daten aufzubauen, hat der Musik-Streaming-Dienst Deezer. „Unsere Daten haben eine sehr hohe Qualität“, sagt Raphael Hayem, Head of Ad Operations. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass Deezer von den Nutzern schon bei der ersten Registrierung das Ausfüllen eines User-Profils verlangt. Das Nutzenversprechen ist aber eben auch hoch: Es winkt eine bessere Musikauswahl. Dazukommen noch die Nutzungsdaten. Deezer erkennt jede Handlung im Umfeld des Streamings und verfeinert damit die Nutzerprofile.
Das Nutzenversprechen ist es, was die User zur freiwilligen Abgabe von Daten treibt. Und das Nutzenversprechen wird die größte Hürde für die beiden deutschen Allianzen sein, um schnell eine hohe Nutzerbasis zu erlangen. Reicht die Aussicht auf ein bequemeres Login über mehrere Seiten hinweg? Wohl kaum. Man wird schon Marketingbudget in die Hand nehmen müssen, um die Nutzer zu überzeugen. Denn aus Nutzersicht sind die großen Verlagshäuser ja keineswegs integrer, was den Umgang mit Daten und Online-Werbung angeht. Im Gegenteil: Immer mehr Werbeplätze wurden auf die Seiten gepackt und teilweise über die Inhalte gelegt. Das passiert weder bei Google noch bei Facebook.
„Es wäre sehr wichtig, dass die Publisher erkennen, dass sie mit guten Daten mehr Umsatz machen und gleichzeitig weniger Werbung ausspielen können“, sagt Smart-CMO Michael Nevins. „Der Ad Clutter, den man zurzeit sieht, ist für die gesamte Branche ein Problem.“
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