Herausforderungen an Programmatic Advertising im Jahr 2017
Julian Simons, 20. Dezember 2016Programmatic Advertising ist 2016 auch in Deutschland angekommen. Wir haben gelernt, Tools, Daten und Buchungsmechanismen zu nutzen und zu operationalisieren. Dennoch darf Programmatic kein Selbstzweck sein, sondern muss seinen konsequenten Leistungsnachweis erst noch erbringen. Immer mehr Reichweiten werden programmatisch einbuchbar sein, immer mehr Daten werden verfügbar gemacht, doch bei aller Euphorie bleiben auch 2017 einige Baustellen erhalten.
Brand goes Programmatic Advertising: Großformate sind der Schlüssel
Programmatic Advertising wurde zu Beginn hauptsächlich als reine Buchungsform genutzt, um Standardreichweiten möglichst günstig im Auktionsverfahren zu kaufen und damit Performancedisplaykampagnen effizienter zu gestalten. Dies führte zu lang anhaltender Ablehnung vor allem von Qualitätsreichweiten, die durch das reine, offene Auktionsmodell ihre Preisstruktur massiv gefährdet sahen – und auch noch immer sehen. Erst durch Einführung von Private Marketplaces (PMPs) und die damit gewährte Preis- beziehungsweise Angebotssicherheit (wer sieht welches Angebot) öffneten sich auch diese Vermarkter mit entsprechenden Inventaren und Formaten für Programmatic.
2016 sahen wir einen signifikanten Zuwachs dieser Premiuminventare und damit verbunden auch der auf diesen Inventaren angebotenen (Groß-)Formate und Bewegtbild. Da diese Formate der Schlüssel zu online ausgesteuerten Branding-Kampagnen und damit Basis für alle integrierten Planungsmodelle (Screenplanning) mit anderen Medien sind, sind alle Publisher auch 2017 gefordert, mehr Premiuminventar programmatisch anzubinden und über PMPs mit allen entsprechenden Formaten buchbar zu machen.
Fraud begrenzen: Code of Conduct unterzeichnen
Eine zentrale Herausforderung im Programmatic Advertising ist die Sicherstellung der Qualität der angebotenen Reichweiten. Durch den automatisierten Einkauf besteht für Werbetreibende und Agenturen die Möglichkeit, Reichweiten in unterschiedlichen Transparenzgraden mit dementsprechend variierenden Pricings zu kaufen. Das bedeutet, dass es neben der klassischen Übersetzung des I/O-Geschäfts ins Programmatic Advertising neue Modelle der Reichweitenzusammenstellung beim Publisher beziehungsweise der Demand Side Platform (DSP) gibt. Das führt dazu, dass man neben der klassischen Buchung von "bild.de" die Möglichkeit hat, beispielsweise Reichweiten zu kaufen, die über Targetings beschrieben werden, jedoch eine Einzelausweisung der Platzierung nicht mehr vollständig erfolgt, in der Regel dann zu einem besseren Preis. Hierbei erfolgt eine Vermischung unterschiedlicher Reichweiten, auf denen die definierte Audience erreicht werden kann. Dies jedoch eröffnet die Möglichkeit, Reichweiten technisch unterzumischen, die im besten Fall nicht den Qualitätsvorstellungen des Werbetreibenden entsprechen, im schlechtesten Fall Reichweiten sind, die niemals von einem Menschen gesehen wurden.
Um diesen Fraud zu begrenzen, wurde im November 2016 nach zweijähriger Entwicklung mit allen Marktpartnern der sogenannte Code of Conduct für Programmatic Advertising veröffentlicht: eine Selbstverpflichtung aller Marktteilnehmer im Programmatic Advertising, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Qualität und Transparenz im programmatischen Handel zu erhöhen. Nur wenn alle Marktteilnehmer mit Ansätzen wie diesem zur größtmöglichen Transparenz verpflichtet werden, wird Programmatic Advertising dauerhaft für große Werbetreibende attraktiv.
Brandrisk steuern
Programmatic Advertising verlangt die sorgfältigere Steuerung der eingebuchten Reichweiten. Wird beim klassischen I/O-Einkauf die Platzierung beziehungsweise die Rotation eines Vermarkternetzwerkes automatisch offengelegt, erfolgt dies in bestimmten Buchungsformen bei Programmatic Advertising nicht. Dies führt dazu, dass wir zum Beispiel die Zielgruppe „Männer mit Interesse an Sport und Entertainment mit bereits zwei Kontakten in der Kampagne“ bei einer Blacklistbuchung sicherlich auch im Bereich Sport und Entertainment, unter Umständen aber auch auf Erotikportalen ansteuern, da der Sitebetreiber im Programmatic Advertising seine Reichweiten unkuratiert selbst kategorisiert.
Hier beginnt die Sorgfaltspflicht des Werbungtreibenden und seiner Agentur: Ist die Erotikseite für den E-Commerce-Retailer vielleicht noch eine Seite, die er bei entsprechender Performance weiter belegen würde, so wird die Entscheidung bei einem Finanzdienstleister sicherlich anders ausfallen. Das Brand Risk muss also im Vorfeld bewertet und Kampagnen entsprechend dieser Entscheidung gesteuert werden.
Technische Konsolidierung vorantreiben
Programmatic Advertising erfordert den Einsatz unterschiedlichster technischer Systeme wie DSP, SSP, DMP, Brandsafety Tools und Adverification Tools. Die Unsicherheit gegenüber Programmatic rührt auch daher, dass die Anbieterlage unübersichtlich und die Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Systemen oft nicht nachvollziehbar ist. Nur durch eine Konsolidierung der technischen Anbieter geben wir Werbungtreibenden dauerhafte Planungssicherheit und erhöhen Vertrauen in den Markt. Auf diese Weise kann eine maximale Kompatibilität – was Grundvoraussetzung ist – zwischen den Systemen garantiert werden. Damit entscheiden nicht mehr die Systeme über den Einsatz bestimmter Kommunikationsmaßnahmen, sondern Angebotsstruktur und Datenverfügbarkeit.
Cross-Channel etablieren
Die Ansprache von Nutzern über all ihre Geräte hinweg war über lange Zeit mehr ein Marketingversprechen, als eine tatsächlich in der Realität umsetzbare Kampagnenstrategie. Damit blieb sie auf die Nische einzelner Publisher mit Login-Populationen und Cross-Device-Nutzung ihres Contents beschränkt. Mit der rapide zunehmenden Nutzung mehrerer, ja vieler Endgeräte für Content-Konsum und im E-Commerce gewinnt die Notwendigkeit einer übergreifenden Ansprache stark an Bedeutung. Große Siloanbieter wie Google, Facebook und Amazon sind innerhalb ihres jeweiligen Kosmos in der Lage, die Nutzer über Geräte hinweg anzusprechen, hüten diese Information aber innerhalb ihres Silos.
Die Publisher müssen diesen Cross-Device-Beständen ein konkurrenzfähiges Angebot entgegensetzen, wenn sie langfristig ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit wahren wollen. Jeder einzelne von ihnen ist zu klein, um hier eigenständig auf relevante Profilreichweiten zu kommen, zudem sind die Assets ungleich verteilt: Die Player mit dem größten Cross-Device-Potenzial in Form von Login-Populationen sind nicht unbedingt dieselben, die den relevantesten Content bereitstellen können. Was Werbekunden hier dringend benötigen, ist eine konsolidierte Initiative der Publisher zum gemeinsamen Besten und Ausschluss von kurzsichtigem Besitzstandsdenken.
Datenkooperationen forcieren
Hier steht der Markt vor derselben Herausforderung wie auf dem Feld der geräteübergreifenden Useransprache. Er benötigt nicht nur Profildaten in ausreichender Qualität, also mit einer möglichst streuverlustfreien Trefferquote, sondern diese auch in ausreichender Menge. Gerade im Bereich der auf Registrierungs- oder Paneldaten beruhenden „harten“ Soziodemographien gibt es im Markt viele Dateninseln, die für sich gesehen nicht groß genug sind, um sinnvoll Kampagnen mit der notwendigen Reichweite darauf abzubilden. Auch hier gilt es, Kooperationen zu forcieren und Bestände zu verbinden, um eine datengestützte Zielgruppenansprache in der Fläche zu ermöglichen.
Datenhoheit klarer definieren
Deutsche Unternehmen sind – anders als Länder im angelsächsischen Raum – sehr auf die Datenhoheit und den Datenschutz ihrer Daten fokussiert. Zu Recht! Dennoch öffnet Programmatic Advertising über den singulären Zukauf anonymisierter Daten und die verstärkte Nutzung von First Party Data die Möglichkeit, bestimmte, für das Unternehmen relevante Interessentengruppen zielgerichteter und effizienter als bisher anzusprechen. Hieraus erwächst für alle Marktteilnehmer die Aufgabe, zum einen die eigenen Daten mehr denn je gegen teilweise unbewusste Nutzung durch Dritte zu schützen (Data Leakage) und auf der anderen Seite sicherzustellen, dass die zum Kauf angebotene Third Party Data sowohl den europäischen Datenschutzbestimmungen entsprechen als auch klar zugeordnet werden kann, woher sie stammen.
Effizienz durch ganzheitliche Bewertung inklusive technischer Kosten
Last but not least dürfen wir bei aller programmatischen Euphorie niemals vergessen, dass eine technische Infrastruktur niemals kostenlos sein wird. Nachdem im Jahr 2016 alle Marktpartner ihre ersten programmatischen Gehversuche hinter sich gebracht haben, beginnt in den meisten Unternehmen und Agenturen der pragmatische Rollout.
Und spätestens jetzt wird vielen Marktteilnehmern klar, dass Programmatic Advertising nicht unbedingt effizienzsteigernd per se ist. Warum? Der Handling-Aufwand verschwindet nicht, er verlagert sich vom Publisher auf den Werbungtreibenden beziehungsweise seine Agentur. Die technischen Kosten für DSP und DMP trägt der Werbungtreibende. Dies bedeutet, dass jegliche programmatische Buchung mit einem Kostenmehraufwand von mindestens 25 Prozent verbunden ist. Ob die Kampagne diese Mehrkosten durch höhere Effizienz einspielen kann, ist alles andere als ausgemacht Deswegen ist es die Aufgabe des Werbungtreibenden und der Agenturen, bei der Form der Buchung kritisch zu hinterfragen, inwieweit ein programmatischer Kampagneneinsatz diesen Mehraufwand einspielen kann oder ob doch der tradierte mediale Kampagneneinsatz die effizientere Methode ist.
Zukunftsaussicht: Programmatic Advertising goes offline
Mit der weiter fortschreitenden Digitalisierung der Mediennutzung, ja am Ende der meisten Lebensbereiche, beginnen die altbekannten Gattungsgrenzen zwischen Offline- und Online-Werbekanälen zu verschwimmen. Immer mehr Werbeflächen werden digitalisiert, sind damit über IP erreichbar und gehen „online“. Dies bedeutet in der Folge auch, dass die in der Displaywerbung entwickelten Adserver-Logiken, auf denen auch Programmatic Advertising fußt, vermehrt zur Auslieferung und Steuerung von Kanälen wie Radio, Out-of-Home und am Ende auch TV kommen werden. Dies wird für den Werbemarkt große Veränderungen nach sich ziehen.
Zu den gewaltigen Chancen einer übergreifenden Steuerung und individuelleren Ansprache kommen jedoch auch große Herausforderungen. Geschäftsmodelle wandeln sich und werden komplexer. Strategien und Steuerungslogiken, die es ermöglichen, die neue Komplexität sinnvoll zu nutzen, müssen gefunden werden, um zu verhindern, dass Kampagnen nicht in einer ziellosen Atomisierung an Wirkung verlieren. Dieser Wandel muss dabei stets die Interessen der Nutzer und deren Datenschutzbelange im Auge behalten, sonst wird er nicht erfolgreich sein.
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