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PROGRAMMATIC

Walled Gardens hebeln das Programmatic-Konzept aus

Jens von Rauchhaupt, 16. Mai 2017

Joachim Schneidmadl, ist Vorstand des Freiburger Technologiespezialisten Virtual Minds und gilt aufgrund seiner langjährigen Erfahrung im digitalen Media- und Marketinggeschäft als Experte für technologiebasierte Geschäftsmodelle und ihre Vermarktung. Mit ADZINE sprach er über Procter & Gambles „Vote with your dollars“-Vorstoß, wie „Walled Gardens“ die Entwicklung des Programmatic-Marktes beeinflussen und warum unabhängige Technologieangebote sowie die aktuellen Dateninitiativen wichtige Schritte für den deutschen Markt sind.

ADZINE: Herr Schneidmadl, Mark Pritchard, Chief Brand Officer von Procter & Gamble, hat Anfang des Jahres u. a. fehlende Messtransparenz und mangelnde Qualitätsstandards in der Digitalbranche moniert und mit der Androhung des Entzugs von Werbegeldern auch die großen US-amerikanischen Player ins Visier genommen. Wie berechtigt ist diese Kritik, auch mit Blick auf den deutschen Markt?

Foto: Virtual Minds/Joachim Schneidmadl Joachim Schneidmadl

Joachim Schneidmadl: Ich kann dieses ‚vote with your dollars‘ sehr gut nachvollziehen – auch wenn für einen großen Teil des deutschen Marktes und deutsche Vermarkter und Technologiedienstleister gilt, dass wir bereits zahlreiche dieser Forderungen, insbesondere auch die nach unabhängigen Leistungs­messungen erfüllen. Erst hatten wir die Diskussionen über Bot Traffic und Ad Fraud, jetzt schleppen wir das Thema non-brandsafe Auslieferung in fragwürdigen Content-Umfeldern mit uns rum, deretwegen mehr als 100 Werbungtreibende Kampagnen auf YouTube ausgesetzt haben. Diese Qualitäts- und Transparenzprobleme sind nachhaltig schädlich für die Entwicklung des gesamten Digitalmarktes weltweit, weil nicht zwischen länderspezifischen Marktgegebenheiten und auch nicht zwischen lokalen und globalen Playern unterschieden wird. Was P&G hier moniert, sind Teilaspekte der jetzt auch in den USA in Gang kommenden Diskussion über „Walled Garden“-Strategien, die viele Effektivitäts- und Effizienzversprechungen und -er­war­tun­gen konterkarieren, die man insbesondere mit Programmatic und einem offenen, egalitären Markt verbunden hat.

ADZINE: Die sogenannten Walled Gardens sind derzeit ein heiß diskutiertes Thema, selbst im US-Markt. Was ist das Problem?

Schneidmadl: Das Problem sind Abhängigkeiten von diesen Plattformen, die das Potenzial haben, etablierte Geschäftsmodelle in Schieflage zu bringen, wenn nicht gar auszuhebeln. Als mono-, maximal oligopolistische Anbieter haben sich die Walled Gardens an der sensibelsten und zugleich erfolgskritischsten Schnitt­stelle festgesetzt: Sie führen Angebot und Nachfrage zusammen, kontrollieren dabei den Zugang von Unternehmen zu bestehenden und potenziellen Kunden und Märkten und isolieren beide Sphären voneinander. Im Zuge der Login-Pflichtigkeit und Opt-in-Fähigkeit ihrer Angebote verfügen sie über exklusive, tiefe Customer und Market Insights, die selbst Unternehmen über ihre eigenen Kunden nicht (mehr) haben. Man braucht nicht viel Phantasie, um zu erkennen, welche Gefahren im Datenzeitalter damit verbunden sein können.

ADZINE: Bei den Nutzern und auch der werbetreibenden Industrie sind Google, Facebook, Amazon & Co. höchst beliebt – 20% der weltweiten Werbebudgets gehen allein zu Google & Facebook ...

Schneidmadl: … die US-amerikanischen Global Player haben es exzellent verstanden, sich mit erstklassigen B2C-Angeboten und -Services als von Millionen Konsumenten genutzte Plattformen quasi unumgänglich im Markt zu positionieren. Fatal ist, dass sie mit ihren Gatekeeper-Positionen im Hinblick auf Reichweite und Nutzerdaten jetzt die Werbeindustrie in ihren Würgegriff nehmen, insbesondere im Wachstumsmarkt Programmatic Advertising. Mit ihrer Marktmacht und ihren vollen Kassen können die US-Player Komplettpakete aus Media, Daten und Technologien so gut wie immer zu günstigeren Preisen anbieten, als für reine Technologielösungen aufgerufen werden, und Mitbewerbermargen massiv unter Druck setzen – bis zum ruinösen Verdrängungs­wettbewerb.

Die „Walled Garden“-Entwicklung im Programmatic-Bereich führt also genau zum Gegenteil dessen, was Programmatic eigentlich bezwecken soll: den offenen, transparenten, egalitären und kosten­effizienten Einkauf von Media.

(Joachim Schneidmadl, Virtual Minds)

ADZINE: Und dennoch dominiert Google den deutschen Adtech-Markt bspw. im Publisher-/ Vermarktersegment. Warum ist das so?

Schneidmadl: Gerade im Bereich Adserver ist der Wechsel des Adtech-Stacks meist sehr ressourcen- und kostenintensiv. Bei vielen Publishern bzw. Vermarktern überwiegen da ganz einfache operative Notwendigkeiten die langfristigen Strategien – trotz der Einsicht und des Wissens darum, wie wichtig es ist, die Hoheit über die eigene Wertschöpfungsstrecke zu behalten. Andererseits haben wir gerade in Deutschland mit Yieldlab eine marktabdeckende Technologie- und Lösungs­alternative im Programmatic-Bereich geschaffen, die mit einer unabhängigen und transparenten sowie gezielt auf Qualitätsinventar ausgerichteten Vermarktungslogik dem Anspruch sowohl der deutschen Premium-Publisher als auch deren Einkaufpartnern gerecht wird.

ADZINE: Wenn den Publishern bzw. Vermarktern ihre Abhängigkeit unterm Strich augenscheinlich doch nicht allzu viel ausmacht: Warum also etwas am Status quo ändern?

Schneidmadl: Weil die „Walled Garden“-Plattformökonomie letztlich dazu führen kann, dass Werbung nicht mehr ausreichend zur (Re-)Finanzierung qualitativ hochwertiger, freier und unabhängiger Medien beitragen kann. Und wir alle wissen, dass Paid Content im Internet ein schwieriges Unterfangen ist.

ADZINE: Was wären denn Auswege aus den derzeitigen Abhängigkeiten? Mehrere deutsche Konzerne, darunter die Allianz, Daimler und die Deutsche Bank, haben vor wenigen Tagen eine übergreifende Datenplattform als Gegengewicht zur Dominanz der US-Player angekündigt. Kann dieser Schritt ein wirksamer Befreiungsschlag sein?

Schneidmadl: Daten sind in einer Plattformökonomie der Schlüssel für den zukünftigen Erfolg, weil sie entscheidend für die Qualität der Kundenbeziehung sind. Und diese sollte man nicht seinem potenziell größten Mitbewerber überlassen. Wir brauchen dringend Marktalternativen zu den bestehenden Plattform­systemen – und diese Thematik geht weit über das digitale Marketing und die Mediabranche und deren Bedürfnisse hinaus. Strategische Partnerschaften wie die von Zalando mit ProSiebenSat1, der Otto Group mit Ströer oder jetzt die Datenallianz von Deutscher Bank, Daimler, der Allianz und weiteren Partnern sind genau die richtige Strategie und der richtige Schritt. Gleichzeitig muss der Markt Kapital in die Hand nehmen, um die Existenz unabhängiger Technologieanbieter abzusichern, die, anders als die „Walled Gardens“, auch wirklich reine Technologiedienstleister sind, so dass Technik und Assets (Media und Daten) in der Hoheit faktisch getrennt sind und bleiben. Last but not least gehört zu einem solchen Szenario auch, dass die Politik wettbewerbsverzerrenden Lizenz- und Steuer­sparmodellen endlich einen Riegel vorschiebt und beim Thema Datenschutz der digitalen Wirtschaft nicht länger Bärendienste erweist, sondern mit Marktverständnis und Weitblick für einen gesetzlichen Rahmen sorgt, der nicht wie mit dem faktisch ab Mai 2018 zur Anwendung kommenden Opt-in vor allem die großen US-Plattformsysteme bevorteilt.

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