Warum die Sieger der Bundestagswahl Online Marketing Profis sein müssen
Christian Hoops, 20. September 2017„Make America great again“ – der Slogan von Donald Trump geht seit 2016 durch alle Medien und verhalf dem Milliardär zum höchsten Staatsamt der USA. Auch weil Trumps Team genau wusste, welche Kanäle es mit welchen Inhalten füllen musste, welche Zielgruppen auf welche Botschaften am besten anspringen. Das Wahlkampfteam vertraute dabei auf das Handwerk und die Tools des Online Marketings. Doch was haben Ads, Targeting und Co. mit der Wahlforschung zu tun? Was können beide Disziplinen voneinander lernen? Und was bedeutet das für den anstehenden Bundestagswahlkampf?
1. Online Marketing und die Wahlforschung: Welche Methoden nutzen beide?
Online Marketing und die Wahlforschung: Nur auf den ersten Blick ein ungleiches Paar. Beide Disziplinen vereint jedoch, dass äußerst zahlenaffin an methodisch ähnlichen Fragestellungen gearbeitet wird. Das Online Marketing prognostiziert beispielsweise auf Basis des Kauf- oder Surfverhaltens eines Kunden bestimmte Produkt- und Markenaffinitäten. In der Wahlforschung hingegen wird die Herstellung einer bestimmten Parteienaffinität durch die Betrachtung von Wahlabsichten untersucht.
Wesentlicher Bestandteil des Online Marketings und allerspätestens seit den letzten US-Wahlkämpfen auch der Wahlforscher ist die Nutzung von Big Data. Barack Obama hat es mit seinem Wahlkampfteam vorgemacht und auch das Team von Donald Trump mit Unterstützung der Datenanalysefirma Cambridge Analytica machte davon starken Gebrauch, um etwa zielgerichteter individualisierte Werbung über Social Media-Kanäle ausspielen zu können.
Die verwendeten Tools sind dabei äußerst ähnlich. Sowohl im Online Marketing als auch in der Wahlforschung werden beispielsweise Attributionsmodelle genutzt, um den Erfolgsbeitrag verschiedener Marketinginstrumente zu quantifizieren und optimale Investitionen in Botschaften und Kanäle zu ermöglichen. Besonders für die Effizienz von traditionellem Offlinemarketing, wie Printaktionen oder Tür-zu-Tür-Wahlkampf, sind derartige Analysen entscheidend.
Die Modelle beider Welten basieren dabei auf vergleichbaren methodischen Grundlagen. Mithilfe von Bayes Techniken, Gradient Boosting, Zeitreihenanalysen, Neuronalen Netzen oder anderen multivariaten Verfahren lassen sie sich erstellen. Eine Methodik, die etwa im Online Marketing des Onlinehändlers OTTO angewendet wird, ist die Shapley-Regression. Diese findet Anwendung, da klassische Verfahren aufgrund der Verletzung von Modellannahmen, insbesondere der Multikollinearität, zu verzerrten Ergebnissen führen würden.
Das Thema Attribution wird zwar in der Wahlforschung behandelt, aber methodisch ließe sich sicherlich einiges aus dem Bereich Marketing abgreifen.
2. Was kann die Wahlforschung sonst noch vom Online Marketing lernen?
Das Online Marketing birgt auch darüber hinaus Features, die für die Wahlforschung von großer Bedeutung sein werden. Hierbei ist vor allem die Cross-Cookie-Technologie zu nennen, die für das Tracking der deviceübergreifenden Customer Journey entscheidend ist. Sie bietet die Möglichkeit, auch ohne aktiven Login Kontakte verschiedener Devices zusammenzuführen. So lässt sich beispielsweise das Surfverhalten auf dem Mobiltelefon für gezielte Werbung auf einem anderen Gerät des Nutzers verwenden. Hierbei werden nicht nur das Klick- oder Surfverhalten, sondern etwa auch Views in sozialen Netzwerken, miteinander verknüpft.
Eine vergleichbare Cross-Cookie-Technologie würde die Güte der Meinungsforschung deutlich steigern, da zusätzliche Informationen berücksichtigt werden könnten. Einige Institute bewegen sich bereits in diese Richtung, so etwa die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die ein entsprechendes Cross-Media-Panel anbietet. Vermutlich wird eine Hybridisierung von führender Demoskopie- und Target-Technologie irgendwann auch zu deutlich präziseren Wahlprognosen führen.
3. Was kann das Online Marketing von der Wahlforschung lernen?
In der Wahlforschung gibt es verschiedene Themen, die auch für das Online Marketing relevant sind:
a) Der Non-Response-Bias ist ein wesentlicher Bestandteil der Wahlforschung. Er beschreibt dort das Ausmaß, dass Umfragen den Wahlausgang nicht richtig repräsentieren, weil sie eine große Gruppe von Wählern außer Acht lassen, die an Umfragen nicht teilnehmen. Viele Institute verwenden daher Techniken, um derartige Verzerrungen bei Wahlprognosen vorab herauszurechnen. Dies ist notwendig, da Umfrageverweigerer in der Regel ein anderes Wahlverhalten zeigen. Vergleichbare Verfälschungen können auch im Online Marketing bei der Verfolgung der Customer Journey auftreten. Die verwendeten Attributionsmodelle kämpfen hierbei mit einem Non-Login-Bias. Also mit Nutzern, die sich gar nicht erst einloggen und somit eine deviceübergreifende Zusammenführung unmöglich machen. Durch Methoden der Wahlforschung könnten entsprechende Journeys probabilistisch zusammengeführt werden.
b)Rolling-Cross-Section-Designs ermöglichen die Analyse des Effekts von Medienereignissen auf Umfragewerte. Dabei wird eine repräsentative Gesamtstichprobe einer Erhebung in repräsentative Substichproben geteilt, die in regelmäßigen Abständen (z.B. jeden Tag) aktiviert werden. Durch das Befragungsinstrument entstehen Tagesdaten, die ab einem bestimmten Zeitpunkt zu einem theoretisch konstanten Anteil an leicht- und schwererreichbaren Personen bestehen. Vorteil des Verfahrens ist eine deutlich höhere Repräsentativität und Vergleichbarkeit der Tagesdaten, was zu valideren Analyseergebnissen führt. Diese Technik ließe sich auch im Online Marketing anwenden, um beispielsweise die Auswirkungen von Werbeaktionen auf Umsatzzahlen zu betrachten. Hierbei wirken externe Einflüsse, die den Zusammenhang beeinflussen und die Analyse erschweren. Symmetrische Designs können helfen, verzerrte Ergebnisse durch diese unerwünschten Effekte zu verhindern.
c) Das sogenannte Propensity Weighting bietet eine Möglichkeit zur Aggregation von Daten verschiedener Zustände. In der Wahlforschung werden hiermit beispielsweise On- und Offlinedaten zusammengefasst und somit ein höherer Grad an Repräsentativität erlangt. Auch bei der Gewichtung von Paneldaten kommen vergleichbare Techniken zum Einsatz. Wird nun die online gemessene Customer Journey durch Offline-Kontakte einer anderen Quelle (z.B. ein Panel) ergänzt, sollten auch diese Datenquellen einen gemeinsamen Zustand erhalten, um Verzerrungen zu vermeiden.
4. #BTW2017: Ausblick & Fazit für die Bundestagswahl
Fakt ist: Die Bundestagswahl wird nicht durch das schönste Wahlplakat entschieden. Die richtigen Botschaften, zur richtigen Zeit und an die richtige Zielgruppe sind wichtig. Was simpel klingt, ist in der Realität nicht immer leicht umzusetzen. Ein wesentlicher Bestandteil des digitalen Wahlkampfs müssen deswegen die Methoden des Online Marketings sein. Klar ist auch: Eine mit dem US-Wahlkampf vergleichbare Profilerstellung der Nutzer wird durch die strikteren deutschen Datenschutzrichtlinien nicht erlaubt. Trotzdem kann etwa das gezielte Targeting über Social Media ein Beispiel für den modernen Wahlkampf im Netz sein. Die smarte Nutzung von Big Data und Attributionsmodellen sowie eine permanente Analyse der gesendeten Botschaften werden im Wahlkampf entscheidend sein. Die Sieger der Wahl müssen also echte Online Marketing Profis sein.
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