Kürzlich hat der BVDW - auch hier auf ADZINE - zehn Thesen zum Einsatz von Daten im Mediageschäft veröffentlicht. Die Lektüre lohnt sich. Kurz gesagt beschreibt der Digitalverband den Markt des Datengeschäfts als jung, dynamisch, komplex. Aber auch als undefiniert und in einer Findungsphase steckend. Ich begrüße die Initiative des BVDW in jeder Hinsicht – aber lediglich als Einstieg, Vorgeschichte und Status-Update für eine fundierte, viel tiefergehende Debatte, die ich anstoßen möchte.
Die elfte These fehlt
In der üblichen Weise beschränken sich die zehn Thesen des BVDW auf eine Betrachtung, die von technischen und mediaplanerischen Aspekten dominiert wird. Damit bleibt das größte Defizit erneut unerwähnt: Die fehlende individuell-angepasste Botschaft an den Konsumenten. Dieser ganzheitliche Blick fehlt. Denn die richtigen Daten sind notwendig, jedoch nicht hinreichend für eine maßgeblich verbesserte Werbeansprache der Zielpersonen. Wie beim Eisberg-Modell gibt es zwei Teile in der programmatischen Werbung. Der Targeting-Beitrag durch hochwertige Daten bildet die Spitze des Eisbergs. Er ist – für sich allein genommen – für fünf bis 30 Prozent verbesserte Werbeansprache gut. Der größere Teil liegt jedoch unter dem Wasserspiegel. Dieser ist die – an die situative Befindlichkeit des Konsumenten, ausgedrückt durch Daten – angepasste kreative Botschaft. Und dieser Teil kann die Werbeansprache um 50 bis 80 Prozent verbessern.
Auch im Jahr 2018 wird der große Hebel für die relevante Zielgruppenansprache kaum bewegt. Dynamic Creative Optimization (DCO), die datengetriebene Werbemittelgestaltung in Wort und Bild, ist noch lange nicht die Regel. Zwar hat jede Kreativagentur dafür einen Show-Case in der Schublade (meist schon mindestens zwei Jahre alt), der auf Nachfrage stolz vorgezeigt wird (denn eigentlich hat man sich auf Kostenreduktion durch Produktion der Banner im Ausland fokussiert). Die gelebte Praxis in den Mediaagenturen sieht entsprechend anders: Dort werden komplexe Targeting-Strategien entwickelt, deren Segmente dann nach wie vor mit einer stumpfen Einheitsbotschaft bedient werden.
Transparenz an der Quelle
Kommen wir zurück zu den Thesen, die der BVDW nun aufgestellt hat. Eine von ihnen beinhaltet die Forderung nach Transparenz und Offenlegungspflicht seitens der 3rd-Party-Anbieter, da nur dies die Qualität der Daten nachvollziehbar macht. Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Aber das sollte nicht nur eine Forderung, das sollte Standard sein. Kein Mediaplaner muss sich heute mehr mit schwammigen Segmenten und hochgerechneten Zielgruppen zufriedengeben. Es geht besser, schon jetzt. Wir beispielsweise, und wir sind nicht allein, klären unsere Werbekunden über die Datenquelle und damit über die Herkunft der Daten auf, die sie für ihr Kampagnentargeting kaufen, sogar namentlich. Wir definieren die Segmente eindeutig und nennen Kategorie- und Produktdetailseiten. So ist der Weg der Daten nachvollziehbar, überschaubar und transparent. Und wir liefern ausschließlich harte Daten, kein Twinning und keine Lookalikes. Wir setzen voraus, dass dies ein Standard ist, den Werbungtreibende von 3rd-Party-Daten-Anbietern verlangen dürfen. Und das gilt mehr denn je nach der DSGVO: Aktuell führen wir unsere Datenprovider durch die nötigen Anpassungen, um unseren Werbekunden auch nach dem 25. Mai valide, verlässliche 3rd-Party-Daten bieten zu können, die absolut regelkonform und transparent sind.
Micro-Matchingraten steigern reicht nicht
Im Thesenpapier des BVDW wird außerdem erwähnt, dass die Branche ein starkes Interesse an hohen Matching-Raten hat, womit die Trefferquote bei der Ansprache einer potenziell interessierten Person mit einem Werbemittel gemeint ist. Das ist absolut richtig, denn was nützt der größte Datenschatz, wenn man ihn nicht heben kann. Matching wird über die Qualität des Datensatzes erreicht und darüber, ob er aktivierbar ist, oder nicht. Der BVDW spricht von aktuellen Mikro-Matching-Raten von z.T. nur einstelligen Prozent-Zahlen und wünscht sich eine Verbesserung, egal in welcher Form. Ich sage, das genügt nicht.
Niedrige Matching-Raten haben verschiedene Gründe. Zu den wichtigsten, die bei den Nutzern verursacht werden, zählen Desktop- und Mobile-Unverträglichkeiten, Adblocking und außergewöhnliche Surfprofile von Usern. Auf der Nachfrager-Seite sind mitunter die voreingestellten Algorithmen der DSPs bei älteren Cookies ursächlich für die geringe Aktivierbarkeit der Daten. Denn je älter ein Cookie ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es gelöscht wurde. Rund 20 Prozent aller User löschen ihre Cookies regelmäßig. Tatsächlich nimmt die Matching-Rate aller Daten ab dem ersten Tag der Markierung mehr oder minder kontinuierlich ab. Wir, hier mal stellvertretend für viele Marktteilnehmer, wissen das und deswegen begrenzen wir die Lebenszeit unserer Cookies von vorneherein auf 30 Tage, für manche Aufgaben gar auf 7 Tage. Damit erreichen wir Matching-Raten von über 90 Prozent. Auch von einigen weiteren Anbietern im Markt höre ich ähnliche Werte. Auf diesem Niveau wäre die Sorge von unzureichendem Datenmatching behoben.
Messbarkeit ist eine Sache, Verifikation eine andere
Abschließend bewegt mich noch die BVDW-These zur Messbarkeit. Natürlich müssen wir den Leistungsbeitrag von Datenangeboten messbar machen, aber reichen da die kurzfristigen Performance-Metriken? Nein. Es braucht eine Messbarkeit, die über die bekannten Metriken hinaus auch auf die psychografische Werbewirkung ausgedehnt wird. Eine Markt-Media-Studie, ähnlich des b4p-Ansatzes, ist meine Vision für das Programmatic Advertising. Sie würde eine Tür in eine neue Welt öffnen und Programmatic in den Olymp von TV, Print und Radio aufnehmen. Im gleichen Kontext: Auch wenn man das Generationsdilemma der Verifikation jenseits von Geschlecht und Alter noch nicht über ein automatisiertes Messverfahren lösen kann, muss man nicht gänzlich auf einen Nachweis verzichten. Die Angebote von Ad hoc- Begleitforschungen (via Payback oder Cint, also Unternehmen mit hohem Anteil an getaggten Panelisten) bestehen. So lassen sich versprochene Targeting-Attribute per Marktforschung überprüfen.
Mein Appell an alle Marktteilnehmer, ob Agentur, Dienstleister, Datenprovider oder Werbungtreibender: Kopf hoch und Brust raus! Daten revolutionieren die Werbung. Wir sind auf einem sehr guten Weg, das muss man nicht kleinreden, auch wenn es noch einiges zu tun gibt. Das Datengeschäft ist komplex, keine Frage und da wo Dinge komplex werden, entstehen beinahe immer Grauzonen und schwarze Löcher. Die sollten wir nicht akzeptieren. Denn es geht besser, nicht nur mit der Werbung, sondern auch im gesamten Prozess.
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