DSGVO-Beef in Hamburg: Wirtschaft und Politik im Clinch
Frederik Timm, 12. April 2018Politik, Wissenschaft und Branchenvertreter sind in Hamburg im Rahmen des „BVDW Data Economy“-Abends zusammengekommen und haben über die nahende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) diskutiert – quasi eine Neuauflage der Diskussion, die auch schon auf der großen Bühne der OMR 2018 mit Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner und EU-Kommissar Andrus Ansip ausgetragen wurde.
In der Paneldiskussion saßen neben Albrecht Timo Wilken von Telefónica Next und Professor Jürgen Seitz von der Hochschule der Medien in Stuttgart auch BVDW-Vizepräsident und stellvertretender Geschäftsführer von IP Deutschland Thomas Duhr und Grünen-Politiker und „Vater der DSGVO“ Jan Philipp Albrecht, der sich den kritischen Stimmen wesentlich bissiger stellte als sein europäischer Kollege.
In einem Impulsvortrag im Vorfeld der Diskussion erklärte Thomas Schauf, Senior Expert Public & Regulatory Affairs der Telekom, die Daten als die Essenz des Digitalen: „Wo digitale Wertschöpfung allokiert wird, kann sie sich positiv auf die Wirtschaft auswirken“, erklärt Schauf. Die digitalen Technologien würden über kurz oder lang die Grundlage für alle Wirtschaftsstränge bilden.
Inwiefern die kommende DSGVO und ePrivacy-Verordnung (ePVO) Einfluss auf diese Entwicklung haben werden, sollte zum Thema des Panels werden.
Realität holt Zukunft ein
Der Panelauftakt ließ die Sprecher von einer Zukunft träumen, in der Daten die nächsten Wirtschaftszweige revolutionieren. Jürgen Seitz erklärte den Gesundheitssektor zu seinem Favoriten, in dem mehr Daten über den menschlichen Körper, ähnlich wie beim Auto, zu einem längeren und gesünderen Leben führen könnten.
Thomas Duhr holte die Runde jedoch schnell in die Gegenwart zurück. „Ich bin zu sehr in der Realität verhaftet, als das ich mir überhaupt noch Visionen erlauben kann. Das hat wahrscheinlich eher was damit zu tun, dass ich mich mit den Auswirkungen der Datenschutzgrundverordnung und der ePrivacy-Verordnung insgesamt auseinandersetze. Von daher möchte ich eigentlich nur, dass die Zukunft tatsächlich passieren wird“, antwortet Duhr auf die Frage nach seinem Lieblingsbeispiel aus der Data Economy.
Tatsächlich scheinen auch die Politiker in Brüssel so ihre Probleme mit Zukunftsthemen zu haben – zu denen Jan Philipp Albrecht auch die DSGVO zählt. So räumt der Grünenpolitiker ein, dass seine Kollegen im Europäischen Parlament nur beschränkt in der Lage sind, Zukunftsthemen wie die DSGVO einschätzen und vermitteln zu können. Das Problem würde sich jedoch durch alle Gesellschaftsschichten ziehen und eben auch vor der Politik keinen Halt machen. „Die Politik ist immer nur so weit, wie die Gesellschaft insgesamt ist.“
Die Sache mit dem berechtigten Interesse
Viele Unternehmen kämpfen noch mit der Umsetzung der DSGVO. So berichtet Timo Wilken von Telefónica Next: „Wir stehen vor großen Schwierigkeiten, die verschiedenen Verordnungen unseren Kunden klar darzustellen. Als Unternehmen ist es schwierig, Entscheidungen zu treffen, da noch viele offene Fragen im Raum stehen.“
Da die Frage des berechtigten Interesses noch nicht genau geklärt sei, könnte dies Unternehmen, die bereits ihre Infrastruktur in teuren Prozessen DSGVO-konform machen, teuer zu stehen kommen. Was wäre, wenn sich doch herausstellt, dass kein Opt-in von Nöten ist und es auch bei einem Opt-out des Nutzers hätte bleiben können? Dies, so erklärt Wilken, wäre ein Worst-Case-Szenario. Nicht nur, dass Geld durch die Umsetzung einer überflüssigen Opt-in-Lösung verschwendet wäre, zusätzlich besteht die reelle Chance, dass weniger Nutzer sich für den Opt-in entschieden.
Der Absatz über das berechtigte Interesse eines Nutzers hält für die Werbebranche eine Möglichkeit offen, die Daten des Nutzers auch ohne explizite Einwilligung zu verwenden, wenn von Seiten des Nutzers berechtigtes Interesse an dem damit verbundenen Angebot besteht. Es ist jedoch noch nicht klar, wie dieser Absatz tatsächlich von Gerichten ausgelegt wird.
Andere Länder, andere Interpretationen
Wie die geplanten Verordnungen auf nationaler Ebene in der EU ausgelegt werden, ist derweil ebenfalls noch nicht klar. Einige Unternehmen berichten davon, dass die unterschiedlichen Länder schon jetzt verschiedenen Interpretationen des berechtigten Interesses haben. Während in Deutschland eigentlich fest mit diesem Schlupfloch der DSGVO gerechnet wird und erst die ePVO den Opt-in zwingend notwendig macht, geht man in anderen EU-Ländern davon aus, dass schon mit der DSGVO ein Opt-in nötig wird.
Thomas Duhr sieht auch bei der ePVO Schwierigkeiten auf Unternehmen zukommen. Allein bei europaweiten Gesprächen unter den verschiedenen IP-Schwestern würde Chaos und Verwirrung herrschen. Es gäbe unterschiedliche Verständnisse der aktuellen Auslegung. Das würde Zeit kosten und sei ineffizient. „Die ePrivacy-Direktive ist in den nationalen Umsetzungen möglicherweise unterschiedlich. Das originäre Interesse an einem Level Playing Field wird damit nicht wirklich vollständig erreicht. Das spiegelt sich auch in den Unsicherheiten der Unternehmen wider“, erklärt Duhr.
” (Thomas Duhr, Vizepräsident BVDW)„Es wäre wünschenswert gewesen, wenn beide Verordnungen zur selben Zeit in Kraft getreten wären.“
Die asynchrone Veröffentlichung der beiden Verordnungen ist für Duhr einer der größten Kritikpunkte. Die national unterschiedlichen Umsetzungen der ePrivacy-Direktive würden mit einer europaweit harmonisierten DSGVO zu einem Totalchaos führen.
Albrecht fand hier nur entschuldigende Worte. Auch er hätte sich ein Inkrafttreten zur selben Zeit gewünscht, erklärte aber, dass es viele Stimmen gab, die nicht gleichzeitig zur umfassenden DSGVO noch eine weitere Verordnung gewollt hätten.
DSGVO als Wirtschaftsboost?
Dass die DSGVO oder auch besonders die ePVO – vorausgesetzt, sie erscheint in ihrer aktuellen Fassung – die Werbebranche um Jahre zurückwerfen könnte, ist bereits ausführlich diskutiert worden. Im BVDW-Panel richtete Jürgen Seitz jedoch auch den Blick auf die gesamte Digitalbranche. Der Stuttgarter Professor sieht durch die Verordnungen die Zukunft der digitalen Wirtschaft in Deutschland geschwächt. Deutschland sei für Unternehmen ohnehin nicht das favorisierte Land, um neue Technologien im Datengeschäft auszuprobieren und zu entwickeln. Die Verordnungen würden dieses Problem noch weiter zuspitzen. Die Industrie würde nach Israel, die USA und China ausweichen, wo die Regulationen offener sind. „Der Mehrwert erschließt sich mir nicht.“
” (Jürgen Seitz, Hochschule der Medien Stuttgart)Die DSGVO als Konjunkturprogramm für die digitale Binnenwirtschaft zu verkaufen ist ein Witz.
Jan Philipp Albrecht möchte von dieser Kritik nichts wissen. Deutschland hätte schon seit mehr als 20 Jahren diesen Ruf. Daran würde auch DSGVO und ePVO nun nichts ändern. Außerdem würden sich die Verordnungen auf die europäischen Nutzer beziehen, sodass auch globale Firmen, die in Europa Geschäfte machen wollen, diese Gesetze befolgen müssen. Albrecht sieht europäische Unternehmen so von der ungleichen Behandlung im Gegensatz zu Facebook, Google und Co. befreit.
„Die Verordnung ist keine fixe Idee, sondern eine Vereinheitlichung der Rechtslage, die es schon vorher gab und sehr zersplittert war. Bisher waren Unternehmen, die sich an diese Regelungen gehalten haben, extrem benachteiligt. Eingesessene deutsche Unternehmen wie OTTO können nicht plötzlich ihren Sitz in die USA wechseln und mussten auch in der Vergangenheit schon die hiesigen Datenschutzvorgaben beachten. Die DSGVO beseitigt die Ungleichheit sowohl global als auch auf Europaebene. Nun können sich alle Datenschutzbeauftragten gegenseitig kontrollieren und Mehrheitsbeschlüsse fassen.“
Albrecht geht sogar noch weiter: Durch die Abschaffung 28 unterschiedlicher Standards würde ein riesiger europäischer Binnenmarkt für die Digitalwirtschaft in Europa geschaffen werden. „Ich würde sogar sagen, dass es eine der größten Investitionsmaßnahmen, die die EU und der Gesetzgeber derzeit schaffen kann. Es ist ein krasser Abbau von Bürokratie und Wettbewerbsbenachteiligung europäischer Unternehmen.“
Das möchte Seitz nicht gelten lassen: „Die DSGVO als Konjunkturprogramm für die digitale Binnenwirtschaft zu verkaufen ist ein Witz. Die Konsumenten haben schon immer für den Mehrwert des Produktes abgestimmt. Was nun passieren wird: Die gesamte Industrie, nämlich Google, Facebook usw., die eigentlich kontrolliert werden soll, wird sich ganz sauber ihre Opt-ins einholen.“ Schließlich will niemand plötzlich auf Google oder Facebook verzichten. „Sobald der Mehrwert stimmt, werden Menschen ihren Opt-in geben.“ Kleinere Unternehmen hätten hier das Nachsehen.
Was passiert nach dem 25. Mai?
Thomas Duhr sieht Politik und Judikative in der Verantwortung, eben diese kleinen und mittelständischen Unternehmen zu schützen: „In der Zeit nach dem Inkrafttreten wird es darum gehen, dass die Landesdatenschutzbeauftragten mit dem notwendigen Augenmaß das politische Interesse des wirtschaftlichen Wachstums verfolgen und nicht Start-ups oder mittelständische Unternehmen, die sich auf den Weg gemacht haben, endgültig die Luft abdrehen.“
Für Timo Wilken steht vor allem eine Versachlichung der Debatte im Vordergrund. „Politisch würde ich mir mehr Aufklärung unter den Bürgern wünschen.“
” (Timo Wilken, Telefónica Next)Datenauswertung ist nicht automatisch gleich Ausspionieren.
Auch Jan Philipp Albrecht sieht die Politik klar in der Pflicht zwischen Verbraucher und Datenverarbeiter zu vermitteln. Jedoch könne die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht der öffentliche Haushalt garantieren, erklärt Albrecht in Richtung von Duhr und Seitz. „Man muss einfach in der Lage sein, den Leuten ein gutes Produkt zu bieten. Nun ist der Moment, etwas anderes Wettbewerbsfähiges in Europa zu entwickeln, das etwas anders macht als das Silicon Valley. Damit kann man hier in Bezug auf das Venture Capital nicht mithalten. Ich sehe viel Potenzial in anonymisierten Daten.“
Hier knüpft Seitz an: „Die Investition in die digitale Wirtschaft muss stärker vorangetrieben werden. Nur wenn wir selbst Services entwickeln, die wir dann auch global ausrollen können, dann haben wir ein Level Playing Field. Das schaffen wir nicht durch Regulierungen, sondern durch wirtschaftliche Stärke.“
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