Customer-Experience-Management: Der lange Weg zur umfassenden Kundenorientierung
Jens von Rauchhaupt, 2. November 2017Die Idee einer voll umfassenden Customer Experience ist alles andere als neu, der Weg dorthin scheint aber für viele Unternehmen weiterhin steinig und schwer. An jedem Touchpoint den Kunden bedürfnisgerecht in Echtzeit mit passendem Content oder der richtigen Ansprache abzuholen, erfordert grundlegende Veränderungen in den Organisationsstrukturen der Unternehmen. In vielen Marketingabteilungen wird diese Neuorientierung gerade erst eingeleitet und längst wird noch nicht alles umgesetzt, was technisch schon möglich ist, berichtet Timo Kohlberg, Product Marketing Manager EMEA von Adobe Systems. Für ihn spielt die Customer Experience die erste Geige im modernen Marketing.
Timo Kohlberg ist Experte für digitales Marketing sowie Cross-Channel-Kampagnenmanagement mit Fokus auf die Kreation nachhaltiger Kundenerlebnisse. Bei Adobe ist er Product Marketing Manager für Adobe Campaign, einer Lösung innerhalb der Adobe Experience Cloud, und verantwortet u. a. Marktstrategie, Kommunikation und Business Development. Kohlberg wird am kommenden Mittwoch, den 08.11., auf dem NEW MARKETING TECH Summit in Hamburg am Panel „Ausblick Customer Experience – Immer schneller, relevanter, wirksamer?“ teilnehmen.
ADZINE: Customer Experience, Customer Journey, CRM, Herr Kohlberg, könnten Sie uns erst einmal die Zusammenhänge und Unterschiede erläutern?
Timo Kohlberg: Customer Experience wird in Deutschland gern mit dem Customer-Relationship-Management (CRM) gleichgesetzt. Das sieht man schon an vielen vorherrschenden Jobtiteln in Unternehmen. Aus Sicht eines Lösungsanbieters ist CRM jedoch nur ein System, um eine Customer Experience und eine Customer Journey mit abzudecken, wenn auch ein sehr wichtiges. Am Ende ist das CRM-System ein Ort, wo Daten über einen Kunden abgespeichert und gepflegt werden. Wenn wir heute von Customer Journeys sprechen, dann verfügen Unternehmen über eine Vielzahl weiterer Daten, die für die Kommunikation von Bedeutung sind, seien es demografische oder transaktionale Daten. Hinzukommt dann aber noch eine immer wichtiger werdende Komponente: die Echtzeitdaten. Wie reagiert der Kunde auf Kommunikation und Angebote per E-Mail, Website etc.? Dies Informationen nehmen schon heute eine kritische Rolle ein, um Kunden zum richtigen Zeitpunkt die passende und relevante Experience zu bieten.
ADZINE: Dann ergeben sich also aus CRM-Daten, der Customer Journey und der Analyse aus dem Echtzeitverhalten die Folgemaßnahmen für die richtige Customer Experience?
Kohlberg: Aus meiner Sicht ja. Die Customer Experience ist eine kanalübergreifende Erfahrung, die über den kompletten Lebenszyklus des Kunden geht. Ganz egal auf welchem Device oder an welchem Kontaktpunkt ein Kunde mit der Marke kommuniziert. Und wenn wir uns die komplette Journey anschauen, ist sie auch unabhängig davon zu betrachten, ob der Kunde anonym unterwegs ist oder identifiziert wurde. Wir sollten immer versuchen, die Informationen, die wir über den Kunden oder das Segment haben, optimal einzusetzen. Und hier sind viele Kundenjourneys in der Realität noch unterbrochen und nicht konsistent, weil die Technologien noch nicht miteinander verbunden sind. Eine Newsletter-Anmeldung nach einem Website-Besuch infolge eines Klicks auf ein Werbebanner mag für den Kunden eine logische Folge von Schritten sein. Oftmals können Unternehmen das noch gar nicht in Bezug setzen, sie wissen also gar nicht, was der Kunde vor der Newsletter-Anmeldung gemacht hat. Das ist aber notwendig, um den Kunden immer und überall passend abzuholen.
ADZINE: Customer-Experience-Management ist das also eine Frage der passenden Technologien oder vor allem auch eine strategische Aufgabe für ein Unternehmen und seinen CMO?
Kohlberg: Sowohl als auch. Natürlich spielt die Technologie eine große Rolle und es ist inzwischen auch so, dass Technologien bereits mehr ermöglichen, als in der Realität von den meisten Marken umgesetzt wird. Dennoch sehen wir es als größte Herausforderung an, dass die Unternehmen ihre Organisation und Prozesse nicht an die neuen Kundenanforderungen anpassen. Viele große Konzerne müssen sich noch umorientieren und ihre Organisationsstrukturen adaptieren, um vor allem Silos aufzubrechen und die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen zu fördern. Erst dann können sie die Möglichkeiten der Technologien voll ausschöpfen und dem Kunden eine gute Customer Experience bieten.
ADZINE: Wenn die Adobe Experience Cloud in einem Unternehmen implementiert werden soll, sehen Sie sich dann auch in einer beratenden Funktion?
Kohlberg: Ja, auf jeden Fall. Es ist aber auch wichtig, die Erfahrung von Partnern mit einzubringen. Wir haben eine Reihe von Consulting- und Implementierungspartnern, die ebenfalls ihre Expertise, z. B. für eine bestimmte Branche, mit einbringen. Das muss auch so sein, weil die unterschiedlichen Ausrichtungen der Unternehmen ganz andere Herausforderungen erzeugen, die wiederum eigene, zum Teil auch lokale Spezialisten erfordern. Es ist immer eine Mischung zwischen Einrichtung unserer Lösungen und einer eher businessorientierten Beratung.
ADZINE: Mit welchen Herausforderungen müssen sie sich im Bereich der Daten dann herumschlagen? Viele Kunden haben ja bereits CRM-Systeme oder DMPs, wo sie Audience-Segmente gesammelt haben.
Kohlberg: Daten liegen in verschiedenen Lösungen und Bereichen vor. Hier gilt es erst einmal, diese Daten zentralisiert zusammenzuführen, um ein integriertes Kundenprofil zu bilden. Dabei geht es nicht darum, dass die Daten physisch an einem Ort gespeichert werden, sondern dass die Marketingabteilung eine einheitliche Sicht auf den Kunden hat, um segmentieren und Kampagnen erstellen zu können. Hier treffen wir auch wieder auf die organisatorischen Herausforderungen. Oftmals haben Marketing- und Salesabteilung gar nicht den Zugriff auf alle relevanten Daten, somit auch nicht die umfassende Sicht auf den Kunden. Damit verliert der Marketer die erforderliche Agilität für ein konsistentes und relevantes Customer-Experience-Management.
ADZINE: Wie funktioniert Customer-Experience-Management nun am Beispiel der Adobe Experience Cloud?
Kohlberg: Wenn wir die relevanten Daten eines Kontaktes zusammengefasst haben, wird diesem eine einheitliche und einzigartige Experience Cloud ID zugeordnet. Über diese ID können wir den Kontakt in der weiteren Journey identifizieren und wiedererkennen.Falls dieser zum Beispiel ohne Login anonym auf die Website zurückkehrt, wissen wir, ob er zu einem bestimmten Kundensegment angehört. Entsprechend lassen sich daraufhin die passenden Maßnahmen abstimmen und basierend auf den wichtigsten Daten personalisieren. Handelt es sich zum Beispiel um das Segment „Bestandskunden“ können wir diesen Kontakt von Neukundenkampagnen ausschließen. So lässt sich auch gezielter werben und das Werbebudget effektiver einsetzen – Stichwort „Programmatic Advertising“.
ADZINE: Doch die wenigsten Unternehmen in Deutschland befassen sich schon mit solchen Ansätzen, oder?
Kohlberg: Noch sind es vor allem die größeren Unternehmen, die hier investieren. Aber wir sehen deutlich den Trend, dass sich auch mittelständische Unternehmen umstellen. Weg vom rein produktorientierten Marketing hin zur umfassenden Kunden- und Serviceorientierung. Es geht nun auch darum, die Erlebnisse dazwischen zu orchestrieren, die Micro-Moments des Kunden, wenn dieser z. B. bereits ein Produkt gekauft hat.
ADZINE: Welche Rolle spielt für Adobe bereits künstliche Intelligenz (KI) im Bereich Customer Experience?
Kohlberg: Wir setzen KI bereits in unseren Kreativ- wie auch den Marketinglösungen integriert ein, um sowohl Nutzern als auch Konsumenten eine bessere Experience bieten zu können. Beispielsweise hilft uns Adobe Sensei, unsere Engine für KI, in unserem Kampagnenmanagementsystem, um eine perfekte Betreffzeile zu finden. Durch die Analyse historischer Daten sagt uns Sensei die Öffnungsrate von Betreffzeilen voraus und macht Verbesserungsvorschläge. Ein zweites Beispiel: Unsere KI kann Anomalien im digitalen Kampagnentracking erkennen, beispielsweise wenn eine große Zahl ausgefüllter Formulare, aufgrund eines technischen Fehlers, nicht abgeschickt wird oder Bestellungen auf einer einzelnen Webseite plötzlich hochschnellen. KI ersetzt also zeitaufwendige, manuelle Analysen und hilft uns gleichzeitig bei der Optimierung von Content, durch Daten.
ADZINE: Was ist eigentlich am Ende das Ziel einer guten Customer Experience, einfach nur die Conversion oder darüber hinaus die Loyalität?
Kohlberg: Das ist grundsätzlich abhängig vom Geschäftsmodell. Es gibt Unternehmen, die primär einmalige Kunden haben. Hier zählt dann vor allem die Conversion. Aber in den meisten Fällen sollte der Kunde über die einmalige Conversion hinaus in einen langfristigen Customer Lifetime Cycle eingebunden werden. Kundengewinn, optimale Ansprache und nach einem Erstkauf neue Anreize für den Mehrfachkauf geben, das können dann die Ziele einer guten Customer Experience sein.
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