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DISPLAY ADVERTISING - Meinungsartikel

Digitale Werbung steckt in der Sinnkrise

Jörg Schneider, 12. Oktober 2017
Photo by Ishan Gupta on Unsplash.

Die Werbeausgaben für Online steigen Jahr für Jahr durch den fortwährenden Budget-Shift weg von den klassischen Medien. Besonders Bewegtbildwerbung auf dem Desktop, mobile Werbung und Digital Out of Home wachsen deutlich. Für die digitale Werbebranche läuft also noch alles rund. So rund es eben geht. Trotzdem steckt der digitale Werbemarkt mitten in einer Sinnkrise. Die Frage ist: Wer überlebt und was muss passieren, damit sich der digitale Werbemarkt weiterentwickelt?

Wo hakt es bei den Markteilnehmern? Ein Schnelldurchlauf

Der Sturz der Werbeplayer in die Sinnkrise hat viele Facetten. Neben einem schier undurchdringlichen Marktteilnehmer-Dickicht, gestiegenen technischen Anforderungen bei der digitalen Werbung, dem Einsatz von Ad-Blockern setzt jedem auch der Fachkräftemangel zu. Darüber hinaus gibt es spezifische Herausforderungen:

Die Agenturen spüren einen konstanten, starken Preis- und Wettbewerbsdruck. Dieser wird durch die hohen Erwartungen der Werbungtreibenden und die unüberschaubare Anzahl an Marktteilnehmern ausgelöst. Dazu kommt der über allem schwebende Fakt, dass sich das Business-Modell der Agenturen gerade im Wandel befindet.

Die Publisher verdienen immer weniger Geld und verlieren die Kontrolle über ihr Inventar. Durch die lange Wertschöpfungskette bekommt der Publisher gerade einmal einen einstelligen Cent-Betrag als Erlös aus einem Werbeeuro. Dazu muss er dafür sorgen, tausende von Tags und Header-Bidding-Tags zu verbauen.

Auch die Vermarkter sind abgehängt: hohe Umsatzgarantien für die Publisher, Ad-Tech-Anforderungen durch automatisiertes Trading, Konsolidierung der Mediabudgets, Zwangsvorgaben von den großen Agenturgruppen – und die Konkurrenz der unerreichbaren vier großen Player immer im Nacken.

Natürlich gehört auch der User in das Geflecht des Werbemarkts. Und der hat genug von digitaler Werbung. Er spürt das Ungleichgewicht zwischen Content und Werbemitteln auf einer Website. Allerorten wird er von schlechten Retargeting-Kampagnen verfolgt. Und mobile Werbung verbraucht einen erheblichen Teil seines Datenvolumens beim Surfen mit dem Smartphone. All das trägt zur Verwendung von Ad-Blockern bei.

So der Status quo. Irrsinnigerweise fehlt bei den Werbeplayern immer noch der Handlungsdruck. Wie lange noch? Und für wie viele Player und welche wird es reichen?

Konsolidierung nur augenscheinlich – der Markt fragmentiert sich weiter

Ist ein Markt zu schnell gewachsen, zu fragmentiert und zu unübersichtlich, setzt normalerweise eine Phase der Konsolidierung ein. Dabei wird die Anzahl an Marktteilnehmer drastisch reduziert, unübersichtliche Strukturen werden wieder klarer, irrelevante Angebote verschwinden, KPIs und deren Messung werden vereinheitlicht, Branchenwährungen beschlossen und praktiziert. Augenscheinlich hat diese Konsolidierung im digitalen Werbemarkt Einzug gehalten. Große Player aller Bereiche – ob Vermarkter, Agentur-Netzwerke oder Tech-Unternehmen – kaufen kleine Unternehmen ein. Jüngst legten sogar Agenturnetzwerke innerhalb der Gruppe Agenturen zusammen, wie die Verschmelzung von MEC und Maxus oder von Neo@Ogilvy und Mindshare, beides innerhalb der Group M/WPP.

Neben dieser Entwicklung fällt eine Gegenströmung auf. Neue Player drängen in den Werbemarkt, die diesem nicht originär entstammen. Die Rede ist zum einen von Beratungsunternehmen wie Accenture die in Ad-Tech investieren und nun Digital-Advertising-Services anbieten. Zum anderen von den globalen TV-Broadcastern, die auch Branchenriesen spielend schlucken. Dazu kommen Telekommunikationsanbieter und Marketingtechnologieunternehmen wie Adobe und Salesforce, die ebenfalls Ad-Tech-Kompetenzen kaufen. Diese neuen Player wirken sich zunächst disruptiv auf den Markt aus und stehen der Marktkonsolidierung im Weg.

Grenzen lösen sich auf

Aber auch ohne diese neuen Player findet weiterhin eine Fragmentierung des Marktes statt. Denn eine echte Konsolidierung ist immer inhaltlich getrieben und genau das passiert eben nicht. In Wahrheit sind die Tätigkeitsfelder der einzelnen Player im Markt, die zu Anfang dieses Artikels klar abgegrenzt wurden, längst zu einem Grad ausgeweitet, dass die Grenzen kaum noch existent sind.

Werbungtreibende sind im digitalem Markt oft nicht mehr nur Werbungtreibende, sondern Publisher, Content-Produzenten, Ad-Tech-Plattformen, Data Warehouses und in manchen Fällen noch vieles mehr. Gute Beispiele dafür sind die Otto Group oder Zalando. Aber auch bei kleineren Player lässt sich dieser Trend beobachten. Mit der Verbreitung von Programmatic Advertising ist der Bedarf an Daten und deren Verarbeitung enorm gestiegen. Die Reichweite und Qualität der Daten hat jedoch den Bedarf der wenigsten Anbieter decken können. Mit Daten allein ließ sich kaum Geld verdienen. Deshalb musste der Handel von Werbeplätzen mit einbezogen werden, wenn man sein Geschäft irgendwie skalieren wollte. Das Ergebnis: Agenturen bauen eigene Traffic-Netzwerke auf, DMPs bauen DSPs, um am Medienmarkt teilzunehmen, Yield Optimizer werden SSPs, Ad-Server-Unternehmen bieten DSP- und SSP-Funktionalitäten, um an den Transaktionen teilhaben zu können etc. etc. Sie alle verlassen, zumindest teilweise, ihr ursprüngliches Tätigkeitsfeld und drängen in den digitalen Werbeplatzhandel. Doch egal, wie viele Bereiche man in sein Geschäft mit aufnimmt, jeder einzelne Bereich leidet und wird am Kapitalmarkt und für den Endverbraucher uninteressant. Dies ist das Gegenteil von Konsolidierung.

Die Konsolidierung muss inhaltlich getrieben sein

Die Folge ist ein zerklüfteter, unüberschaubarer Markt, dessen Innovation und Effizienz ausgebremst und in dem weite Felder zum Selbstzweck geworden sind. Die Konsequenzen sind die negativen Deskriptoren, die ich zu Beginn des Artikels erläutert habe, unabhängig von den einzelnen Playern. Ein Teufelskreis, aus dem ein einzelner Player nicht ohne die Teilnahme aller anderen ausbrechen kann.

Die Lösung heißt inhaltliche Konsolidierung. Dass die Grenzen zwischen Tätigkeitsfeldern aufweichen, ist auf lange Sicht gut. Denn diese Aufweichung bedeutet, dass sich die Beteiligten einem Know-how-Gleichgewicht annähern: Man bekommt ein Verständnis für andere Fachbereiche und schafft eine Dialogbereitschaft. Ein Beispiel: Baut ein Advertiser Ad-Tech-Business auf, baut er auch entsprechendes Know-how aus. Dieses Wissen verändert langfristig seine Erwartungen als Mediaeinkäufer. Eine Mediaagentur, die Produktkompetenzen aufbaut, lernt den Wert von Kreativität in Relation zu reinen Media-KPIs einzuordnen usw.

Die Branche sollte jetzt die inhaltliche Konsolidierung geschlossen vorantreiben, indem sie sich mehr Zeit nimmt – für den Dialog, das Lernen, das Schaffen von Synergien, das Strukturieren und Organisieren von Kooperationen. Als Allererstes gilt es eine einheitliche Bestimmung des KPIs „Viewability“ voranzutreiben. Wann gilt ein Ad als sichtbar? Wenn wir diese Frage gemeinsam und einheitlich beantwortet haben, haben wir Konsensfähigkeit bewiesen. Dann können wir die großen Themen angreifen.

Bild Jörg Schneider / Undertone Über den Autor/die Autorin:

Jörg Schneider ist Experte für Online-Marketing und Display-Advertising. Seit 2012 ist er Country Manager Germany des US-Unternehmens Undertone, einem Anbieter von digitalen Cross-Screen-Lösungen für Markenwerbung. Zuvor war er langjährig in der internationalen Vermarkterlandschaft tätig, unter anderem bei Lycos und HiMedia.

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