Warum die Premiumvermarkter mit Reichweitenverlusten zu kämpfen haben
Jens von Rauchhaupt, 20. Juli 2016Die Premiumvermarkter haben mit schwindenden Netto-Reichweitenzahlen zu kämpfen. Das offenbaren die jüngsten Digital Facts 2016-04 der AGOF, die sich auf den Monat April beziehen. Im Vergleich zum Jahresstart haben einige Premiumvermarkter bis zu 5 Millionen monatliche Unique User (UU) verloren. Die genauen Gründe sind schwer auszumachen und vielleicht eine Kombination aus mehreren Entwicklungen, die zurzeit bei der Internetnutzung und im Online-Publishing stattfinden. Eine Spurensuche.
Reichweitenverlust von bis zu 5 Millionen Unique User seit Jahresbeginn
Traditionell ist die dunkle Jahreszeit und damit auch der Januar ein starker Monat für die Internetnutzung. So verhielt es sich auch beim Start ins Jahr 2016. Das Jahr startete vielversprechend für die Digitalvermarkter in Deutschland. Mit rund 39 Millionen Unique Usern (UU) hatte InteractiveMedia den ersten Platz unter den digitalen Vermarktern inne. Ströer Digital folgte mit knapp 37 Millionen UU auf dem zweiten Platz.
Doch nun das: Das aktuelle Ranking für April hat sich im Vergleich zum Jahresanfang verschoben. Es handelt sich jedoch nicht um geringe Reichweitenverluste von einigen Vermarktern und Gewinne von anderen. Vielmehr setzt sich die Spitze der Rangfolge aus den Vermarktern zusammen, die am wenigsten Reichweite im Vergleich zu den anderen verloren haben. Reichweite verloren haben sie alle.
Den ersten Platz im AGOF-Reichweitenranking, das die mobile und stationäre Nutzung gemeinsam ausweist, belegt weiterhin InteractiveMedia mit mittlerweile rund 36 Millionen Unique Usern. Der Verlust von 3 Mio. UU wiegt schwer, doch die hohe ursprüngliche Anzahl garantiert dem Online-Vermarkter weiterhin die Spitzenposition. Die neue Konzernmutter Ströer Digital hingegen verschlägt es auf den vierten Platz. Mit satten Verlusten von 5 Mio. UU trifft es den Inhaber von InteractiveMedia mit am härtesten unter den Premiumvermarktern. Den neuen zweiten Platz nimmt United Internet Media ein. Das Unternehmen verliert „lediglich“ 2 Mio. UU im Vergleich zum Jahresbeginn. Den dritten Platz belegt Media Impact. Mit Reichweitenverlusten von 3,5 Mio. UU trifft es diesen Publisher schon härter. Dieser Negativtrend zieht sich durch die komplette Riege der Premium-Publisher. BurdaForward verliert 3,6 Mio., SevenOne Media rund eine Million, IP Deutschland sogar 4 Mio. und der ‚Gruner und Jahr‘-Vermarkter G+J EMS rutscht ebenfalls von 29,1 auf 26 Millionen Unique User ab. Was ist da los?
Mögliche Erklärungen für den Reichweitenschwund
Gründe für diesen Reichweitenschwund liefert die AGOF selbstredend nicht. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Sie misst die Nettoreichweiten (Unique User) ihrer zahlenden Mitglieder mittels eines sogenannten Multimethodenmodells, das sich aus einer technischen Messung mittels Zähl-TAG sowie Onsite- bzw. Panel-Befragung und einer Telefonumfrage zusammensetzt (hier geht’s zur Methodik)
Größere Verluste lassen sich sicherlich durch einen Angebotswegfall erklären, da die Vermarkter einzelne Angebote zum 01. April kündigen konnten und somit aus der AGOF Zählung herausfallen. Zudem stehen die Osterfeiertage im Verdacht, mitursächlich für die schwache Nutzung der von der AGOF gemessenen Onlineangebote zu sein. Doch für den nun festgestellten Millionenschwund sind weder die Osterfeiertage noch die gesunkene Anzahl der AGOF-Angebote abschließend plausible Erklärungen.
Google AMP und Facebooks Instant Articles die Schuldigen?
Die Gründe sind also auch woanders zu suchen. Es scheint, die Online-Nutzung driftet weg von den klassischen deutschen Medienmarken, hin zu Facebook, Google und den unzähligen Mid- bzw. Longtail-Websites, also solchen Angeboten, die von der AGOF nicht gemessen werden. Sind es wohlmöglich Facebooks Instant Articles und die neuen Google-AMP-Seiten, die den Publishern den messbaren Traffic nehmen?
Google AMP ist seit Februar 2016 verfügbar. Dabei handelt es sich um schnell ladende mobile Lightversionen der Publisher-Websites, die teilweise auf googleeigenen Servern gehostet werden. Bei den Instant Articles werden die Inhalte direkt von den Publishern auf den Facebook-Servern hochgeladen. Facebook hat den Dienst im April gestartet. Vom Zeitpunkt her könnte das also passen.
Doch anders als oftmals behauptet: Der Besuch von AMP-Sites durch einen Nutzer kann technisch von der AGOF gemessen und dem Vermarkter zugeordnet werden, das Gleiche gilt auch für Facebooks Instant Articels. Bei beiden Mobile-First-Lösungen, die eine bessere mobile User Experience versprechen, wird dem Content bereits die Angebotskennung der AGOF mitgegeben. Das bestätigte uns die AGOF-Pressesprecherin Katharina Böhm auf unsere Nachfrage. Der Besuch dieser Websites wird bereits seit dem 01. März von der AGOF miterfasst. Allerdings – so gesteht die AGOF ein – können hier noch Unschärfen bei der Verarbeitung entstehen, da die AGOF-Methodik auf einem Multi-Client-Modell beruht, das eine begrenzte Anzahl an Browserclients pro Nutzer berücksichtigt. Aktuell findet keine zusätzliche Berücksichtigung des Facebook-Browsers statt, sondern per Zufall eine Ersatzberücksichtigung, so dass ein gewisser Anteil der Standardbrowser samt „normaler“ Nutzung derzeit aus dem Verarbeitungsmodell herausfällt.
Erst ab der digital facts 2016-06 wird der Facebook-Browser in diesem Modell gesondert berücksichtigt. Das die Instant Articles allein aber für den großen Reichweitenschwund verantwortlich sein sollen, ist mehr als unwahrscheinlich. Also auch Facebook Instant Articles und Google AMP taugen nicht zum Reichweitenkiller.
These: Veränderte Online-Nutzung durch Adblocking und Paid Content
Doch was könnte nun den Reichweitenschwund erklären? Wir spekulieren einmal. Es gibt noch zwei Verdächtige, die auf das Nutzungsverhalten der Onliner Einfluss genommen haben könnten: Das Adblocking und Paid Content. Adblocker können zwar nicht unmittelbar zum Reichweitenverlust beitragen, da die AGOF mithilfe eines eigenen Zähl-TAGs immer die Nutzung der Werbeträger und nicht die Auslieferung der Werbung misst; allerdings kann die Adblocking-Problematik mittelbar doch Reichweitenverluste verursachen. Ausgesperrte Nutzer springen schneller von einer Website ab und verlassen das gesamte Umfeld einer Medienmarke, um Angebote zu konsumieren, die Werbeblocker zulassen.
Noch schwerer wiegt wohl die steigende Anzahl von Paid Content, der in den letzten Monaten von nahezu allen großen deutschen AGOF-Publishern in unterschiedlichen Varianten auf den Markt gebracht wurde. Verdrießte und nicht zahlungswillige Nutzer suchen also vielleicht vermehrt nach alternativen Angeboten, die kostenfrei ihre Inhalte zur Verfügung stellen. Gegen diese These könnten aber der IVW-Zahlen sprechen. Die Bruttoreichweiten, also die Visits der Websites – nicht zu verwechseln mit den Unique Usern – sind die letzten Monate relativ stabil geblieben.
Zwar lassen sich aus den IVW-Zahlen keine direkten Rückschlüsse auf die Nettoreichweiten ziehen, doch als Richtmesser taugen sie allemal. Würden also die Nutzer aufgrund des Paid Contents von einem Seitenbesuch besagter Medienmarken absehen, müsste auch die Bruttoreichweite spürbar sinken. Das ist bisher nicht der Fall (siehe IVW Grafik oben).
Und so bleibt der Reichweitenverlust erst einmal ein kleines Mysterium. Es bleibt zu vermuten, dass die Reichweitenverluste tatsächlich aus einer Kombination von besagten Unschärfen in der Messung, vor allem den quartalsbedingten Abmeldungen vieler Angebote und den Osterfeiertagen herrühren. Erst die nächsten Auswertungen der AGOF können dazu mehr Licht ins Dunkel bringen. Denn wenn auch im Monat Mai die Reichweitenzahlen niedriger sind als im Vormonat, ist ein geändertes Nutzungsverhalten durch Paid Content die plausibelste Erklärung.
Ist Ströer Digital eigentlich der reichweitenstärkste AGOF-Vermarkter?
Trotz dem Fall von Ströer Digital auf Platz Vier im Vermarkterranking müsste das Kölner Medienhaus doch eigentlich auf Platz eins stehen, schließlich hatte man Ende 2015 InteractiveMedia übernommen. Bei der AGOF sind die beiden Unternehmen jedoch noch einzeln registriert und werden noch gesondert ausgewiesen. Würde man aber die Reichweiten der beiden Vermarkter addieren, wäre Ströer Digital die klare Nummer eins in Deutschland.
Doch so einfach ist das nicht. Warum das eine Milchmädchenrechnung ist, erläutert Claudia Dubrau, Geschäftsführerin der AGOF: „Wichtig ist: Reichweiten können bei der AGOF grundsätzlich nicht einfach addiert werden, das gilt für Angebots- genauso wie für Vermarkterreichweiten. Denn bei einer Addition würden Besucher, die sowohl Angebote von Vermarkter A und von Vermarkter B besucht haben, doppelt gezählt – obwohl es sich dabei nur um eine Person handelt. Diese Überschneidungen können aber jederzeit problemlos im Auswertungs- und Planungsprogramm TOP berechnet und ausgewiesen werden.“Die gesonderte Aufzählung der beiden Vermarkter hat somit unternehmenspolitische Gründe. Bei der AGOF sind Zusammenlegungen von Vermarktern schon häufiger vorgekommen.
Ein hochrangiger Vermarkter ist ebenfalls aus einer Fusion entstanden. Dubrau erklärt: „Die Fusion bzw. Zusammenlegung von zwei Vermarktern zu einem Studienteilnehmer und damit die Ausweisung einer gemeinsamen Vermarkterreichweite ist innerhalb der AGOF ein bekanntes Szenario und nicht kompliziert. Dazu muss nur der entsprechende Antrag seitens der Vermarkter mit gewünschtem Umstellungsdatum eingereicht werden. Auch dass sich Mitgliedshäuser neu formieren, zusammenfinden, etc., gab es in der Geschichte der AGOF immer wieder. Beispielsweise wurde aus den einzelnen Mitgliedern Web.de und GMX das heutige Mitglied United Internet Media.“ Also erst wenn Ströer Digital seine Angebote mit InteractiveMedia bei der AGOF zusammenlegen lässt, kann auch die Frage nach der Reichweiten-Nummer Eins abschließend beantwortet werden.
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