Die große Mehrzahl der Amazon-Echo-Besitzer nutzt Alexa nur zum Medienkonsum. Das liegt daran, dass viele Skills so furchtbar schlecht gemacht sind, meint Purna Virji von Bing. Vier grundlegende Prinzipien würden jedoch dabei helfen, die User Experience deutlich zu verbessern.
„Ich wollte meinen Mann anrufen. Sein Name ist Daf. Google Assistant wollte zuerst Dad anrufen und dann Dave. Am Ende habe ich den Kontakt umbenannt in ‚Ehemann‘“.
Mit dieser kleinen Anekdote startete Purna Virji ihren Vortrag auf der diesjährigen DMEXCO. Purna kommt von Bing und ist ein ausgemachter SEM-Spezialist, manche Kollegen nennen sie einen Guru. Und sie weiß, dass die Karten neu gemischt werden. Microsoft hat eine gute KI und schon einige Erfahrungen – wenn auch nicht durchweg positiv – mit Dialogsystemen gemacht. Wenn sich jetzt das Suchparadigma auf Sprache ändert und das eine neue Logik braucht, um Daten aufzubereiten, dann könnte Bing eine Chance haben, um Terrain gegenüber Google gutzumachen.
„70 Prozent der Menschen haben Voice-Search noch nie benutzt“, zitiert sie eine Studie von Mediapost. Und das hat einen triftigen Grund. Die Umsetzung von Dialogsystemen bleibt in den meisten Fällen hinter den Erwartungen der Nutzer zurück. Das führt dazu, dass nur sechs Prozent der User eine App oder ein Skill zum zweiten Mal verwenden. „Wir können das doch besser, oder?“
Den Kunden als Homer Simpson sehen
Die Lösung aus diesem Dilemma ist für Purna relativ simpel. Die User Experience in der App oder im Skill muss einfach besser sein, als alle Alternativen. „Warum sollte ich sie sonst nutzen“, fragt die Senior Managerin of Global Engagement. Sie zitiert Daniel Kahnemann: Wenn es mehrere Wege zum gleichen Ziel gibt, werden die Menschen den Weg wählen, der am wenigsten Aufwand bedeutet.
Purna zieht eine Analogie zu Homer und Lisa Simpson aus der berühmten Cartoon-Serie. Während Homer intuitiv, schnell und bequem agiert, ist Lisa das rationale System. „Um Conversions zu maximieren, muss man die Menschen im Homer-Zustand lassen.“ Purna betont, dass es nicht darum geht, die Menschen für dumm zu verkaufen. Aber der Wechsel in den rationalen Zustand bedeutet, dass Entscheidungen revidiert und neu evaluiert werden, vor allem in der westlichen Welt. „Das ist kein kaufender Kunde, sondern ein vergleichender und damit kein froher Kunde“, sagt Purna.
Die vier C
Die User Experience im Umgang mit Sprachsystemen bildet sich nicht branchenintern. Gute Systeme setzen die Standards, selbst wenn sie aus ganz anderen Wertschöpfungsbereichen stammen.
Purna legt folgende vier Prinzipien zugrunde:
- Klarheit (Clarity)
- Charakter (Character)
- Empathie (Compassion)
- Verbesserung (Correction)
Klarheit ist der UX-Klassiker: Don´t make me think. Der User muss wissen, was er als Nächstes zu tun hat. Das Sprachsystem hat potentiell eine unendliche Vielfalt an Möglichkeiten. Es liegt also am Dialog selbst, den Nutzer zu führen.
Im Vergleich zu früheren Sprachsystemen ist es heute nicht mehr nötig, die Antwortauswahl an vordefinierte Codes zu knüpfen. Purna erinnert an Hotlines: „Wenn Sie die Rezeption erreichen wollen, sagen Sie Rezeption.“ Stattdessen kann ein Dialogsystem fragen: „Wollen Sie die Bar oder die Rezeption erreichen?“
Bei Mehrfachauswahl ist es ein guter Ansatz, den Optionen eine Frage folgen zu lassen. „Unser Hotel bietet eine Bar, ein Restaurant, ein Spa und natürlich eine Rezeption. Wen wollen Sie erreichen?“ Und wenn eine zu große Liste an Möglichkeiten zum Antworten besteht, dann sollte man ein Beispiel nennen, um dem Nutzer einen Hinweis zu geben.
Charakter oder Persönlichkeit ist nicht nur eine Frage des Branding. Bing hat Studien durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass die große Mehrheit der Nutzer lieber mit einem System interagiert, bei dem sie eine Ahnung von der Persönlichkeit hat. Klassisches Erwartungsmanagement.
Dabei geht es nicht darum, den Menschen vorzumachen, sie sprächen mit einem Menschen. Bei Bing ist man der Auffassung, dass Menschen eher einen Fehler verzeihen, wenn sie wissen, dass es sich um eine limitierte Maschine handelt.
Sie unterscheidet drei Grundtypen: den seriösen Business-Bot, den entspannten Alltags-Bot und den frechen Spaß-Bot. Fragt der Nutzer beispielsweise: „Willst du mich heiraten?“, weil er so glücklich mit dem Verlauf des Dialogs ist, dann antwortet Letzterer: „Klar, mach einen Termin beim Standesamt und wir sehen, was passiert.“
Empathie bedeutet, dass der Bot zunächst das Kernbedürfnis des Nutzers verstehen muss und berücksichtigt. Eine Banking-Anwendung sollte wissen, wann eine Transaktion das Konto des Nutzers in die Miesen bringt.
Außerdem wünscht sich die Bing-Expertin, dass die Entwickler von Dialogsystemen etwas gegen die Langeweile tun. Das beginnt bei der Begrüßung und endet bei alternierenden Fehlermeldungen. „Kein Mensch will immer das gleiche ‚Ich kann Dich leider nicht verstehen‘ hören.“ Small Talk gehört zum Grundbedürfnis menschlicher Kommunikation.
Fehler werden trotzdem passieren und der Bot wird in einer Sackgasse hängen bleiben. Das ist unvermeidlich. Purnas Vorschlag ist, dass der Bot zum Herr seines eigenen Fehlers wird. „Wie sagt man Entschuldigung, ohne Entschuldigung zu sagen“, lautet die Herausforderung.
Purna zeigt zwei Beispiele: Wenn eine Terminbuchung misslingt, kann der Bot antworten, dass kein Termin mehr frei ist, oder er kann antworten, dass jetzt leider voll ist, aber morgen noch ein Termin verfügbar wäre. Die Konversation geht weiter.
Anders ist die Vorgehensweise bei einem Missverständnis. Purna will von Newark fliegen, der Bot aber versteht „New York“. Das Wörtchen „Nein“ vom User signalisiert dem Bot den Fehler. Purna sagt: „Nein, Newark.“ Der Bot antwortet: „O. K., hab‘s. Von Newark willst du fliegen. Und wann?“
Abschließend stellt die Britin mit indischen Wurzeln fest, dass ähnliche Veränderungsprozesse auch stattgefunden haben, als die ersten Websites erschienen – die ebenfalls schlecht waren – und als das Web hin zu Mobile wechselt. „Unterm Strich: Die menschliche Natur verändert sich nicht.“
Hört sich ein wenig an wie: „Wir schaffen das!“
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