Im Portrait: Sven Schoderböck, Vollblutmusiker, Nerd & Marketingexperte, Thomann Musikhaus
Sandra Goetz, 6. Dezember 2017Die echten Online-Marketing-Rockstars kommen ursprünglich nicht aus Hamburg, sondern aus einem 160-Seelen-Nest namens Treppendorf in Oberfranken, Nähe Bamberg. Hier hat das Musikhaus Thomann seinen Stammsitz. Thomann gilt als weltweit größter E-Commerce-Händler für Musikinstrumente. Im letzten Jahr machte das Familienunternehmen einen Jahresumsatz von 715 Millionen Euro – 90 Prozent macht davon der Webshop aus. Mehr als 1.200 Mitarbeiter hat die Firma, die meisten von ihnen sind Musiker und Musikerinnen. Die rechte Hand von Chef Hans Thomann Junior ist Sven Schoderböck. Seit Mitte der 1990er ist dieser für IT und Marketing verantwortlich. Seit eineinhalb Jahren lebt Schoderböck in der Hansestadt und leitet vom Hamburger Büro, das Mitten in der Innenstadt liegt, die digitalen Geschicke. Ein Portrait.
Werdegang
Sven Schoderböck bezeichnet sich als ein „Kind der Branche“. Der Vater hatte ein Musikfachgeschäft in Fürth bei Nürnberg und war zusätzlich Musiklehrer. Die Mutter verkaufte Musikinstrumente. Sven lernte Klavier und Bassgitarre spielen und entdeckte, nachdem die ersten Heimcomputer den deutschen Markt eroberten, ein weiteres Hobby: Computer. – Und damit den Spaß am Programmieren. Die Leidenschaft hielt auch nachts an, die Schule interessierte immer weniger. „Das machte sich an den Noten bemerkbar und nach der zehnten Klasse verließ ich zum Leidwesen meiner Eltern das Gymnasium mit einem Realschulabschluss“, sagt Schoderböck. Um die Eltern zu beruhigen, machte er eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann – natürlich in einem Musikfachgeschäft. Als Lehrling baute der eher zurückhaltende Nerd eine neue Abteilung in dem Geschäft auf. Nach bestandener Lehre machte Sven Schoderböck seine Hobbys zum Beruf und gründete zusammen mit Freunden eine Firma, um erfolgreich Musiksoftware zu programmieren.
Bereits in dieser Zeit hat Hans Thomann, der 1990 das Geschäft von seinem Vater übernommen hatte, immer wieder bei Sven Schoderböck angefragt – ob dieser nicht bei ihm arbeiten wolle. Schließlich kannte man sich. Die Branche ist überschaubar, der Wettbewerb stark und die Leidenschaft um so größer. Schoderböck, der sich in seiner Selbständigkeit nicht weiter mit Banken und Finanzämtern herumschlagen wollte und nach neuen Möglichkeiten Ausschau hielt, wollte sich Treppendorf zumindest einmal ansehen. Auf dem Sommerfest anno 1996 wurde dem damals 23-Jährigen ein Thomann-T-Shirt in die Hand gedrückt und „da ich eh gerade nichts anderes vorhatte, habe ich gleich mitverkauft. Seit dem Tag bin ich bei Thomann. Ich fand Hans Thomann Jr. cool, dass das Unternehmen unabhängig war, aufstrebend, er sein Ding gemacht hat“, sagt Schoderböck. Was ebenso für Thomann sprach: „Die Firma ist ein typischer Mittelständler. Verwurzelt, demütig, bodenständig, ehrlich und unabhängig. Also das komplette Gegenteil, was heute eine moderne Start-up-Hipster-Company ausmacht“, weiß der gestandene Bayer.
Warum digitales Marketing?
„Internet und Kommerz war für mich damals ein No-Go und Marketing fand ich einfach blöd“, sagt Schoderböck mit entwaffnender Ehrlichkeit. „Aber als ich die Technologien dahinter entdeckte, begann ich mich für digitales Marketing zu interessieren. Heute finde ich es super“, so der Wahlhamburger. Das digitale Marketing sei eine völlig neue, zielgerichtete und effiziente Art und Weise, mit Menschen zu kommunizieren. Geschichten zu erzählen, Botschaften zu versenden. Über Rückkanäle gäbe es die wichtigen Feedbacks: „Die Technologien dahinter sind faszinierend, aber auch spooky, gespenstisch“, sagt Sven Schoderböck. Den digitalen Bereich empfindet der 45-jährige Familienvater als weitaus ehrlicher als das klassische Marketing, in dem Verkaufstalente „viel heiße Luft“ vermarktet haben. Digitales Marketing ist für Thomann – wie überhaupt für die Musikbranche – überlebenswichtig.
Was ist das Spannende am digitalen Marketing?
Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen, zum Beispiel der Autoindustrie, spricht der Musikfachhandel nur einen Bruchteil der Bevölkerung an. „Wir könnten uns zwar TV-Werbung leisten, es macht jedoch keinen Sinn, da der Streuverlust zu hoch ist“, sagt Schoderböck. Von daher gäbe es nur eines: zielgerichtetes Targeting. Die „ultracoolen Möglichkeiten“, die von Schoderböck und Team eingesetzt werden, sind u. a. Retargeting, Profiling über Facebook-Audiences aber auch Lookalikes. „Wir haben damit völlig neue Möglichkeiten, mit dem Kunden zu kommunizieren und diesen glücklich zu machen“, so Sven Schoderböck. Auch, wenn das Marketing- und E-Commerce-Team vieles inhouse macht, wurden einige Leistungen komplett außer Haus gegeben, SEO gehört dazu. Dafür verantwortlich zeichnet die Performance-Agentur Sunlab GmbH in Aschaffenburg. Gemeinsam haben die Unternehmen die nötige Technologie entwickelt. Die wichtigen Daten werden auch weiterhin von Thomann geliefert. „Wir wollen keinen Wissensverlust, sondern setzen auf den Transfer unseres Fachwissens“, sagt Sven Schoderböck.
Apropos Fachwissen: Seit wenigen Wochen ist die „Videoberatung live aus Treppendorf“ für alle Kategorien des Webshops freigeschaltet. Europas größtes Musikhaus betritt auch hier neue Pfade. Denn nicht jeder Musikfan macht sich nach Treppendorf auf, um sich vor Ort im 5.500 qm großen thomannschen Flagship-Store umzuschauen.
Was sind die größten Herausforderungen für Thomann?
„Wir haben mehrere Herausforderungen, die nicht allein das digitale Marketing betreffen“, sagt Sven Schoderböck. Eine Herausforderung betrifft unsere Mitarbeiter, „die nicht jünger werden. Wir brauchen eine neue, jüngere Riege, die dichter an den heutigen technologischen Anforderungen dran ist“, so der Marketingexperte. Treppendorf, das eine halbe Stunde von Bamberg entfernt liegt, sei für junge Menschen, die gerade ihre Ausbildung oder ihr Studium beendet haben, kein Wunschzielort. Aschaffenburg ist es schon eher. Auch die Hamburger Dependance zahlt auf den musikaffinen Recruiting-Faktor ein.
Eine weitere Herausforderung läge im Verbund „Suche und E-Commerce“. Es seien Amazon und Google, die den Standard definieren. „Wenn ein Kunde bei Amazon eine Rolle Klopapier bestellt, versteht derselbe Kunde nicht, warum unsere Suche auf thomann.de komplexer ist. Als mittelständisches Unternehmen beschäftigen wir 15 Webseitenentwickler und keine Hundertschaften“, sagt Schoderböck. Auch die Logistik will bewältigt werden:
„Ein 140 Zentimeter langer Bass geht bei DHL nicht über die Bänder, ein digitales Piano muss – im Gegensatz zu einer Klopapierrolle – mit der Spedition geliefert werden. Auch daran denken viele Kunden nicht“, sagt Schoderböck mit nüchternem Ton. Eine weitere Herausforderung sieht der Thomann-Vertreter darin, nicht von US-amerikanischen Konzernen abhängig zu werden, die ob der Wertschöpfungskette nur zu gerne etwas von der thomannschen Marge hätten.
Auch deswegen zieht eine Tochterfirma externe Webseiten von Musikern hoch: „Wir betreiben einige der wichtigsten Plattformen für Musiker – Online-Magazine, Foren, Blogs –, um Musiker zu informieren, weiterzubilden und zu bespaßen. So erreichen wir unsere Kunden auch ohne teure Google- und Facebook-Anzeigen“, freut sich Sven Schoderböck. Diese Webseiten werden von den thomannschen Niederlassungen in Hamburg und Düsseldorf betreut und sie sind redaktionell komplett unabhängig vom Stammhaus in Treppendorf. Die größte Herausforderung sieht Sven Schoderböck jedoch im Bereich der digitalen Disruption, die weder vor den Toren in Treppendorf, London, New York City, Barcelona, Bangalore oder Tokio etc. haltmachen wird. Wie auch immer. „Die Welt wird jeden Tag geiler, aber auch komplizierter“, bilanziert Sven Schoderböck sein Leben.