Die Segmentierung der Zielgruppen allein nach demografischen Merkmalen führt zu unzureichenden Ergebnissen bei der Werbeansprache. Das ist schon länger bekannt. Interessen der Zielgruppe allein nach dem besuchten Umfeld abzuleiten, ist zwar eine gängige Methode, geht aber letztlich auch nur von einer Vermutung aus, dass das Nutzerinteresse dem Umfeldthema des Werbeträgers entspricht. Demgegenüber zeigen Intent Data zwar die wahren (Kauf-)Absichten des Internetnutzers, doch diese Erkenntnisse über die aktuellen Bedürfnisse einer Person haben nur eine begrenzte Halbwertszeit. Nun sorgt ein anderer Targeting-Ansatz für Furore, der die Persönlichkeit des Rezipienten in den Mittelpunkt stellt.
Als Anfang diese Woche Mikael Krogerus und Hannes Grassegger in der Schweizer Publikation Das Magazin (Ausgabe 48) über den Wahlerfolg von Donald Trump berichteten, lösten sie damit eine mediale Lawine in Deutschland aus. Die Autoren machen für den Wahlerfolg der Republikaner die britische Big-Data-Firma Cambridge Analytica und die vorausgegangene Forschungsarbeit von Michal Kosinski, Experte für Psychometrik, verantwortlich. Beide beschäftigen sich mit psychologischen Profilen der Internetnutzerschaft. Der eine – Kosinski – aus Forschungsgründen, die anderen – Cambridge Analytica – für die werbliche Kommunikation und als Wahlkampfhelfer.
Kosinski vom Cavendish Laboratory hat herausgefunden, wie leicht sich die Persönlichkeitsdimensionen von Facebook-Nutzern nach dem Ocean-Modell (Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus) über eine App-Befragung vermessen lassen. In Verbindung mit anderen Facebook-Daten wie Likes, Shares, Posts und freiwillig gemachten persönlichen Angaben erhalten die Forscher – je nach Datenlage – ein mehr oder minder vollwertiges Persönlichkeitsprofil der Facebook-Nutzer.
Demnach reichten beispielsweise 68 Facebook-Likes eines Users um seine Hautfarbe mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen oder mit 85-prozentige Wahrscheinlichkeit seine politische Einstellung zu erkennen. Und mit 300 Likes können die Forscher das Verhalten einer Person eindeutiger vorhersagen als deren Partner. Umso mehr Facebook-Likes, umso genauer die Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Facebook-Nutzers.
Diese Forschungsarbeit hat sich das Big-Data-Unternehmen Cambridge Analytica offenbar zu eigen gemacht, um die Republikaner im US-Wahlkampf zu unterstützen. Das Ergebnis der Wahl verkaufen sie nun als ihre eigene Erfolgsstory. Alexander James Ashburner Nix, CEO von Cambridge Analytica, erläutert offen die Grundprinzipien auf dem eigenen YouTube-Kanal. Die Briten verbinden Consumer-, Lifestyle-, geographische mit psychografischen Daten und dem besagten Persönlichkeitsprofil. Eine zielgerichtete Ansprache sei nämlich nur die halbe Miete im Targeting, wichtiger sei laut Nix, „mit dem Menschen auf eine solche Art zu kommunizieren, dass diese Kommunikation der Persönlichkeit der Zielperson entspricht. So lässt sich ein einzelnes Thema völlig unterschiedlich nach der Persönlichkeit des Empfängers bespielen. Das ist ein Paradigmenwechsel zu dem, was in den letzten 20 Jahren getan wurde. Es ist vor allem die eigene Persönlichkeit, die das Verhalten steuert.“
Nicht gänzlich neu
Die Nutzung psychologischer Profile ist im Marketing nicht neu. Kasper Skou, Gründer und Geschäftsführer vom Targeting-Anbieter Semasio, berichtet, dass bereits vor über zehn Jahren der Einzelhandel psychographische Modelle wie z.B. DISC (Dominance, Influence, Steadiness, Conscientiousness) oder MBTI (Myers-Briggs Typen-Indikator) eingesetzt hat, um die persönliche Kundenbetreuung und -beratung effektiver zu gestalten. Der eine Kunde hat eine hohe Affinität für Stabilität? Dann wird ihm gegenüber gute Verarbeitung und lange Garantie des Produktes hervorgehoben. Ein andere neigt eher in Richtung Kompetenz, dann sollte man diesem die technischen Features des Produktes in den Vordergrund stellen. „Was Cambridge Analytica jetzt macht, ist die digitale Version davon”, sagt Skou.
„Neu ist die Zusammenführung von psychometrischen Modellen mit den massiven Volumina von digitalen Daten, die wir heute zur Verfügung haben, durch statistische Modellierung. Man kriegt dadurch eine neue Möglichkeit, Internetnutzer zu verstehen und gleichzeitig personalisiert anzusprechen.“ Psychometrische Daten würde der DCO (Dynamic Creation Optimization), also die personalisierte Ausspielung passender Werbemittel, völlig neue Möglichkeiten geben. „Wir unterschätzen in der Werbung noch immer die persönliche Kommunikation und setzen dort zu wenig Energie hinein. Es reicht nicht nur, die richtige Zielgruppe zu erreichen, man muss mit ihr auch richtig kommunizieren. Tatsächlich gibt es ja nicht ‚DIE Zielgruppe‘, sie ist nicht homogen, sie besteht aus zahlreichen Untergruppen bzw. Typologien“, sagt Skou.
Psychografisches Modell mit Verhaltensdaten kombinieren
Auch für den deutschen Markt wäre ein psychometrisches Targeting prinzipiell möglich. Weder Kosinski noch Cambridge Analytica hatten Probleme damit, per Gratis-Apps Millionen von Psychoprofilen zu sammeln. Für die 55 Mio. deutschen Internetnutzer reichten etwa 500.000 Befragungen nach dem Ocean-Modell, schätzt Skou. „Dazu braucht man nicht unbedingt Facebook. Allerdings erleichtert Facebook die Arbeit schon sehr.“
So eine Befragungs-App für Facebook ließe sich schnell bauen und soweit der Nutzer per Opt-in zustimmt, dass seine Angaben für Werbung genutzt werden, gäbe es auch kein datenschutzrechtliches Problem. Die aus der Befragungs-App gewonnenen psychometrischen Attribute wären dann ein „positives Sample“, wie Skou sagt. Diese müssten dann statistisch auf die Bevölkerung hochgerechnet und extrapoliert werden. Somit stünden ausreichend Persönlichkeitsprofile zur Verfügung, die dann noch mit Verhaltensdaten kombiniert werden müssten. „Facebook ist nur eine Quelle für passende Verhaltensdaten“, meint Skou, und weiter: „Genauso ließen sich die Persönlichkeitsprofile beispielsweise mit den semantischen Daten von Semasio oder Verhaltensdaten von emetriq kombinieren. Die Psychografie bzw. Psychometrie ist eine interessante Dimension in der persönlichen Ansprache. Soweit sind wir aber bis jetzt noch nicht gekommen. Wir machen zwar Targeting, aber echte One-to-One-Kommunikation mit personalisierten Creatives auf Basis psychografischer Profile der Nutzer ist noch Mangelware.“
In Europa so nicht möglich
Allerdings sieht Skou schon Unterschiede zwischen dem, was Cambridge Analytica in den USA gemacht hat, und dem, was im europäischen Markt möglich ist. „Es ist ein US-amerikanisches Beispiel. Cambridge Analytica hat in den USA massenhaft Daten von Acxiom, Experian und anderen gekauft, darunter auch persönliche Daten, die sie dann mit den Wählerlisten kombiniert haben. Das wäre in Europa überhaupt nicht möglich und das macht unseren Markt auch erheblich sympathischer und besser reguliert. In Europa trennen wir klar zwischen personenbezogenen Daten und anonymen Daten. Die Nutzer dürften nie als Privatperson identifiziert werden, wenn die Person das nicht möchte. Das würde aus meiner Sicht eine wichtige Grenze im europäischen Datenschutz überschreiten“, sagt Skou.
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