Knapp 600 Besucher pilgerten letzte Woche nach Berlin, um sich über die Entwicklung von Programmatic Advertising im deutschsprachigen Raum zu informieren und auszutauschen. Und es gab viel zu besprechen. Im automatisierten Mediahandel verläuft längst noch nicht alles fehlerfrei und ein Resümee ist gewiss: Selbst wenn es nunmehr Plattformen sind, die vermehrt bei der Werbebuchung miteinander kommunizieren, ohne die Menschen dahinter geht gar nichts. Auch mit Programmatic bleibt der Mediahandel zwischen den Marktteilnehmern People Business und genau daran sollten sich alle orientieren.
Zwei Hauptthemen bestimmten den großen Saal im Kosmos Berlin an der Karl-Marx-Allee. Zum einen war es die Walled-Garden-Diskussion und zum anderen die Transparenz von Programmatic. Es scheint, die Angebotsseite, und damit sind vor allem hiesige Vermarkter gemeint, profitiert weit weniger vom Programmatic Advertising als die Nachfrageseite. Jedenfalls wenn man mit Letzterer die Mediaagenturen meint. Das ergab eine ADZINE-Umfrage im Vorfeld der diesjährigen ADTRADER, an der sich 200 Branchenvertreter beteiligten. Die Ergebnisse wurden – sozusagen als Warm-up der Konferenz – vom ADZINE-Herausgeber Arne Schulze-Geißler präsentiert. Kernergebnis: Umfeld und Service seien bei den deutschen Vermarktern weiterhin top. Allerdings liegt es auch daran, dass sie ihr Geschäft größtenteils weiterhin wie vor 10 Jahren betreiben. Was fehlt, ist die Datenqualität und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Vermarktern und Medienhäusern.
Facebook und vor allem Google geben im Programmatic Selling den Takt an. Das führt zu einer Schieflage in Europa und anderswo. Doch bei aller Kritik an den beiden Walled Gardens, die eine unabhängige Leistungsüberprüfung programmatisch eingekaufter Werbekampagnen nur bedingt zulassen: Sie machen mit ihren Plattformen einen super Job, gerade im Bereich Data. Doch anstatt sich die Publisher und Vermarkter zusammentun, um Allianzen wie in den USA und UK zu bilden, steht zu befürchten, dass die großen deutschen Medienhäuser ihrerseits eigene kleine Walled Gardens aufbauen könnten. Die Paneldiskussion unter den deutschen Vermarktern bestätigte dieses Bild. Man redete ein wenig einander vorbei. Hier hätte man sich ein deutlicheres Commitment zu mehr Zusammenarbeit gewünscht.
Eine Renaissance der Umfelder?
Insbesondere zur Abgrenzung von Google wird aufseiten deutscher Vermarkter viel Hoffnung in die Qualität des eigenen Inventars gesetzt, denn ob Werbungtreibende, Adtech-Anbieter oder Vermarkter: Alle waren sich auf der ADTRADER einig, dass es am Ende doch auf die Qualität der Umfelder ankommt und daher Premiumcontentanbieter auch im Programmatic Selling zukünftig die Nase vorn haben werden. Schließlich fehle es den Walled Gardens an solch hochwertigem Inventar. John Nardone, CEO vom Agentur-Adserver-Anbieter Flashtalking, rief daher die Publisher eindringlich zu einer Zusammenarbeit auf und empfahl der Einkaufsseite, Premium-Publisher in ihren Mediaplänen zu bündeln.
Hier ist deutliche Skepsis angebracht, wenn man die derzeitigen Entwicklungen beobachtet. Werbeformen wie Native Advertising oder Redaktionstools, die Inhalte und Überschriften nach Monetarisierungsaspekten anpassen, führen nämlich derzeit zu einer deutlichen Verschlechterung des Inventars sogenannter Premium-Publisher. Auf der anderen Seite erweitert Google seine Bestrebungen, in die Qualitätsumfelder der Premium-Publisher zu gelangen und damit auch Brand-Kampagnen automatisiert abzuwickeln. Die jüngsten Ereignisse um die Brand Safety auf YouTube-Content mag zwar kurzfristig für Google ein Rückschritt gewesen sein, es ist aber davon auszugehen, dass Google seine Lehren daraus ziehen und mittel- und langfristig immer mehr Marken für programmatisch eingebuchte Kampagnen erreichen wird. Das Angebot kostenfreier Attributions-Tools und Marketingmix-Modelling-Systeme werden Google dabei sicher helfen.
Kritik des Markenverbandes
Überraschend waren die Klarheit und Direktheit, mit der die Marken, organisiert in der OWM, die jüngsten Entwicklungen von Programmatic Advertising formulierten. Jenny Görlich, seit Herbst 2016 die neue Leiterin Digital bei der OWM, nahm auf der ADTRADER keine Blatt vor dem Mund. Insbesondere die Brand Safety von programmatisch eingebuchter Markenwerbung sieht sie gefährdet. Lesen Sie bitte dazu ihre Rede, die wir hier im Newsletter und auf Adzine.de veröffentlicht haben.
Leute, redet mehr miteinander!
Insbesondere bei der Kostentransparenz gab es im Panel mit Christian Wilkens von der Mediaagentur Mediacom, Thomas Koch von TK-One und Jenny Görlich heftige Diskussionen. Viele Kritiker wie Thomas Koch alias Mr. Media unterstellen den Mediaagenturen Eigeninteresse und Verschleierungstaktiken. Er forderte die Mediaagenturen auf, sich auf ihre Beratungsleistung zu konzentrieren.
Verdienen eigentlich Mediaagenturen mehr an Programmatic, beispielsweise durch in Tech-Fees versteckte Kosten? Ist dies der Grund für ihre Bestrebungen, Programmatic zu forcieren? Das wollte Christian Wilkens von der Mediacom so nicht stehen lassen. Er argumentierte gut und klar, warum Programmatic vor allem für die Werbetreibenden einen deutlichen Effizienzschub bedeutet und deswegen die Mediaagenturen auch andere Spielregeln als das klassische I/O-Geschäft benötigen. Jenny Görlich wundert sich dennoch über das eine oder andere Kampagnenreporting, das sie zu Gesicht bekommt. Für sie ist Programmatic einfach noch nicht ausgereift. Erschwerend käme hinzu, dass aufseiten der Mediaagenturen dauernd die Ansprechpartner wechselten, was wiederum das Vertrauensverhältnis belasten würde. Auch Programmatic Advertising ist People Business. Als Zuschauer wurde man das Gefühl nicht los, dass derzeit die Kommunikation zwischen Werbetreibenden und Mediaagentur nicht stimmt. Die Marktteilnehmer müssen sich mehr untereinander austauschen, damit nicht Unterstellungen und Argwohn ihr Verhältnis weiter belasten. Und welche Gelegenheit ist dafür besser geeignet als die ADTRADER?
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