In den vergangenen Wochen und Monaten kannten viele Meldungen nur ein Thema: Cross-Device-Targeting. Immer mehr Adtech-Plattformen kooperieren mit entsprechenden Spezialanbietern. Ziel ist es, die geräteübergreifende Werbeansprache zu verbessern. Was im „Walled Garden“ problemlos möglich ist, soll auch in den Weiten des restlichen Webs etabliert werden. Doch der Weg ist steinig.
„Cross-Device-Partnerschaft“, „Drei deutsche Adtech-Unternehmen geben Zusammenarbeit im Bereich Cross-Device-Advertising bekannt“, „Einführung einer eigenen Cross-Device-ID“, „Cross-Device-Kooperation verkündet“ … Die Schlagzeilen der vergangenen Wochen zeigen, dass Cross-Device-Targeting die Branche stark bewegt. In Zeiten einer immer stärker fragmentierten Mediennutzung wird es wichtiger, die Nutzer zu erreichen und sie geräteübergreifend anzusprechen. Das Ideal wäre, diese geräteübergreifenden Kampagnen exakt auf die Nutzer auszusteuern, inklusive einem geräteübergreifenden Frequency Capping. Spezialanbieter tüfteln an solchen Lösungen.
Ein Matching der verschiedenen Geräte ist kompliziert, aber machbar. In den Cross-Device-Technologien spielen verschiedene Daten eine Rolle, um Informationen über den User und das benutzte Gerät zu erhalten, beispielsweise Cookies und Werbe-IDs. Auch Seitenbesuche und Surfverhalten fließen bei manchen Anbietern in die Datenerhebung ein. Mit Hilfe ihrer Technologien matchen die Anbieter die gesammelten Informationen, erkennen Muster und ordnen Geräte und Personen zu. Um die Daten zu validieren, werden login-basierte Daten hinzugezogen.
Harte Zahlen und Magie
„In Bezug auf die Datengrundlage vermissen wir als Agentur bei den Cross-Device-Lösungen am Markt häufig die Transparenz. Es ist nie klar, wie viel Prozent harte Login-Daten und wie viel Hochrechnung in einer Lösung stecken“, sagt Dirk Nögel, Director Digital Products & Innovation bei Crossmedia. Vieles sei unklar, eine gesunde Portion Skepsis angebracht. Vor allem, wenn große Reichweiten geräteübergreifend benötigt werden. Gute Erfahrungen hat man bei Crossmedia mit Cross-Device-Kampagnen auf Facebook gemacht. „Auch auf Daten von Zalando oder Otto lassen sich Kampagnen sehr gut geräteübergreifend aussteuern“, so Nögel. Doch diese Daten basieren ebenfalls auf einem Login.
Auch für die GroupM ist Cross Device ein wichtiges Thema. Kürzlich hat sie den weltweiten Start ihrer [m]Platform verkündet, einer Technologiesuite mit Medienplanungsanwendungen, Datenanalysen und digitalen Dienstleistungen. Die Lösung soll die Datenquellen der Konzernmutter WPP ebenso erschließen, wie Daten von Drittanbietern. Damit sei künftig die Erstellung der komplettesten Verbraucherprofile innerhalb der Zielgruppe einer Marke möglich, so die Ankündigung. Um Analysen, Attributionen und Optimierungen zu ermöglichen, werden die Daten auf einen eigenen Identifyer gematcht, der sogenannten [m]ID. Die Agenturgruppe hebt damit den eigenen Datenschatz.
Ein klares „es kommt darauf an“
Fest steht: Cross-Device-Technologien werden immer besser, die Datengrundlagen fundierter. Doch können Kampagnen auch ohne Login des Nutzers zufriedenstellend geräteübergreifend im richtigen Frequency Cap ausgesteuert werden? Das lässt sich wohl eher mit einem „Jein“ oder „es kommt darauf an“ beantworten. Über die Advertising ID können Kampagnen beispielsweise über Tablets und Smartphones hinweg sehr gut ausgesteuert werden. Ein Grund dafür ist, dass Nutzer Cookies schnell löschen, aber die Ad-IDs nur vergleichsweise selten zurücksetzen.
„Sobald Desktop-PCs in eine solche geräteübergreifende Ansprache hinzugenommen werden, wird es deutlich komplizierter“, sagt Sascha Jansen. Zwar können einige IDs mit Cookies gematcht werden, doch die Schnittmenge hätte eine vergleichsweise geringe Reichweite. „Für spezielle, kleine Zielgruppen kann das funktionieren. Aber es ist nie so gut, wie über ein Login zu matchen. Das Login ist nach wie vor das härteste Kriterium für ein Cross-Device-Targeting“, sagt Jansen. Eine möglichst exakte geräteübergreifende Ansprache in großer Skalierung ist am besten über die Big3 möglich – Amazon, Facebook und Google. Zwar agieren diese jeweils als „Walled Garden“, was diverse Limitierungen mit sich bringt, haben aber die engsten und häufigsten direkten Kontakte zu mehreren Millionen Nutzern. Amazon hat seine Stärke in Bezug auf Produktinteresse und -verwendung, Facebook liefert mit seiner sozialen Komponente Themeninteressen und Google kann mit höchsten Reichweiten und der breiten Palette von Touchpoints punkten, von den Suchanfragen bis... „Die Arbeit mit den Großen aus den USA ist wegen der limitierten Offenheit nicht immer einfach, aber sie schaffen die besten geräteübergreifenden Verbindungen mit der nötigen Reichweite“, sagt Jansen. Auch er beobachtet den aktuellen Hype um Cross-Device-Targeting-Lösungen. „Der Technologiemarkt ist momentan stark sales-getrieben“, sagt Jansen. Hoffnungen auf Genauigkeit und Reichweite würden bei genauerem Nachfragen aber oft einer Ernüchterung weichen. Der Weg ist aus Sicht Jansens jedoch positiv: „Bei technischen Limitierungen muss hochgerechnet werden. Die Ergebnisse sind heute jedoch weit besser als noch vor einigen Jahren, als sich lediglich ein Überlappungspotenzial identifizieren ließ.“
Kosten und Mehrwert müssen stimmen
Doch bessere Ergebnisse allein überzeugen nicht. „Agenturen müssen auch stets abwägen, in welchem Verhältnis Kosten und Mehrwert stehen“, sagt Nögel. Noch lasse sich außerhalb geschlossener Vermarktungsplattformen ein eventueller Uplift auch nur schwer verifizieren.
René Kassner, Director Digital bei Universal McCann Deutschland, sieht das ähnlich: „Die Überschneidung und damit die Frequenz nehmen mit Kampagnengröße zu. Die aktuell aufgerufenen Kosten lassen sich nicht mit dem potenziellen Effizienzgewinn rechtfertigen.“ Insbesondere Kampagnen geräteübergreifend im richtigen Frequency Cap auszusteuern, bleibt eine Herausforderung für die Zukunft. „Bisher gibt es keine validen Cases in Deutschland, die die Einhaltung einer bestimmten Frequenz auf Nutzerebene ohne Login-Daten demonstrieren“, sagt Kassner. Dies liege zum einen an den Datenschutzbestimmungen und der Messkomplexität (In-App vs. browserbasiert), zum anderen an dem erheblichen Mehraufwand, dies über einen anderen, verlässlichen Datenanbieter zu validieren. Aus UM-Sicht ist das Frequency Capping auch nur ein Aspekt in der Cross-Device-Problematik. „Wichtig ist der Single-User-View – vor allem im Bereich der Attribution, um Kanäle besser bewerten zu können“, sagt Kassner. „Dieses Cross-Device-Conversion-Tracking ist aus unserer Sicht viel wichtiger als die frequenzbasierte Cross-Device-Ausspielung.“
Wie weit sollte man gehen?
Doch mit dem zukunftsträchtigen Cross-Device-Thema ist eine zentrale Frage verbunden, die sich die gesamte Branche stellen muss: Wie weit in Richtung „gläserner Konsument“ sollte das Marketing überhaupt gehen? Ist eine 100%ige geräteübergreifende Customer Journey überhaupt erstrebenswert? Wenn ein Nutzer auf einem Gerät Werbung für ein Produkt erhält, dass er sich ausschließlich auf einem anderen Gerät angeschaut hat, könnte es passieren, dass sich dieser User nicht relevant angesprochen, sondern beobachtet fühlt. Ebenso könnte eine geräteübergreifende Story nicht als interessant, sondern als spooky empfunden werden.
„Agenturen sollten eine optimale Schnittmenge aus dem generieren, was der Werbekunde wünscht und was der Konsument möchte. Wenn wir diese Balance nicht halten, zeigen uns Konsumenten die rote Karte“, sagt Jansen und spricht damit den Einsatz der Adblocker an. Die Quote ist laut OVK jüngst leicht gesunken, aber mit gut 19% im Q3 2016 immer noch sehr hoch und für bestimmte Medien und Publisher eine enorme Belastung. „Der Preis für eine 100%ige Customer Journey wäre ein sehr kleines Potenzial an ansprechbaren Nutzern“, ist Jansen überzeugt. Somit ist für das digitale Marketing der Zukunft nicht nur Hochtechnologie gefragt, sondern auch Fingerspitzengefühl.
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