Der direkte Dialog zwischen Unternehmen und Kunden oder Interessenten wird immer wichtiger. Da sich kein Unternehmen eine 1:1-Betreuung aller Kunden leisten kann, gewinnen automatisierte Dialogsysteme (wieder) an Bedeutung. Wo sind die Grenzen von Chat-Bots?
Wenn man in Marketingkreisen von Chat-Bots spricht, gibt es drei Reaktionsmuster. Die einen verweisen darauf, dass das alles ein alter Hut ist, dass Yello Strom schon vor fünfzehn Jahren Eve auf der Website hatte und dass sich gezeigt hat, dass der Ansatz nicht wirklich gut funktioniert.
Dann gibt es die zweite Fraktion, die sich erst mit Bots beschäftigt, seit die großen Messenger Schnittstellen dafür anbieten. Deren Augen leuchten. Sie denken an Kampagnen wie den Jäm-Bot von Jägermeister, bei dem zwei Rapper Eko Fresh und Ali As im Dialog mit dem jeweiligen Nutzer individualisierte Raps entwarfen. Den Höhepunkt bildete der Live-Day, an dem sich die Rapper Songschnipsel von Usern texten ließen und diese in die Live-Performances einbauten.
Oder man denkt an den Kwitt-Bot des Sparkassenverbands. Auch der reagiert auf User-Eingaben und fordert verliehenes Geld zurück. Dafür durchbricht der martialisch anmutende Hauptdarsteller schon einmal die Wand zum WG-Zimmer.
Beide Ansätze residieren im klassischen Aufmerksamkeitsmarketing. Durch die Neuheit der Idee konnten sie als erste Unternehmen viele Lorbeeren einsammeln. Die Mechanik, bei der ein User etwas für einen anderen macht und ihm das Video natürlich dann weiterleitet, funktioniert über Social Media perfekt.
Und dann gibt es noch eine dritte Fraktion. Die will gerne ein Dialogsystem installieren. Das kann ein Bot sein oder vielleicht ein Skill für Alexa oder eine Action für Google. Diese Gruppe reagiert leicht verschnupft, denn ihr fällt nicht ein, was man da eigentlich Tolles tun könnte. Gute Nutzwertanwendungen sucht man vergeblich unter den Bots und Skills, wenn man nicht gerade an die Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn denkt oder eine Alexa-Schnittstelle zu MyTaxi.
Aber es gibt sie, die besseren unter den Dialogtools. Der Bot der Fluglinie KLM begleitet zum Beispiel den Passagier während des gebuchten und durchgeführten Fluges und er liefert alle wichtigen Statusinformationen direkt in die Messenger-Schnittstelle. Das Projekt scheint erfolgreich: Inzwischen gibt es auch einen Buchungsbot bei den Niederländern.
Beim kleinen Wechselbot des Hamburger Energievergleichers White Grid kann der Nutzer mit ein paar Daten ein Konkurrenzangebot zu seinem aktuellen Strom- oder Gastarif finden. „Der Bot liefert qualifizierten Traffic, aber eine direkte Conversion ist schon aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Außerdem hat der Nutzer meistens seine Zählernummern nicht zur Hand“, erklärt Betreiber Alex Gebauer.
Auch eBay hat einen persönlichen Verkaufsassistenten als vollautomatische Software im Einsatz. Er funktioniert wie eine facettierte Suche und fragt einen Parameter nach dem anderen ab und wandelt diese in Angebotskarussells um. Allerdings nimmt er Fehleingaben übel und startet die Session dann radikal neu. Selbst ein Gigant wie eBay muss erkennen, dass automatisierte Dialogsysteme nicht eben im Vorbeigehen zu machen sind.
Es ist eben auch alles andere als einfach, ein funktionierendes System einzurichten, das mehr von sich geben kann als Banalitäten. Nicht umsonst wird Amazons populärer Lautsprecher Echo zu 75 Prozent dazu benutzt, um Medien abzuspielen. Wie zum Beispiel die populären „Info-Updates“ (vulgo: akustische Newsletter). Die können an Interaktion vor allem Steuerungsbefehle wie Start und Stopp verarbeiten, viel mehr Dialog geht nicht.
Eines der erfolgreicheren dieser Updates für den Bereich Mode stammt von Dave42 aus Frankfurt. Tobias Hartmann hat sich mit seiner Agentur auf die Entwicklung von Dialogsystemen insbesondere für Alexa und Google Assistant spezialisiert. Er ist der Auffassung, dass ein guter Bot Folgendes leisten muss:
- Die bestehenden Nutzerdaten müssen in das System als Kontextvariablen eingespeist werden können.
- Der Bot muss in die Lage versetzt werden, neue Kontextdaten beim User zu erfragen und diese zwischenzuspeichern.
- Die Dialoge müssen lebendig gestaltet werden. Es dürfen nicht immer dieselben Fragen und Antworten ausgegeben werden.
- Im E-Commerce oder Tourismus muss der Bot dem Nutzer eine Auswahlliste mit Angeboten zur Verfügung stellen können.
- Er darf den Kunden nicht unnötig lang im Gespräch halten und muss erkennen, wann eine Übergabe an einen menschlichen Mitarbeiter zu erfolgen hat.
Obwohl Assistenten wie die von Google, Amazon, Apple oder Microsoft in Deutschland noch nicht sehr weitverbreitet sind, sorgen sie derzeit gewaltig für Gesprächsstoff, und zwar nicht nur beim allgemeinen Thema Digitalisierung, sondern insbesondere im Marketing. Erst kürzlich ist Sony damit gescheitert, Werbung in einem Alexa Skill unterzubringen.
Tobias Hartmann ist der Auffassung, dass viel Potential in der Idee steckt, mehrere komplementäre Anbieter an einen Tisch zu holen, um spannende Dialogsysteme und Skills zu entwickeln. „Wichtig sind hierbei vor allem Kooperation untereinander sowie die gemeinsame Suche nach Inhalten, die hilfreich und von hoher Qualität sind. Wer hier punkten will, muss sich jedoch von gelernten Mustern verabschieden und umdenken.“
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