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PROGRAMMATIC

Programmatic oder klassische Umfeldplanung? „Die Mischung macht’s“

Jens von Rauchhaupt, 10. Oktober 2016
unsplash.com, Bearbeitung: Adzine Lia Leslie

Verlieren die Umfelder in der Mediaplanung durch Programmatic Advertising an Bedeutung? Wo liegen die Unterschiede zwischen klassischer Umfeldplanung und Programmatic Buying und wo die einzelnen Stärken dieser unterschiedlichen Disziplinen? Insbesondere beim Programmatic Advertising ist der Aufklärungsbedarf der werbetreibenden Unternehmen hoch. Ganz nebenbei verändern sich durch die Automatisierung auch die Aufgabenstellungen der Mediaagenturen. Wir sprachen dazu mit zwei ausgewiesenen Mediaplanungsexperten, Thorsten Mandel, Geschäftsführer, pilot Hamburg, und Markus Stautner, Gründer und Geschäftsführer, Brainagency Media.

Markus Stautner beschäftigt sich seit knapp zwei Jahrzehnten mit digitalen Themen. Er verantwortete den Aufbau der Online-Vermarktung des landesweiten Hörfunksenders Antenne Bayern sowie das Business Development des Vermarktungsunternehmens SpotCom. 2004 war Stautner Mitbegründer von Brainagency Media, einer bis heute unabhängigen und inhabergeführten Mediaagentur in München. Neben klassischer Mediaberatung zählen insbesondere die digitalen Disziplinen wie Display Advertising, Programmatic Advertising, Search und Social zu seinen Verantwortungsbereichen. Thorsten Mandel ist seit Mitte der 90er Jahre im Medienumfeld tätig. Neben Axel Springer gehören die Mediaagenturen Omnicom Media Group und Mindshare zu seinen beruflichen Stationen. Seit April 2014 ist er Geschäftsführer bei der Mediaagentur pilot in Hamburg. Er verantwortet dort den Digital-Einkauf, die Führung des Bereiches Programmatic Advertising sowie den Personalbereich.

Beide Experten sind Referenten der neuen Seminarreihe „Classic & Programmatic Advertising – Entscheidungsgrundlagen für Führungskräfte“, die von der ADZINE SCHOOL gemeinsam mit der AGOF Akademie in Hamburg und Frankfurt angeboten wird.

Adzine: Herr Stautner, alle Welt redet nur noch von Programmatic Advertising, allerdings planen und buchen Werbetreibende und ihre Agenturen in großen Teilen auch noch ganz traditionell. Warum ist die klassische Display-Online-Planung trotz Programmatic doch noch kein Auslaufmodell?

Markus Stautner: Weil auch in Zeiten von oder trotz Programmatic das Umfeld für die Werbebotschaft äußerst relevant ist. Menschen interessieren sich nun mal für Themen, die zum Inhalt des Umfeldes passen. Wer auf einer Finance-Seite unterwegs ist, interessiert sich für das Thema und ist prinzipiell im Geiste offen für eine zum Inhalt passende Werbung. Letztlich funktioniert auch Google so, auch dort wird Werbung passend zum Produktinteresse gezeigt. Klassische Umfeldwerbung ist also immer contentbezogen.

Bei Programmatic dagegen steht die Person im Mittelpunkt, die sich aufgrund der Datenbasis mit hoher Wahrscheinlichkeit für ein Produkt interessiert. Doch was passiert, wenn ich die Person auf diese Weise zu einem falschen Zeitpunkt mit Werbung anspreche? Dann ist das alles andere als optimal und der Werbungtreibende hat in diesem Fall sein Pulver verschossen.

Adzine: Das heißt, die Mischung macht’s?

Stautner: Genauso ist es, die Mischung macht’s. Werbung muss nicht nur die richtige Zielgruppe ansprechen, sie muss die Zielgruppe auch im passenden Umfeld zur richtigen Zeit erreichen. Dafür brauchen wir weiterhin die klassische Umfeldplanung. Trotz aller Vorteile von Programmatic und individualisierter Werbung: Werbung braucht auch Streuverluste, um zusätzliche Konsumenten zu erreichen – sonst sprechen wir am Ende des Tages von Dialogmarketing oder 1:1-Kommunikation. Das Verhältnis zwischen Programmatic und klassischer Display-Werbung ist nicht „Entweder-oder“, sondern die Frage lautet: Was macht in Bezug auf das Marketingziel Sinn?

Adzine: Sollten Entscheider und Führungskräfte auch ein gewisses Know-how in der Online-Mediaplanung aufbauen? Reicht es nicht, wenn sie das an die Mediaagenturen outsourcen?

Stautner: Auch die Führungskräfte sollten die Mediaplanung verstehen und zumindest an der Oberfläche wissen, worum es eigentlich geht. Damit meine ich nicht, wie im Einzelnen eine DSP bedient oder ein Mediaplan en détail erstellt wird, aber es schadet nicht, die allgemeinen und grundlegenden Markt- und Optimierungsmechanismen zu kennen. Anderenfalls ist man als Werbungtreibender gezwungen, einfach das zu glauben, was die Agentur behauptet. Und auch die Agenturen profitieren von einem Werbekunden, der die Basics und Funktionsweisen des Mediageschäfts kennt und mit dem sie sich auf Augenhöhe austauschen können. Know-how ist für die Effizienz einer Kampagne absolut förderlich.

Adzine: Sind die Werbetreibenden gegenüber den Agenturen zu leichtgläubig?

Stautner: Ja, auf jeden Fall. Das sieht man auch in einigen Pitches. Selbst mit einer sorgsam ausgearbeiteten Mediastrategie, die für einen Branding-Kunden absolut zielführend wäre, kann man im Pitch unterliegen. Zum Beispiel dann, wenn der Kunde sein Hauptaugenmerk für die Brandingkampagne lediglich auf die Page Impressions legt. Man kann ihm hundert Mal erklären, dass die Impressions im Longtail programmatisch eingekauft werden und eben nicht das passende Umfeld berücksichtigen. Der Kunde sieht nur: Ich zahle viel weniger für viel mehr Auslieferungen bzw. Ad Impressions.Man muss aber die Qualitätsaspekte eines Mediaplans verstehen, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Anders gesagt:

Bild: Brainagency

Ein Mediaplan wird nach dem Marketingziel aufgestellt und nicht nach rein quantitativen Aspekten wie Preis und Anzahl von Impressions.

(Markus Stautner, Brainagency)

Adzine: Man hört ja immer wieder, dass viele Branding-Kunden nur auf die Klickrate einer Displaykampagne schauen ...

Stautner: Das ist ein typisches Beispiel dafür. Darum fordern wir beim Kunden immer ein sehr genaues Briefing ein, damit wir im Vorfeld einer Kampagne die richtigen KPIs ausarbeiten können. Das sind beim Branding nicht die Klickrate, sondern neben der Kontaktzahl zum Beispiel auch qualitative Aspekte wie Sichtbarkeit, Ad Fraud oder auch Steigerung der Markenbekanntheit bzw. Image einer Marke. Diese Leistungswerte bzw. die Werbewirkung werden anhand von Marktforschung überprüft und nicht über die Klickrate. Ein Fußballspiel gewinnt auch nicht immer die Mannschaft mit dem meisten Ballbesitz.

Adzine: Wie lassen sich nun klassische Umfeldplanung und Programmatic Buying miteinander kombinieren?

Stautner: Ich kann das an unserem Kunden Familotel, ein Hotelverbund mit Fokus auf Familien, beispielhaft erklären. Wir haben für den Kunden festgestellt, dass die Mütter Hauptentscheidungsträger für die Buchungen sind. Diese erreichen wir auf familienadäquaten Umfeldern wie Eltern.de usw. Wir sprechen sie dort mit großflächigen Werbemitteln und PreRolls an. Daraufhin steuern wir programmatisch eine Retargeting-Kampagne auf alle Nutzerinnen aus, die einen Kontakt mit diesen Werbemitteln hatten. So lässt sich Umfeldplanung und Programmatic ganz einfach kombinieren.

Adzine: Herr Mandel, sehen Sie bei den Werbetreibenden noch einen großen Aufklärungsbedarf hinsichtlich Programmatic Advertising?

Thorsten Mandel: Definitiv. Es gibt eine extrem große Bandbreite an bestehendem Wissen. Einige werbetreibende Unternehmen haben sich bereits exzellent aufgestellt, andere weniger. Es gibt auch Unternehmen, die nicht unbedingt verstanden haben, wie aktueller I/O-basierter Mediaeinkauf funktioniert. Wer jetzt mit Programmatic um die Ecke kommt, muss oftmals noch die Basics erklären.

Adzine: Warum sollten sich gerade Fach- und Führungskräfte auf Werbetreibendenseite jetzt mit Programmatic auseinandersetzen?

Mandel: Weil es einfach die Zukunft ist.

Programmatic ist schlichtweg alternativlos. Es hat solch große Effizienzvorteile und so wirksame Stellschrauben, dass man darauf zwangsläufig setzen muss. Man sollte daher jetzt damit anfangen und sich mit dem Thema beschäftigen. Das ist Chefsache.

(Thorsten Mandel, Pilot)

Adzine: Warum? Was verändert sich denn alles für den Werbetreibenden durch Programmatic?

Mandel: In der originären Mediaplanung verändert sich zunächst nicht so viel. Man muss sich weiterhin mit Marketing- und Mediafragen wie Zielgruppen, Kampagnenstrukturen und Umfeldern beschäftigen. Diese Themen sind damit nicht obsolet. Durch Programmatic kommt jedoch intelligente Technologie hinzu, die die Auslieferung der Werbung übernimmt und weitere Optionen wie neue Targetingansätze oder intelligente Kampagnenmechaniken ermöglicht. Erstmals können werbetreibende Unternehmen selbstgenerierte Datenpunkte einsetzen. Und man muss sich zwangsläufig die Frage stellen, wie man welche Daten nutzen möchte, wo diese gespeichert werden und welche Technologien zum Einsatz kommen. In diesem Zusammenhang wird man sich zudem zwingend mit dem Thema Datenschutz auseinandersetzen müssen, kurzum: für das Unternehmen entstehen zahlreiche Folgefragestellungen und neue Anforderungen an die Mitarbeiter. So muss es im Unternehmen jemanden geben, der die Verantwortung für die unternehmensinterne Datenstrategie übernimmt.

Adzine: Wofür braucht man dann noch eine Mediaagentur?

Mandel: Auch wir Media- und Kommunikationsagenturen erhalten neue Aufgaben – über die reine Mediaplanung hinaus ergeben sich neue Aufgaben, wie z. B. Technologie- oder Daten-Consulting. Generell sind bei vielen Unternehmen schon gute Grundlagen für Programmatic Advertising vorhanden. Unser typisches Vorgehen: Wir machen zunächst eine Bestandsaufnahme, schauen uns die Datenquellen an und helfen beim Zusammenführen von Systemen. Die besten Daten haben in vielen Fällen die Kunden. Sie schlummern im CRM-System und müssen mit unserer Unterstützung datenschutzkonform für Programmatic instrumentalisiert werden. Ich mache mir daher keine Sorgen um pilot, es wird weiterhin einen großen Bedarf an unseren Dienstleistungen geben.

Adzine: Haben Sie bei der Einführung von Programmatic mit typischen Vorurteilen auf Advertiserseite zu kämpfen?

Mandel: Ad Fraud und Sichtbarkeitsprobleme hört man gerne als angebliches Manko programmatischer Werbung. Dies ist aus meiner Sicht nur schwer nachvollziehbar. Mit Programmatic erhält man ja gerade Zugang zu technologischen Optionen, mit denen Ad Fraud oder auch die Sichtbarkeit bei Kampagnen besser und leichter überprüft werden können.

Adzine: Dann gibt es noch den Vorwurf, die Agenturen favorisieren Programmatic, weil sie damit höhere Honorare abrechnen können.

Mandel: Vollkommen absurd. In Wahrheit haben wir Agenturen aktuell und insbesondere in der Anfangsphase bei der Umstellung auf Programmatic einen deutlich höheren Aufwand als bisher. Vorhandene Verträge sind meist mit einem festen Prozentsatz für die Kampagnenabwicklung geschlossen. Nun haben wir im Bereich Operations jedoch zusätzliche Programmatic-Teams, die sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigen müssen.

Adzine: Herr Stautner, Herr Mandel, vielen Dank für das Gespräch!

Falls Sie sich für das Seminar „Classic & Programmatic Advertising – Entscheidungsgrundlagen für Führungskräfte“ am 10. November in Hamburg interessieren, erfahren Sie hier mehr.

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