Raphael Stange, Global Head of Marketing von car2go im Portrait
Sandra Goetz, 31. Januar 2018Im letzten Jahr konnte car2go seine weltweite Marktführerschaft im flexiblen Carsharing weiter ausbauen. Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Kundenzahl um 30 Prozent zu. Ebenso konnten die Schwaben die Nutzung der Autos um 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert steigern. Spitzenreiter unter den kundenreichsten car2go-Städten sind Chongqing in China (237.000 Kunden), Berlin (222.000 Kunden) und Madrid (192.000 Kunden). Für das globale Marketing ist bei der Daimler-Tochter kein ehemaliger BWL-Student oder MBA-Absolvent verantwortlich, sondern ein Diplom-Politologe: Raphael Stange. Der erste Berufswunsch des gebürtigen Nürnbergers war es, Journalist zu werden. Doch dann kam ihm das Marketing dazwischen. Ein Portrait.
Werdegang:
Seit dem 1.1.2016 ist Raphael Stange CMO global für car2go. Obgleich Stange ursprünglich Journalist werden wollte, sich bis heute für Politik und Zeitgeschichte interessiert, hat er das Zeug zum Marketer buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen. „Mein Vater war Anzeigenleiter des Kicker Sportmagazins, meine Mutter Marktfrau, die auf dem Nürnberger Hauptmarkt bis heute ihre Suppen verkauft. Auch wenn mein Vater ein guter Werbefachmann war, mich schon früh auf Veranstaltungen z. B. des Bayrischen Werbefachverbands mitgenommen hat, so ist meine Mutter die krasseste Verkäuferin, die ich jemals kennengelernt habe. Und irgendwie habe ich das inhaliert. Studieren lässt sich das nicht“, sagt Raphael Stange. Dennoch: Sprache und Politik war erst mal sein „Ding“, und so studierte der heute 41-Jährige Politische Wissenschaften in Erlangen. Nebenbei zog er mit Informatikfreunden eine GbR auf, die erfolgreich Webseiten und E-Commerce-Anwendungen erstellte. „Hier habe ich vieles gelernt, was mir später im Beruf geholfen hat, denn außer Coden, was ich nicht konnte, war ich für alles verantwortlich: Graphik, Texte, Verkauf und Steuern“, erinnert sich Stange an seine prägenden Studentenjahre.
Nach erfolgreichem Abschluss ging es 2004 zum Weka-Verlag, einem Fachverlag, der Informationsblätter zu den Themen Datenschutz und Datensicherheit herausgab. „Hier habe ich klassisches Direktmarketing für Print gelernt, gleichzeitig begann ich, die digitale Sparte aufzubauen. Klett Lernen und Wissen, G+J Entertainment Media, Sixt Autovermietung und Gamify now! waren die weiteren Karrierestationen, bis Raphael Stange mit seinem bunten Lebenslauf zur car2go Group kam. „Es ist sehr hilfreich, unterschiedliche Geschäfts- und Erlösmodelle in seinem Berufsweg kennengelernt zu haben. Genauso hilfreich ist es, unterschiedliche Herangehensweisen von Marketing und Vertrieb zu kennen, wie auch in einem inhabergeführten Unternehmen gearbeitet zu haben“, sagt der Marketingexperte.
Was ist das Spannende am digitalen Marketing?
„Weil sich die Technologie ständig weiterentwickelt, verändert sich auch das digitale Marketing fortlaufend“, so Raphael Stange. „Das ist genau das, was mich interessiert, die Kombination aus Werbung und technischen Möglichkeiten im Zusammenhang mit Kommunikation – das macht es spannend. Wenn es darum geht, Ergebnisse zu bewerten, brauche ich mich nicht aufs ‚Bauchgefühl’ zu verlassen oder mich mit irgendwelchen Interpretationen zu befassen, sondern kann auf meine Zahlen schauen und sehen, ob ich den Pott geholt habe oder nicht“, erklärt Stange.
Welche Herausforderungen gibt es für car2go?
Im vergangenen Jahr hatte car2go 24 Millionen Anmietungen von car2go-Fahrzeugen weltweit. Im Q4/2017 wurden neue Stundenpakete eingeführt, was die durchschnittliche Mietdauer um 30 Prozent gesteigert hat. Dieser Erfolg hat seinen Preis: „Die Vielzahl von Städten, Ländern, Sprachen und Kulturen auf unterschiedlichen Kontinenten sind eine große Herausforderung. In jeder Sprache ist eine Kultur verankert, die unterschiedlich auf Bildsprache, Texte und Prozesse reagiert“, sagt Raphael Stange. Dabei gäbe es bereits erhebliche Unterschiede, ob Kunden in Toronto, Kanada oder Austin, USA, angesprochen werden, obgleich beide Städte in Nordamerika liegen und englischsprachig sind. Ein weiteres großes Thema ist „Diversity“ bzw. „Multinationalität“. Vor allem in den USA müssen die unterschiedlichen Ethnien abgebildet werden.
Anders sieht es wiederum im E-Mail-Marketing aus. Während die US-Amerikaner, gleich welcher Herkunft, eine hohe Frequenz gewohnt sind, muss man in Deutschland vorsichtiger sein: Hier wird ein starkes Direktmarketing schnell mit „Spam“ gleichgesetzt. In Search und Display seien die Unterschiede im Ländervergleich wiederum nicht so immens, anders sähe es bei der Marketing-Automation, der softwaregestützten Methode zur Neukundengewinnung und Kundenbindung aus. „Hier haben wir große Unterschiede“, so Stange. Deswegen gibt es für alle Länder unterschiedliche Gewichtungen bezogen auf die Kommunikationskanäle und Mechanismen.
Eine weitere Herausforderung ist der Datenschutz. Auch ohne DSGVO hat Daimler eine rigide Auslegung der europäischen Rechtslage, und nach Daimler-Regularien ist car2go in allen Ländern gerade so aktiv, wie es die europäische Rechtsprechung fordert. Aktuell wird vom Compliance-Management erarbeitet, welchen Einfluss die DSGVO auf die Prozesse haben wird. Denn auch hier gibt es einen „Unterschied, ob ich in einem inhabergeführten Unternehmen arbeite oder in einer DAX-AG“, weiß Stange. Auch wenn das eine das andere nicht ausschließt.
Zukunftsmusik
2017 lag ein Fokus auf Branding, auf die Einführung einer neuen CI, die Bild-, Video- und Textsprache beinhaltete, die – mit Ausnahme Italiens – beendet ist. „2018 konzentrieren wir uns auf Kundengewinnung und -loyalisierung“.
Der Carsharingmarkt bleibt spannend. Jüngst hat Turo, der weltweite Marktführer für privates Carsharing, angekündigt, auch in Deutschland Autobesitzer dazu zu bringen, ihr Fahrzeug an Privatleute zu vermieten. Natürlich gibt es auch in diesem Sektor bestehende Konkurrenz vor Ort, z. B. SnappCar. Dennoch konnten die Carsharingdienste für private Autos bislang nicht aus dem Schatten der kommerziellen Carsharinganbieter à la car2go und DriveNow heraustreten. Aber das müssen sie vielleicht auch nicht. Ist Daimler doch bereits im vergangenen Jahr bei dem US-Unternehmen Turo eingestiegen. Was wird hier den Unterschied ausmachen? Und läuft Daimler hier nicht Gefahr, sein Geschäftsmodell zu kannibalisieren? Hierzu Raphael Stange: „Turo ist Marktführer im Peer-to-Peer-Carsharing und car2go im stationsunabhängigen Carsharing – beide Mobilitätsformen ergänzen sich perfekt. Da sich die Geschäftsmodelle unterscheiden, sehen wir Turo als sinnvolle Alternative und nicht als Konkurrenz. Je mehr Optionen es für alternative Mobilitätsangebote gibt, desto besser.“
Eine weitere Alternative in puncto Wettbewerb und Geschäftsmodell steht bereits in den Startlöchern: Die beiden Carsharinganbieter car2go und DriveNow sollen im ersten Halbjahr 2018 heiraten. Am Montag, so schreibt das Handelsblatt, hat Sixt seine Anteile für 209 Millionen Euro an BMW verkauft. – Und macht damit den Weg für eine Fusion frei.