Arne Kirchem, Unilever: „Für uns ist Programmatic keine Blackbox!“
Jens von Rauchhaupt, 12. April 2017Von Axe, Ben & Jerry's, Dove, Knorr, Langnese bis Rexona oder Signal, um nur einige bekannte Marken zu nennen. Unilever produziert und vertreibt über seine 400 Marken FMCG-Produkte, die wahrscheinlich jeder Bundesbürger in seinem Haushalt nutzt oder schon einmal genutzt hat. Auch für diesen Global Player und Brand Advertiser wird die fragmentierte Mediennutzung eine immer größere Herausforderung, um sich in den Zielgruppen ausreichend Gehör zu verschaffen. Wir sprachen mit Arne Kirchem, Unilevers Media Director, verantwortlich für die DACH-Region, über TV- und Bewegtbildwerbung, Daten-Usage, Mobile und Programmatic.
Adzine: Herr Kirchem, die Veränderung der Mediennutzung – weg vom klassischen, linearen Fernsehen und Print hin zu Online und insbesondere Mobile – ist allgegenwärtig. Welche Folgen hat das für den Mediamix der Unilever-Marken?
Arne Kirchem: Als Konsumgüterunternehmen müssen wir dort für unsere Marken werben, wo unsere Verbraucher sind. Das ist nach wie vor in den sogenannten traditionellen Medien, aber auch immer stärker Online. Unser Mediamix hat sich daher in den letzten Jahren stark in diese Richtung verschoben, ohne dass ich Ihnen dazu Zahlen nennen kann. Online bieten sich natürlich auch andere Möglichkeiten: Gerade Search ist für uns wichtig, z. B. bei der Rezeptsuche oder wenn es um die beste Lösung für ein Haarproblem geht. Und für viele unserer Marken ist eine Präsenz in Social Media unabdingbar.
Adzine: Einige Unilever-Marken haben ja besonders junge Zielgruppen. Kommt es eigentlich schon vor, dass klassisches TV ganz aus ihren Mediaplänen herausgenommen und beispielsweise durch YouTube ersetzt wird?
Kirchem: Wir planen schon länger nicht mehr „nur TV“, sondern grundsätzlich Bewegtbild. Wir haben immer eine Gewichtung. Das ermöglichen wir über ein komplexes Bewertungsmodell, über das wir für jede Kampagne die richtige Balance zwischen TV und digitalem Bewegtbild herstellen. Digitales Bewegtbild gewinnt insgesamt für uns an Bedeutung und es ist richtig, dass bei einigen unserer Marken die Zielgruppen relativ jung sind. Infolgedessen nimmt dort die Gewichtung zu digitalem Bewegtbild weiter zu, aber auch hier findet die Mediengattung TV weiterhin Berücksichtigung.
ADZINE: Kann man also sagen: Je größer das Budget, desto mehr wird in digitales Bewegtbild investiert?
Kirchem: Nicht ganz. Das ist eben keine lineare Kurve, weil man die Basismenge an Kontakten noch immer über TV am günstigsten bekommt. Bei inkrementellen Reichweiten wird es dann günstiger, die Kontakte über digitales Bewegtbild hineinzubekommen.
Adzine: Ohne klassische TV geht es also weiterhin nicht. Umso wichtiger ist doch eine einheitliche Planung zwischen den Mediengattungen, insbesondere bei Bewegtbild zwischen Online und TV. Wie bewerten Sie die Fortschritte bei der Etablierung einer Konvergenzwährung? Für Außenstehende scheint sich das ja ewig hinzuziehen.
Kirchem: Eine Konvergenzwährung ist für uns sehr wichtig. Die Komplexität dieser Aufgabe darf aber nicht unterschätzt werden. Wenn ich das mit Entwicklungen in anderen Ländern vergleiche, machen wir gute Fortschritte. Der deutsche Markt ist hier führend. Wir bauen ein Vorbild für eine globale Messung und die Werbetreibenden machen auch jede Menge Druck. Aber es ist alles andere als trivial. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass sich hier global tätige Werbetreibende an einen Tisch setzen, um in Deutschland ein Role Model aufzubauen, das für die ganze Welt richtungsweisend sein wird. Ich finde, die OWM und insbesondere Uwe Storch leisten hier hervorragende Arbeit und kommen in Anbetracht der Komplexität der Aufgabe sehr gut voran.
Adzine: Die Mediennutzung geht auch immer mehr in Richtung Mobile. Was sind eigentlich für Sie die Topthemen, wenn Sie an mobile Werbung denken?
Kirchem: Bestimmte Plattformen werden heute überwiegend mobil genutzt, das gilt insbesondere für Search und Social Media: Das bietet neue Optionen wie geolocation-basiertes Targeting (z. B. für Eiscreme), Ausspielung zu bestimmten Tageszeiten, z. B. wenn der Einkauf naht, oder wetterabhängig. Allerdings verlangt das mobile Medium auch andere Rahmenbedingung für die Gestaltung des Creatives.
Adzine. Standortbezogene Werbung braucht die Einwilligung des Nutzers und 2018 tritt die neue europäische Datenschutzverordnung in Kraft. Werden da in Ihrem Haus schon Szenarien durchgespielt? Wie bereiten Sie sich bei Unilever darauf vor?
Kirchem: Wir nehmen den Datenschutz extrem genau und befassen uns mit dem Thema schon jetzt intensiv. Alles, was wir momentan und zukünftig tun werden, entspricht den gesetzlichen Regelungen. Natürlich bereiten wir uns derzeit auf die neue Datenschutzverordnung vor und überprüfen, wo wir entsprechende Anpassungen vornehmen werden.
Adzine: Kommen wir zum Programmatic Advertising. Laut OWM-Umfrage steht es schlecht um das Vertrauensverhältnis zwischen Brand Advertiser und Mediaagenturen. Glauben Sie, dass Programmatic die Beziehung zwischen Mediaagentur und Brand Advertiser noch mehr belastet?
Kirchem: Nein, das sehe ich nicht so. Wir arbeiten bei Unilever sehr vertrauensvoll mit unserer Mediaagentur Mindshare im Bereich Programmatic zusammen.
Adzine: Das heißt, für Sie ist Programmatic keine Blackbox?
Kirchem: Für mich ist Programmatic keine Blackbox. Man muss sich das natürlich genau anschauen und Fragen stellen. Bei uns gibt es die Möglichkeit und so haben wir in der Zusammenarbeit mit Mindshare keinerlei Probleme. Wir haben ja unseren eigenen Trading Desk, den wir bei Unilever mit der Agentur managen.
Adzine: Automation oder Intelligenz – also programmatischer Mediaeinkauf oder Daten: Worauf fokussiert sich Unilever derzeit mehr?
Kirchem: Das eine geht aus meiner Sicht nicht ohne das andere. Programmatische Werbung ist ja nicht in erster Linie ein Instrument, um Kosten zu sparen, sondern um die eben beschriebenen Möglichkeiten zu nutzen: Dynamic Creatives, Customer Audiences, Geo-Targeting etc. Insofern schauen wir uns beides an.
Adzine: Welche Daten spielen beim Advertising eines FMCG-Herstellers überhaupt eine Rolle? Ist es vorstellbar, dass Unilever-Marken eigene DMP (Data-Management-Plattformen) einführen und dazu auch eigene Adtech-Teams aufbauen werden?
Kirchem: Ein FMCG-Unternehmen hat für die meisten seiner Marken sehr breite Zielgruppen, zumindest gilt das für Unilever. Trotzdem sind Daten bzw. deren intelligente Nutzung von uns von strategischer Bedeutung. Weniger, um die Zielgruppen enger zu definieren – was de facto sogar eine Gefahr ist. Sondern vielmehr, um sie besser, treffender als nur demografisch zu beschreiben und ggf. innerhalb der Zielgruppen die Kreation anzupassen.
Adzine: Dynamic Creatives wird häufig als Wunschziel vieler Werbetreibenden genannt. Gibt es bei Unilever-Marken bereits aktuelle Kampagnenbeispiele, wo die Creatives passend zur Zielgruppe dynamisch ausgespielt werden?
Kirchem: Wir fangen damit an. Man muss sich an die Thematik erst herantasten. Im Detail gibt es einige Tücken. Ich sehe aber große Chancen in Dynamic Creatives, wenn man in der Lage ist, wirklich reichweitenstark unterschiedliche Werbeansprachen an Subzielgruppen heranzubringen. Das ist nämlich die Kehrseite der Medaille. Spitze Zielgruppen, die sehr produktaffin sind, können nicht für den nötigen Umsatz sorgen. Wir verkaufen an Menschen, die kochen, essen, ihre Kleidung waschen und ihr Haus bzw. Wohnung reinigen. Das sind vermutlich 99% der Bevölkerung. Hier helfen uns spitze Zielgruppen nicht weiter. Wenn allerdings die Menschen auf für sie angepasste Werbebotschaften besser ansprechen, weil sie situativer ist, dann sehe ich ein großes Potenzial in Dynamic Creatives.
Adzine: Was bedeutet Dynamic Creatives für die Zusammenarbeit von Mediaagentur und Kreativagentur?
Kirchem: Die Organisation muss von vornherein darauf abgestimmt sein. Es funktioniert natürlich nicht, dynamische Creatives einzufordern, wenn die Kampagne schon fertig ist. Dazu muss schon zum Zeitpunkt des Agenturbriefings klar sein, wohin die Reise gehen soll.
Adzine: Herr Kirchem, vielen Dank für das Gespräch!
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