Die große Mehrheit der Wochenzeitungen und Zeitschriften verliert weiterhin Leser. Nach der jüngsten Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) büßten mehr als zwei Drittel der Titel hier Leser ein – darunter die großen Wochenmagazine „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ sowie als größte Verlierer die „Bild am Sonntag“ und „TV14“. Unter den 249 Wochenzeitungen und Zeitschriften, deren Zahlen mit 2016 verglichen werden können, verzeichnete die AWA 66 Gewinner, 13 Titel, die ihr Vorjahresniveau exakt bestätigten, und 170 Verlierer. Die Zeitschriftenlandschaft in Deutschland wird dennoch bunter, auch wenn Printreichweiten und -auflagen sinken. Die Zahl der Titel ist 2016 erneut gestiegen. Im vergangenen Jahr kamen 87 neue Magazine auf den Markt, 53 wurden eingestellt. Allein im ersten Quartal 2017 sind 18 neue Titel herausgekommen. Insgesamt sind gegenwärtig 1.596 mindestens vierteljährliche erscheinende Publikumszeitschriften im Handel. Im Vergleich mit 2001 (1.178 Titel) ist das ein Plus von 35 Prozent. Dennoch ist die verkaufte Gesamtauflage bei den Publikumszeitschriften von 98,1 Millionen (2015) auf 94,6 Millionen Exemplare leicht gesunken. ADZINE sprach mit Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer des VDZ.
ADZINE: Den Zeitschriften geht es so gut wie lange nicht. Print schrumpft wenig, digital wächst deutlich. Alles im Lot, Herr Scherzer?
Stephan Scherzer: Die Zeitschriftenverleger und ihre Blattmacher schlagen sich im digitalen Wandel trotz der großen Herausforderungen gut. Den gestiegenen Anforderungen der Leser und Werbekunden begegnen Sie mit innovativen Heftkonzepten, gekoppelt mit Web- und Mobilangeboten sowie modernen Service- und Konferenzformaten. Wir nennen das Editorial Media – journalistische Formate auf allen Plattformen.
ADZINE: Wie wichtig sind Google und Facebook für die Zeitschriftenverlage?
Scherzer: Genauso wichtig und herausfordernd wie für alle anderen Marktteilnehmer. Beide Unternehmen sind klassische ‚Frenemies‘ (friend & enemy), an denen kein Marktteilnehmer aufgrund der Monopolstellung dieser Unternehmen vorbeikommt. Weltweit landen gut 80 Prozent aller digitalen Werbegelder bei diesen Unternehmen – ein Teil davon landet wieder bei Publishern. Die Kontrolle und Machtposition aber haben die beiden Konzerne. Die Verlage stehen für unternehmerische Vielfalt und Wettbewerb. Google und Facebook haben im westlichen Internet eine Monopolstellung. Das ist für Freiheit, Vielfalt und Wettbewerb sehr problematisch!
ADZINE: Ihr Präsident hat die ePrivacy-Vorlage scharf kritisiert. Es drohen 30% Umsatzverlust für die Publisher. Wie erklärt sich das?
Scherzer: Schon die aktuelle Diskussion und die absehbaren Folgen der EU-Datenschutzverordnung zeigen die Problematik. Während die US-Giganten aufgrund ihrer Monopolstellung und Millionen von Logins kaum Probleme mit der Umsetzung zu haben scheinen, werden gerade kleineren und mittleren Unternehmen die Geschäftsmodelle untergraben. Targeted Advertising, lesergerechtes Ausspielen von Inhalten sind ohne Cookies nicht möglich. Telefonmarketing ist für die Gewinnung von neuen Abonnenten unabdingbar – sowohl für die Publikums- also auch für die Fachpresse. Die ePrivacy-Verordnung geht eben noch weiter und würde in der vorliegenden Form die Finanzierung von guten journalistischen Angeboten im freien Internet praktisch unmöglich machen. Die Balance zwischen berechtigtem Interesse der Verbraucher und den notwendigen Voraussetzungen für eine Refinanzierungsmöglichkeit journalistischer Angebote im Wettbewerb würde mit der Umsetzung des ePrivacy-Entwurfs komplett aus dem Ruder geraten geraten.
ADZINE: Haben die Zeitschriften so wenig loyale und solidarische Leser im Netz oder sind die Inhalte nicht exklusiv genug?
Scherzer: Die Reichweiten und die Nutzung der Inhalte sind ganz im Gegenteil ausgesprochen gut. Die Redaktionen binden die Leser durch nutzwertige und zielgruppengerechte Inhalte. Der Großteil der Inhalte ist aber frei erhältlich und muss sich über Werbung refinanzieren.
ADZINE: Sind nicht gerade die Zeitschriftenverlage thematisch so fokussiert, dass Targeting gar nicht so wichtig ist, weil das Umfeld stimmt? Da geht Werbung auch ohne Tracking-Cookies. Sie selbst sehen die Vertikalisierung als Trend für 2018.
Scherzer: Zur Vertikalisierung gehört gerade das Ausspielen relevanter Inhalte nach Nutzerinteresse – die Leser erwarten Beiträge, die sie interessieren. Werbekunden suchen Effizienz. Beides lässt sich via Cookies realisieren – das nützt dem Leser und Werbetreibenden und trägt zur Finanzierung guter und unabhängiger Angebote bei. Die ePrivacy-Verordnung würde die Falschen treffen, noch mehr Verunsicherung stiften und die Vielfalt im Internet durch noch größere Dominanz der digitalen Monopole ersetzen.
ADZINE: Ein Mittel im Kampf gegen die Übermacht von Google und Facebook, was Werbung angeht, sind Login-Allianzen wie NetID und Verimi. Ist das der richtige Weg?
Scherzer: Es ist ein wichtiger Versuch, dem Nutzer das Leben leichter zu machen, gleichzeitig Transparenz zum Nutzer herzustellen und wirtschaftliche Interessen in Einklang zu bringen.
ADZINE: Welchen Ansatz findet der VDZ besser: den reinen Login-Broker NetID oder die zentrale Datensammlung bei Verimi?
Scherzer: Es sind zwei unterschiedliche Ansätze, die sich beide am freien Markt beweisen müssen. Wie so oft: der Kunde wird entscheiden, ob Nutzwert und Sicherheit für ihn im Einklang sind.
ADZINE: Werden sich kleine Verlage an eines der Systeme anschließen?
Scherzer: Das ist eine unternehmerische Entscheidung, die sich nach Marktbedeutung und der Resonanz der Leser, Nutzer richten wird.
ADZINE: Was müssen die Allianzen leisten, um die Nutzer davon zu überzeugen, dass sie sich registrieren und Einwilligungen erteilen?
Scherzer: Transparenz herstellen, wie mit den Daten umgegangen wird, welchen Nutzen der Kunde hat und welche Vorteile daraus entstehen. Convenience, also Nutzerfreundlichkeit und Zeitersparnis, ist dabei ein zentrales Argument.
ADZINE: Wie gut beurteilen Sie die technische Kompetenz der Zeitschriftenverlage zur Zeit. Ist man für sich beschleunigende Digitalisierung gewappnet?
Scherzer: Ohne Digital- und Technikkompetenz geht es nicht – das ist allen längst klar. Die Verlage haben von Start-ups gelernt, Chancen schneller und agiler zu nutzen. Sie sind durch die Bank flexibler geworden. Es wird im Vergleich zu früher auch schneller eingestellt, etwa wenn klar ist, dass der Lesermarkt nicht so nachhaltig ist wie gedacht oder ein Trend zu Ende geht. Früher hat man eher gesagt, wir schießen Geld nach und kämpfen und kämpfen. Der Mut zur Innovation trägt auch das Risiko des Scheiterns in sich. Das unterscheidet Unternehmer von Verwaltern.
ADZINE: Herr Scherzer, vielen Dank für das Gespräch!
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