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PROGRAMMATIC

Programmatic Branding – Nicht alles ist neu

Frederik Timm, 23. November 2016
Bild: Adobe Stock lisaalisa_ill

Über Programmatic Advertising haben sich ursprünglich besonders die Spezialisten aus dem Performance-Marketing gefreut. Endlich ließen sich Nutzer gezielt, in Echtzeit und überall ansprechen, ohne allzu große Streuverluste und vorherige Mediaeinbuchungen. Mittlerweile machen sich auch Branding-Kampagnen den programmatischen Einkauf zunutze. In den USA sollen 2015 gut 55 Prozent der Display Ads programmatisch eingekauft worden sein. Dabei muss für Branding in Programmatic das Rad nicht neu erfunden werden, vielmehr steigen die Möglichkeiten, sei es hinsichtlich der Messung, des Reportings oder auch der genaueren Zielgruppenansprache.

Baustelle „Programmatic Branding auf Mobile“

Bild: TabMo Prese Jan Heumüller

Der programmatische Einkauf scheint sich langsam auch im Bereich Branding zu etablieren. Allerdings tun sich hier zwischen stationärem und mobilem Handel noch einige Lücken auf. Denn während RTB-Agenturen wie Adlicious schätzen, dass bereits ein Viertel des Branding-Budgets programmatisch abgewickelt wird, sieht Jan Heumüller, Managing Director DACH der Mobile-DSP TabMo, bei Werbetreibenden häufig noch Zurückhaltung, wenn es darum geht, ihre Kampagnen programmatisch auf Mobile auszuspielen: „Bei kleineren performanceorientierten inhabergeführten Agenturen ist der Wandel schneller zu beobachten. Wir sind jedoch mit allen Großen im Gespräch und die ersten größeren Trading Desks nutzen bereits unsere Plattform. Wir sehen, dass wir besonders im Bereich Branding beziehungsweise von Branding-Kunden eingesetzt werden. Agenturen müssen momentan jedoch auf Advertiser-Seite oft noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Das liegt zum Teil daran, dass in der Vergangenheit für Mobile nur das Restbudget genutzt wurde, das von den anderen Kampagnen übrig geblieben ist. Das entspricht jedoch überhaupt nicht den immensen Möglichkeiten, die das Medium bietet.“

Wie Heumüller berichtet, ist Programmatic Branding im mobilen Umfeld zumindest in Frankreich schon angekommen. Dort laufen bereits großangelegte Kampagnen auf den mobilen Geräten und werden programmatisch abgewickelt. Schon im letzten Jahr hat Ad Age proklamiert: „Mobile is Programmatic on Steroids.“ Auf diesem Medium lassen sich nicht nur Kunden der richtigen Zielgruppe erreichen, sondern auch spezielle Momente abpassen, in denen Werbemittel eine stärkere Wirkung entfalten können. Das „Umfeld“ könnte sich hier nicht nur auf die Webseite oder App beschränken, sondern auch die reale Umgebung und den Moment, in dem sich der Nutzer befindet, miteinbeziehen.

Rückt das Umfeld in den Hintergrund?

Im klassischen Direkteinkauf ist eines der größten Kriterien für die Buchung von Inventar das Umfeld. Möchte ein Automobilhersteller sein neues Luxusauto vorstellen und bewerben, sucht er sich dafür ein Umfeld, in dem sich vornehmlich luxus- und automobilaffine Nutzer aufhalten. Werbung für einen neuen Monitor findet hingegen auf Seiten von Technikmagazinen einen Platz. Programmatic bietet die Möglichkeit, aus diesem Rahmen auszubrechen. Auch Autoliebhaber und Technikgeeks besuchen Internetseiten und Apps, die außerhalb ihres Interessenbereiches liegen. Warum also nicht auch dort für eventuell sogar weniger Kosten die potenziellen Kunden ansprechen?

Das findet jedenfalls Jan Heumüller von TabMo: „Kunden fragen häufig nach hochwertigen Umfeldern, die zu ihrer Marke passen, wie es letztendlich noch aus dem Print bekannt ist. Wir befinden uns hier häufig noch in einer Transition-Phase und weisen den Werbetreibenden darauf hin, dass letztlich die Algorithmen der Plattform dabei helfen, den Nutzer dort zu finden, wo er sich tatsächlich aufhält. In diesen Umfeldern können Nutzer vielleicht sogar günstiger und effizienter erreicht werden als in einer vermeintlich hochwertigeren Umgebung. Dafür haben und setzen wir die Daten ein.“

Bild: Rocket Fuel Presse Oliver Hülse

Auch Oliver Hülse, Geschäftsführer DACH der DSP Rocket Fuel, setzt sich dafür ein, sich von dem Umfeld zu trennen: „Wir können beobachten, dass der Anteil an Branding-Kampagnen stetig wächst. Die Werbetreibenden haben verstanden, dass Programmatic Buying in allen Kanälen eingesetzt werden kann und sollte. Diese positive Entwicklung ist in Deutschland primär durch Private Marketplaces oder Private Deals getrieben worden. Es gilt jedoch weiterhin, trotz aller positiver Entwicklungen, Werbetreibende davon zu überzeugen, dass das gelernte, etablierte Vorgehen – nämlich die Umfeldbuchung – keine Garantie für bessere, branding-relevante Ergebnisse ist. Eher im Gegenteil: Die Reichweite wird unnötig beschränkt und es werden keine neuen Learnings bezüglich potenzieller Zielgruppen gewonnen. Kampagnenziele sollten heute messbare Branding-Parameter wie Viewability oder Completed View sein.“

Bild: Mediacom Presse Carsten Becker

Auf Agenturseite will man sich jedoch nicht ganz so weit aus dem Fenster lehnen und sämtliche Gedanken zum Umfeld verwerfen. Nutzerdaten werden zwar gerne genutzt, jedoch sieht Carsten Becker, Head of Programmatic bei der Agentur Mediacom, auch im programmatischen Einkauf Relevanz für das passende Umfeld: „Das Umfeld spielt natürlich weiterhin eine Rolle. Es läuft fast keine Kampagne allein auf Grundlage von Daten. Wir haben erst kürzlich in einer internen Studie festgestellt, dass die Anzeigen im passenden Umfeld insgesamt schneller und von mehr Nutzern aus der Zielgruppe wahrgenommen werden. Wichtig für uns als Agentur ist, den Wert eines Umfelds richtig einzuschätzen. Die entsprechenden Werkzeuge sind in Form von Programmatic Advertising vorhanden. Wir wissen ganz genau, wo wir ausliefern und wen wir erreichen. Wir als Mediaagentur sind es nun, die sagen können, welches Inventar „Premium“ ist und welches nicht.“

Bild: Adlicious Presse Viktor Eichmann

Viktor Eichmann, Co-Founder und Managing Director von Adlicious, misst dem Umfeld auch weiterhin eine große Bedeutung zu. Allerdings stehen für ihn andere Parameter im Vordergrund: „Viel wichtiger ist für uns das Format und die Sichtbarkeit des Ads. Das entscheidende jedoch ist der Konsument dahinter. Wir wollen Großformate, am liebsten above-the-fold, ausspielen und den richtigen Nutzer erreichen. Dabei arbeiten wir mit Whitelists für Branding, mit denen wir Premiumplatzierungen auf Großformaten über offenes RTB einkaufen können. Es ist möglich, 70 Prozent der Kosten einzusparen – anders gesagt, das Dreifache an wirkungsstarker Media in der Zielgruppe für das gleiche Geld.“

Jan Heumüller beobachtet im Bereich Mobile ebenfalls, dass sich Werbetreibende weniger Gedanken zum Umfeld machen und mehr Möglichkeiten des programmatischen Einkaufs ausschöpfen. So seien einige seiner Kunden mittlerweile so weit, Retargeting einzusetzen und die Auswahl des Inventars breiter zu fächern. Allerdings mache der Anteil dieser Kunden momentan nicht mehr als zehn Prozent aus. „Ich glaube, es vollzieht sich im Moment ein Paradigmenwechsel. Brands fangen an, zu verstehen, dass auch ein anderes Umfeld für sie relevant sein kann“, sagt Heumüller.

Alles wird messbar – Wie wirkt die Kampagne?

Im klassischen Mediaeinkauf vertrauen Werbetreibende bei der Erfolgsmessung ihrer Branding-Kampagnen schon lange auf Marktforschung. In der Regel wird die Bekanntheit eines Produktes oder einer Marke vor und nach der laufenden Kampagne bei verschiedenen Nutzergruppen abgefragt.

Im Programmatic Branding ändert sich nicht viel an den Erfolgsfaktoren der Kampagne. Die Key Performance Indicators (KPIs) bleiben in den meisten Fällen identisch. Jedoch ändert sich mit der Auslieferungsmethode viel an den Möglichkeiten der Erfolgsmessung. Denn Programmatic bietet nicht nur bei der Kundenansprache Vorteile durch Nutzerdaten. Auch bei der Kampagnenmessung können diese Daten mehr Einsicht in die Performanz der Kampagne bieten. Carsten Becker erklärt: „Klassische Marktforschung ist weiterhin ein beliebtes Mittel. Es gibt aber auch immer mehr Anbieter, die sich die programmatische Infrastruktur zu Nutze gemacht haben, um eine schnellere und kostengünstigere Erfolgsmessungen durchzuführen. So können Audience Verification Tools in Echtzeit Aufschluss darüber geben, wie viel Nutzer der eigenen Zielgruppe erreicht wurden.“

Frequency Capping ist zudem ein wesentlicher Bestandteil, um den Einzelnen nicht zu überreizen. Vor Programmatic konnte die Anzahl der ausgespielten Werbemittel nur auf alle Nutzer hochgerechnet werden. Durch das Begrenzen der Frequenz bekommt jeder dieselbe Anzahl von Werbemitteln angezeigt.

Formate – Technik begrenzt Vielfalt

Auch hinsichtlich der Werbeformate ändert sich im programmatischen Anzeigengeschäft vergleichsweise wenig. Auch hier gilt: Rich Media erregt Aufmerksamkeit. Neben Video helfen besonders aufwendige, großformatige Werbebanner, das Augenmerk der Nutzer auf sich zu ziehen. Carsten Becker berichtet jedoch, dass Programmatic mitunter die kreative Schaffenskraft der Agenturen ein wenig hemmen kann. Dem wirke man jedoch mit Personalisierung entgegen: „Im programmatischen Einkauf sind noch nicht alle Sonderformate verfügbar, die der Direkteinkauf ermöglicht. Wir sind hier treibende Kraft, wenn es darum geht, Vermarkter in diese Richtung zu bewegen. Der zentrale Vorteil für die Erhöhung der Werbewirkung im Programmatic ist die mögliche Personalisierung der Werbemittel. Theoretisch kann ich meine Branding Botschaft für jeden Nutzer meiner Zielgruppe individualisieren und damit um ein Vielfaches wirkungsvoller machen. Wir haben bereits eine eigene Abteilung für Dynamic Advertising ins Leben gerufen, die sowohl durch ein Umdenken im Bereich Konzeption und Kreation, als auch durch Hinzunahme neuester Technologien, unser programmatisches Angebot komplettiert. Das schafft positive Synergien zur Kampagnenplanung und ermöglicht es uns, unseren Kunden ein effizientes System für dynamischen Werbemittel 'aus einer Hand' zu liefern.“

Fazit

Im Kern bleibt das Branding-Geschäft auch bei Programmatic gleich: Es gilt, den Nutzer aufmerksamkeitsstark zu umwerben. Allerdings bringt die „neue“ Technologie neue Möglichkeiten und neue Herausforderungen mit sich, kann sogar, wie im Falle der Vielfalt von Werbeformaten, bisher noch einschränkend wirken.

Die Messmethoden im Programmatic Advertising sind besonders für Agenturen und Werbetreibende so vielfältig, dass sie nicht nur im Performance, sondern eben auch bei Branding-Kampagnen einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert bedeuten. Nicht nur dass der Erfolg einer Kampagne besser nachzuvollziehen ist, es können durch die Nutzerdaten auch spitzere Zielgruppen angesprochen und Streuverluste verringert werden.

Allerdings tun sich bei Programmatic Branding auch Fronten zwischen Technikanbietern und Brands auf, zwischen denen die Agenturen als Vermittler stehen. Besonders deutlich macht dies die Frage nach dem Umfeld. Auch auf dem deutschen Markt ist es Unternehmen mittlerweile bewusst, dass Programmatic sinnvoll ist und weiterverfolgt werden sollte, nur bitte nicht zu viel und nicht zu schnell. Mit diesem Zögern haben Technikanbieter zu kämpfen und drängen darauf, die vorhandenen Daten zu nutzen und aus alten Gewohnheiten auszubrechen – Stichwort: Umfeld. Mediaagenturen dienen hier häufig als Mittelsmänner und stehen in der Verantwortung, auf Unternehmensseite Aufklärungsarbeit zu leisten und die Brands langsam an das heranzuführen, was durch Programmatic möglich gemacht wird: eine zielgerichtete Kampagne mit weniger Streuverlusten zu geringeren Kosten.

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