Walled Gardens bald außer Rand und Band?
Jens von Rauchhaupt, 13. Dezember 2017Offenbar ist niemand in der Lage, den geschlossenen Werbeplattformen Google, Facebook und Amazon Paroli zu bieten. Ganz im Gegenteil, ihre Bedeutung für den Werbemarkt wird im kommenden Jahr sogar rasant wachsen, daran wird vermutlich auch das neue europäische Datenschutzrecht nichts ändern, so die Prognose des Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Kantar Millward Brown, das insgesamt acht digitale Trends für 2018 identifiziert hat.
Für 2018 prognostiziert die global agierende WPP-Tochter Kantar Millward Brown einen deutlichen Bedeutungsgewinn der Walled Gardens. Hinweis darauf geben die aktuellen Prognosen ihrer Werbeinnahmen: Google und Facebook werden dieses Jahr mit einem satten Plus ihrer Werbeeinnahmen abschließen und auch Amazon hat im 3. Quartal 2017 ein Wachstum von 58% im Werbegeschäft verzeichnet.
Die Werbeinvestitionen gehen also immer mehr aufs Konto der großen drei Werbeplattformanbieter. Das Nachsehen haben die klassischen Medienhäuser und Verlage. Kantar Millward Brown nennt dazu Faktoren, die für diese Entwicklung ursächlich sind. Erstens: Die Angebote vieler Plattformen sind für die User so attraktiv, dass sie ihre persönlichen Daten gerne teilen. Zweitens: Werbetreibende und Agenturen haben erhöhten Bedarf, teilweise sehr kleinteilige Zielgruppen anzusprechen. Große Plattform-Player haben vergleichsweise sehr spezifische Zielgruppendaten – und dürfen diese auch nutzen. Durch die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) werden Google, Facebook und Amazon kaum Schaden nehmen, meint Bernd Büchner, Geschäftsführer Kantar Millward Brown in der DACH-Region:
” (Bernd Büchner, Kantar Millward Brown DACH)Wir gehen davon aus, dass die drei großen Walled Gardens aus den USA von der EU-Datenschutz-Grundverordnung im Vergleich zu kleineren Wettbewerbern eher profitieren – oder zumindest weniger darunter leiden werden.
„Wir gehen davon aus, dass die drei großen Walled Gardens aus den USA von der EU-Datenschutz-Grundverordnung im Vergleich zu kleineren Wettbewerbern eher profitieren – oder zumindest weniger darunter leiden werden. Einige Marktbeobachter vermuten, dass die DSGVO Facebook härter treffen könnte als Google, da Facebook Targeted Ads danach auswählt, ‚Wer‘ online ist, während Google die passende Werbung danach definiert, ‚Was‘ gesucht wird. Und diese Analyse hat aus unserer Sicht einen wahren Kern.“ Eine ganz zentrale Frage sei derzeit allerdings noch ungeklärt, meint Büchner: „Wie viele User werden diesen Plattformen erlauben, sie zu targeten? Wir erwarten, der Anteil dieser User wird höher sein, als viele aktuell vermuten. Denn diese Plattformen bieten vielen Menschen Services und Mehrwerte, an die sich gewöhnt haben und auf die sie nicht verzichten wollen.“ Anders ergeht es den kleineren Plattform- bzw. Mediaanbietern. Diese würden zukünftig schneller ins Straucheln geraten, wenn sie bestimmte Zielgruppen nicht erreichen oder den gewünschten inhaltlichen Kontext nicht darstellen können, vom Impact des neuen Datenschutzrechts ganz zu schweigen.
Daneben sind es vor allem die aktuellen Trendthemen der digitalen Werbewirtschaft, die besonders gut von den großen US-Plattformen und ihren Angeboten abgedeckt werden. So bescheinigten die großen Marken in einer kürzlichen OWM-Umfrage den Bereichen Social Advertising und Influencer Marketing sowie Bewegtbild- und Mobile Advertising große Wachstumspotenziale. Alles Themenfelder, in denen vor allem Google und Facebook absolut den Ton angeben. „Unabhängig von Entwicklungen, die möglicherweise die Geschäfte negativ beeinträchtigen könnten – wie etwa die DSGVO –, werden Trends wie Influencer Marketing oder Social, Native und Mobile Advertising sicher einen Beitrag dazu leisten, dass die großen Plattformen auch in Zukunft relevant bleiben. Und die genannten Trends helfen natürlich zudem, die Werbeeinahmen dieser Plattformen zu sichern“, sagt Duncan Southgate, Global Brand Director, Media & Digital, bei Kantar Millward Brown. Sind also Google, Facebook und auch Amazon überhaupt zu stoppen? „Nein, das sieht aktuell – und auch für 2018 – nicht danach aus. Gerade die Wachstumsraten des Werbegeschäfts von Amazon sind sehr beeindruckend“, so Southgate.
” (Duncan Southgate, Millward Brown)Gerade die Wachstumsraten des Werbegeschäfts von Amazon sind sehr beeindruckend.
Neben der wachsenden Vormachtstellung der US-Plattformanbieter hat Kantar Millward Brown noch sieben weitere Trends für 2018 identifiziert, auf die der digitale Werbemarkt vorbereitet sein sollte:
Trend: Werbe-Spendings verschieben sich zu Cross-Media-Investitionen
Immerhin 30 Prozent der weltweiten Werbeausgaben werden im digitalen Umfeld investiert. Doch in diesem Jahr haben große Werbetreibende wie P&G ihre Digitalinvestitionen überdacht und erstmals drastisch gekürzt. Auch aufgrund der Tatsache, dass diese Kürzungen im Falle von P&G keine direkten Auswirkungen auf dem Umsatz hatten, wird sich diese Entwicklung im Jahr 2018 verschärfen, glauben die Marktforscher.
Marketingverantwortliche werden die Bedeutung digitaler Aktivitäten im Marketingmix noch stärker auf den Prüfstand stellen. Medienhäuser, Content-Plattformen, Agenturen und Marktforschungspartner sollten sich darauf vorbereiten und Antworten parat haben. Werbetreibende wünschen sich eine integrierte Messung der Aktivitäten über die verschiedenen Kanäle hinweg. Ein Knackpunkt ist die mangelhafte Messbarkeit des Cross-Media-ROI. Doch auch in einzelnen Kanälen entstehen neue Hürden: Steigende Investitionen in Mobile Marketing – die aktuell weltweit schon 50% der Digitalinvestments ausmachen – werden die Anzahl an Walled Gardens erhöhen und damit zukünftig die Messbarkeit der Digitalaktivitäten weiter erschweren.
Trend: Messung des Cross-Media-ROI ist in Entwicklung – aber bleibt zunächst Stückwerk
Marketingverantwortliche und ihre Media- und Kreativagenturen sind unter enormem Druck, die Effekte ihrer Initiativen auf die Umsatzentwicklung nachzuweisen. Dass dies in allen Details und kanalübergreifend möglich wird, bleibt jedoch auch 2018 Wunschdenken. Bis der Code für einen Cross-Media-ROI geknackt ist, wird daher noch einige Zeit verstreichen. Werbetreibende werden somit zunächst weiter versuchen, den Einfluss auf Größen wie Brand Awareness und Umsatzsteigerungen anhand einzelner Aktivitäten oder Kanäle plausibel zu machen.
Trend: Die Akzeptanz von OTT-Angeboten wächst
Die wachsende Akzeptanz sogenannter "Over-the-top"- (OTT-)Angebote seitens der Verbraucher ist offensichtlich: Audio- und Video-Streaming liegen im Trend und Anbieter wie Spotify, Netflix oder Amazon verzeichnen hohe Wachstumsraten. Da vor allem jüngere User in großer Zahl das Interesse an linearen Angeboten verlieren, wird der Druck auf etablierte Anbieter immer größer. Mit dieser Entwicklung gehen allerdings auch neue Anforderungen an die Marktforschung einher: Denn für plattformübergreifende Ad-Effectiveness-Messungen müssen zukünftig nicht nur Methoden angepasst und Systeme überarbeitet, sondern insbesondere die Panels um OTT-Plattformen ergänzt werden.
Trend: Die Dominanz der Algorithmen geht zu Ende
Digitales Marketing wurde im vergangenen Jahrzehnt von Unternehmen dominiert, die in der Lage waren, kluge Algorithmen zu programmieren. Und auch 2018 werden Algorithmen viel Mehrwert für Marketingverantwortliche schaffen. Doch gleichzeitig werden wir im kommenden Jahr einen ersten Eindruck davon bekommen, inwiefern künstliche Intelligenz dem Marketing behilflich sein kann. Ansätze des maschinellen Lernens werden zukünftig Kampagnen optimieren, indem sie große Mengen unstrukturierter Daten sinnvoll erfassen und Entscheidungen für Media-Investments daraus ableiten. Künstliche Intelligenz wird etwa die Verarbeitung natürlicher Sprache, maschinelles Sehvermögen oder Chatbots verbessern.
Trend: Branded Entertainment: Videos werden zum zentralen Format
„Branded Entertainment“ nennt sich ein Trend, der sich 2018 ausbreiten wird. Der Begriff meint in erster Linie unterhaltsame Videos, die sich im kommenden Jahr zu einem zentralen Content-Format entwickeln werden. Denn Marken werden vermehrt auf unterhaltsame Filme setzen, um ihre Botschaften zu verbreiten. Der Trend hat verschiedene Wurzeln: Einerseits ist er als Antwort auf die teilweise grundlegend ablehnende Haltung gegenüber Werbung zu verstehen, andererseits zeigen Untersuchungen, dass klassische Bewegtbildkanäle wie TV oder Kino gerade bei jüngeren Konsumenten der Generation Z (16–19 Jahre alt) hoch im Kurs stehen. Werbetreibende werden darauf reagieren – auch mit Native Advertising, das in redaktionellem Umfeld ausgespielt wird.
Trend: Sprachaktivierung mit Potenzial für Marketingaktivitäten
Das Potenzial vernetzter Geräte im Haushalt wird seit vielen Jahren thematisiert. Glühbirnen, Thermostate, Sicherheitskameras und Türschlösser – alles lässt sich aus der Ferne per App steuern. Doch die Begeisterung der Verbraucher fällt bislang eher verhalten aus. Möglicherweise wird sich diese Haltung mit der Verbreitung von Alexa, dem Sprachassistenten von Amazon, nun ändern. Eine solche Entwicklung hielte dann auch neue Möglichkeiten für das Marketing bereit. Denn grundsätzlich stehen Konsumenten Werbung im Umfeld von Sprachaktivierung und -steuerung durchaus offen gegenüber. Um negative Reaktionen zu vermeiden, müssen die User jedoch jederzeit die volle Kontrolle darüber haben, wann, wie und wo sie über vernetzte Geräte mit Marken interagieren.
Trend: Story first! Storytelling wird das Content-Marketing erobern
Erfolgreiche Werbung vertraut seit jeher auf die Kraft des Storytellings. Denn gute Kampagnen gründen auf inspirierenden, emotionalen Geschichten. Durch den Hype um Content-Marketing scheinen einige Marketingverantwortliche dieses Mantra aus den Augen verloren zu haben. Doch die Richtschnur ist heute genauso wichtig wie gestern. Und vieles spricht dafür, dass sie morgen nochmals an Bedeutung gewinnen wird. Denn Studien zur Werbewirkung von Kantar Millward Brown mittels Facial Coding belegen, dass Videos die Rezipienten nur mit einer guten Story emotional einbinden. Ein überzeugendes Narrativ ist daher auch im Content-Zeitalter die tragende Säule für jene Inhalte, mit denen Marken und Produkte über Kanäle wie Facebook, Twitter, Snapchat oder Instagram mit ihrem Publikum in Kontakt treten. Content ohne überzeugendes Storytelling wird 2018 definitiv zur Ausschussware im Marketing.
„Die Herausforderung neuer Werbeformate – unabhängig davon, ob sie darauf abzielen, Aufmerksamkeit zu steigern, Wahrnehmung zu verändern oder konkrete Handlungen zu initiieren – besteht in erster Linie darin, ihre Wirksamkeit unter Beweis zu stellen. Wirkung und ROI lassen sich bereits vielfach mit anderen Größen aus dem Bereich Marken- und Verhaltensökonomie vergleichen. Wertvolle Aufschlüsse liefern Daten jedoch nur in Verbindung mit klaren Zielen und einer möglichst kanalübergreifenden Messbarkeit“, fasst Bernd Büchner die wesentliche Punkte für das Jahr 2018 zusammen.
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