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Wird sich Livestreaming professionalisieren?

Frederik Timm, 9. November 2016
Bild: YouTube Screenshot Thames TV

Unter Gamern ist das Livestreaming längst schon zum Alltag geworden. Auf YouTube genießen „Let's Play"-Videos zwar auch große Beliebtheit, jedoch bieten Livestreams, die hauptsächlich auf der Streaming-Plattform Twitch laufen, mehr direkte Interaktion mit dem Streamer und die Chance, sich durch Spenden den persönlichen Dank der Internetberühmtheit zu sichern. Seit Anfang des Jahres können Nutzer von Facebook und Twitter nun auf ihren Plattformen Live-Inhalte ansehen. Auch andere mitgliedsstarke Dienste, wie die Hype-App Musical.ly haben die Zeichen der Zeit erkannt und setzen nun auf Live-Inhalte.

Bei YouTube sind Live-Inhalte schon länger verfügbar, jedoch haben sich Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter 2016 fast simultan mit der Erweiterung des eigenen Netzwerks um Livestreams befasst. Twitter hat zwar bereits 2015 den Livestreaming-Dienst Periscope übernommen, jedoch gibt es erst seit Anfang 2016 die Implementierung des Dienstes in die eigene Kurznachrichtenplattform. Facebook ist diesen Weg ohne den Kauf eines externen Anbieters gegangen und hat im Januar 2016 damit begonnen, das neue Feature auszurollen.

Die Plattformen haben sich für die Veröffentlichungen der Livestreaming-Dienste ein gutes Jahr ausgesucht. Neben der Europameisterschaft sollten besonders die Olympiade und die US-Präsidentschaftswahlen genug Großevents bieten, um großen Medienhäusern die Möglichkeit zu geben, sich an die neue Technologie der sozialen Netzwerke heranzuwagen.

US-Wahlen fanden live im Feed statt

Da es besonders bei Sportveranstaltungen Probleme mit den Senderechten zu befürchten sind, können die Medienhäuser mit ihrem Livestream lediglich vom Rand der Veranstaltung berichten, nicht jedoch die eigene Veranstaltung zeigen. Mit der US-Präsidentschaftswahl hatten sie jedoch die Möglichkeit, den Stream vollständig in die eigene Berichterstattung mit einzubeziehen. Und tatsächlich haben unter anderem ABC News, die New York Times und Washington Post die Gunst der Stunde genutzt und ein Liveprogramm zu den Wahlen auf Facebook angeboten. Allerdings diente der Stream, zumindest bei den TV-Sendern, auch bei diesem Event nur als Zusatzquelle zum eigentlichen TV-Angebot.

Einen entscheidenden Punkt gegen die vollständige Freigabe des TV-Streams in den sozialen Medien liefert Christy Tanner, SVP und GM von CBS News Digital, gegenüber Digiday. Zwar bietet CBS Live-Übertragungen zu wichtigen Eilmeldungen auf Twitter und Facebook an und sieht dies als einen öffentlichen Dienst, allerdings gäbe es über die sozialen Plattformen zurzeit noch keine klare Möglichkeit der Monetarisierung. Solange dies nicht gewährleistet sei, würde man nicht das eigene Publikum und die Einnahmen kannibalisieren.

Streams kommen von privaten Nutzern

Bild: buddybrand Presse Vincent Nicolai

Vincent Nicolai, Geschäftsführer der Social-Media-Agentur Buddybrand, sieht in den Livestreams vorranging Potenzial für private Streamer und nicht für Medienhäuser: „Wir leben inzwischen in einer Always-on Gesellschaft. Überall und zu jeder Zeit kann Content konsumiert und publiziert werden – am besten in 'snackable' Länge von 8 bis 10 Sekunden à la Snapchat. So muss es nicht immer der 2-Stunden-Livestream sein, sondern kann auch einfach real-time in unsere Instagram- und Snapchat-Feeds gepusht werden. Instagram testete zuletzt in seinem Story Feature eine Livefunktion: Button gedrückt halten und schon streame ich live in die Feeds meiner Follower. Das ist dann so integriert und gekonnt, dass das bald auch bei den Massen ankommen wird. Ich denke, dass kurze Nutzerlivestreams eher den Markt machen werden als langwierige Liveübertagungen von Events, die ja ohnehin schon zum Standardrepertoire jedes Medienhauses gehören.“

Allerdings gibt es bereits Beispiele, bei denen sich Brands und auch Organisationen der Livestreaming-Möglichkeiten von Facebook und Twitter bedient haben. So bietet die World Surf League (WSL) ihre Wettbewerbe via Livestream sowohl über ihre App als auch über Facebook an. Twitter hingegen scheint mehr auf einzelne Events ausgerichtet zu sein. So plant McDonalds einen kompletten Live-Event über die Plattform und zeigt, wie Brands die Livestreams für sich nutzen können.

Für Nicolai sind Medienhäuser und die Plattformen dabei jedoch vorrangig in der Rolle eines Kurators für die Inhalte, die von Nutzern generiert werden: „Mit steigender Akzeptanz und Verständnis für Livecontent bei den Nutzern wird auch die Anzahl an professionellen Streams zunehmen. Interessanterweise sehe ich hier vor allem den Gaming-Markt in einer Vorreiterrolle. Twitch und YouTube Gaming ziehen schon heute Millionen Nutzer in die Game-Livestreams von Let's Playern. Und auch hier sind die Medienhäuser nicht die Macher hintern den Streams, sondern Teens in ihren Kinderzimmern. Ich sehe daher vor allem die Medienhäuser und Anbieter wie YouTube und Snapchat in der Rolle eines Kurators. Snapchat macht das mit Live Stories schon sehr gut: Das Tor beim Bundesligaspiel aus 20 Blickwinkeln von Nutzern, mobil für jeden live konsumierbar.“

Musical .ly – Hype-App mit Ambitionen

Wie wichtig das Livestreaming-Feature für die sozialen Plattformen wird, zeigt die Entwicklung einer der jüngst gehypten Apps unter Jugendlichen, Musical.ly. Die Plattform hat mit einem Angebot ähnlich wie Dubsmash, die App des Berliner Unternehmens Mobile Motion, damit begonnen, Nutzern die Möglichkeit zu bieten, Videos aufzunehmen, bei denen sie sich zum Playback bekannter Lieder filmen können. Anders als Dubsmash, das sein Angebot hauptsächlich auf Filmzitate begrenzt und nur zum Erstellen der Videos genutzt werden kann, bietet Musical.ly auch ein soziales Netzwerk, auf dem sich Nutzer verknüpfen und ihren Lieblings-„Musern“ folgen können. Mittlerweile erfreut sich Musical.ly nach eigenen Angaben über etwa 100 Millionen Nutzer. Schnell habe man jedoch bemerkt, dass die Nutzer nach mehr verlangten, als nur kurze Musikclips zu veröffentlichen. So wurde Mitte 2016 mit Live.ly eine zusätzliche App nachgeschoben, die es ermöglicht, Livestreams aufzunehmen und auf Musical.ly zu streamen. Hier haben die Streamer zusätzlich die Möglichkeit, sich durch Geschenke der Zuschauer zu monetarisieren. Dafür kaufen die Zuschauer In-App-Währung, womit sie ihren Streamern Geschenke machen können. Der Streamer erhält daraufhin auf seinem Display ein visuelles Symbol, das je nach Höhe der Spende in Form und Größe variiert. Musical.ly verdient an den Geschenken ebenfalls mit.

Für Werbetreibende bietet sich in dieser Form des Streamings bisher nur die Produktplatzierung als Form der Werbung an. Banner- oder Videowerbung bieten die Livestream-Apps bisher nicht an. Der Social Media Experte Vincent Nicolai prognostiziert, wie Livestreaming-Inhalte monetarisiert werden könnten: „Wer das Tor beim Bundesligaspiel auf Snapchat aus 20 Nutzerwinkeln in Smartphonequalität konsumiert, hat sicherlich großes Interesse an einer HD-Übertragung von SKY. Die Angebote von den Medienhäusern werden zukünftig immer kleinteiliger werden. Heute kaufe ich mir eine ganze Bundesligaspiel-Liveübertragung bei SKY Ticket, morgen kaufe ich mir dann die letzten 5 Minuten bei SKY Moment via Snapchat inkl. Nutzerstreams."

Fazit

Livestreams werden sich professionalisieren. Jedoch wird der Livestream über Facebook, Twitter oder andere Plattformen nicht dieselben Live-Inhalte beinhalten, wie die klassischen Kanäle der Medienhäuser. Dafür gibt es zurzeit noch zu wenig Monetarisierungsmöglichkeiten. Vielmehr wird das Angebot der Medienhäsuer kleinteiliger. Nutzer könnten ihnen dabei als Contentlieferanten dienen und so eine Ergänzung zu ihren traditionellen Sendemitteln bieten.

Abseits von Produktplatzierungen sind Werbetreibende jedoch darauf angewiesen, dass Facebook und Co. Möglichkeiten schaffen, um Werbemittel in die Streams einfließen zu lassen. Anregungen können sie sich hierbei in der Gaming-Szene holen. Bei Twitch sind Video-Ads mittlerweile Teil der Streams. Es bleibt allerdings die Frage, ob Publisher und Werbung wirklich dabei mitziehen.

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