Sie sind die Urgesteine unter den Planungsgrundlagen für Online-Media: Studien über Märkte, Reichweiten und Werbekanäle. Doch welche Rolle spielen Zahlen von AGOF, Nielsen & Co. in Zeiten von Big Data und automatisierten Werbebuchungen? Eines steht fest: Programmatic verändert die Mediaplanung, erleichtert den Mediaeinkauf und ermöglicht ein genaueres Targeting – in Echtzeit. Analysierte Daten über Absichten und Interessen der Nutzer sind auf dem besten Weg, den herkömmlichen Statistiken den Rang abzulaufen.
Zu einer Mediaplanung gehört klassischerweise zunächst eine Marktanalyse, um das Potenzial einer bestimmten Zielgruppe zu ermitteln. Dann wird über den Mix der Werbekanäle entschieden und schließlich die Feinplanung vorgenommen. Dafür sind Markt-Media-Studien sinnvoll. Doch im Internet wirft Programmatic Advertising dies über den Haufen – zumindest teilweise. Die intelligente Nutzung von großen Datenmengen sorgt für die nötige Präzision der Online-Werbeansprache; gleichzeitig bringen ausgeklügelte Bidding- und Auslieferungstechnologien Effizienz und Schnelligkeit in den Buchungsprozess.
Auch Wirkzusammenhänge verstehen
Auf dem ersten Blick ist die Welt des Programmatic Advertising weit von der eher tradiert anmutenden Welt der Markt-Media-Studien entfernt. Im Programmatic Advertising kann Werbung inhaltlich und zeitlich passend exakt auf den jeweiligen Nutzer ausgerichtet werden. In Echtzeit, versteht sich. 1st, 2nd und 3rd Party Data machen es möglich. Stellt sich also die Frage, warum man noch mit Markt-Media-Studien arbeiten sollte, bei denen im Zweifel mit erfragten Nutzungswahrscheinlichkeiten gearbeitet wird.
Laut Steffen Müller ist die Antwort einfach: „Ohne Erfahrungswerte und Erkenntnisse über Nutzungs- und Wirkungszusammenhänge sind Entscheidungen schwer zu treffen und erzielte Ergebnisse noch schwerer bewertbar.“ Müller ist Head of Insights & Intelligence bei amnet. Amnet ist der Spezialist im Dentsu-Aegis-Netzwerk für datenbasierte Mediaoptimierung und den Mediaeinkauf in Echtzeit. Insights aus den AGOF Digital Facts oder den Audience Analytics von ComScore sind dem Experten zufolge hilfreich, um programmatische Kampagnen kontextual zu bewerten und zu steuern. „Sie generieren sozusagen Referenzpunkte, die es – je nach Kampagnenzielsetzung – zumindest zu würdigen gilt“, sagt Müller und ergänzt: “Ohne Expertise in der Nutzung können Maschinen oft ‚wertlos‘ sein.“
Aussteuerung – relevant und realtime
In der Herangehensweise unterscheiden sich klassische und programmatische Werbebuchungen voneinander. Entsprechend sind andere Daten für die Planung wichtig. So werden programmatische Kampagnen primär auf Zielgruppen gebucht. Das können klassische Zielgruppen sein, die zum Beispiel aus Alter und Geschlecht sowie weiteren demografischen Merkmalen bestehen.
„Eine Zielgruppe über Umfelder zu erreichen, spielt in Programmatic eher eine untergeordnete Rolle, da einfach deutlich effizientere Methoden vorhanden sind. Vielmehr werden Kampagnen verstärkt auf Intent- und Interest-Daten eingebucht“, sagt Sebastian Trosch, Head of Audience on Demand bei Vivaki. Diese finden in der klassischen Digitalplanung weniger Berücksichtigung, da ihre Reichweite dort meist sehr gering ist und diese Daten nicht skaliert eingesetzt werden können. Ganz anders sieht es dem Experten zufolge hingegen bei Programmatic aus. „Hier können selbst sehr spitze Zielgruppen über eine massive Inventarreichweite angesprochen werden. Dadurch skalieren spitze Zielgruppen in Programmatic deutlich besser“, so Trosch. Doch Intent- und Interest-Daten sind sehr schwer zu validieren, da es keine Überprüfungsinstanz gibt. Bei soziodemografischen Zielgruppen finden bei Vivaki die bekannten Anbieter Verwendung.
„AGOF-Daten spielen bei programmatischen Kampagnen eher eine untergeordnete Rolle, da man durch Audience-Daten, die direkt vom Datenbesitzer kommen, in der Regel ein deutlich besseres Ergebnis erzielen kann“, sagt Trosch.
Programmatic – Bedeutung der klassischen Planungstools sinkt
Auch bei pilot in Hamburg beobachtet man die aktuellen Entwicklungen genau. „Die Relevanz von AGOF- oder Nielsen-Zahlen zur Planung der Erreichung einer bestimmten Zielgruppe in programmatisch ausgelieferten Kampagnen nimmt grundsätzlich ab“, sagt Kai-Peter Grafeneder, Leiter Beratung Programmatic Advertising. Bei pilot betrachtet man AGOF-Zahlen, um potenzielle Umfelder für Kampagnen zu bestimmen, schaut allerdings im zweiten Schritt nach Datenanbietern oder verfügbaren Vermarkter-Targetings, die konkret User direkt in diesen Umfeldern als zur Zielgruppe gehörig qualifizieren können. Parallel nutzt die Agentur umfangreiche Erfahrungswerte zu Vermarktern & Targeting-Anbietern aus Messungen zur Zielgruppenerreichung, vor allem mit Meetrics.
Generell ist man bei pilot undogmatisch – bei einer Zielgruppe kann auch eine AGOF-Planung gut funktionieren, bei einer anderen gegebenenfalls gar nicht. „Wichtig ist“, sagt Grafeneder, „dass wir dem Werbetreibenden transparent machen, wie wir vorgehen und welche Annahmen und Erfahrungswerte zu seiner Planung führen.“ Dem Beratungschef zufolge spielen AGOF-Zahlen im Bereich Mobile InApp zurzeit noch eine größere Rolle in der Planung und Bewertung, da die Messbarkeit mit Meetrics zurzeit noch eingeschränkt ist. Sobald InApp-Inventare messbar sind, wolle man auch hier verstärkt mit Drittdatenanbieter wie adsquare Tests durchführen und dann die entsprechenden Erfahrungen in die Planung und Aussteuerung einfließen lassen.
Aber nicht nur die AGOF-Zahlen sind nach wie vor für die Mediaplanung hilfreich. „Nielsen ist vor allem relevant, um Vermarkter wie YouTube, Facebook, Amazon oder Twitter in Planung zu integrieren“, sagt Grafeneder. Für Kampagnen mit hohem Bewegtbild-Anteil und einer breiten Vermarkterbandbreite wird auch mit ComScore Video Metrics geplant. „Hier gilt allerdings das Gleiche wir für alle anderen programmatischen Kampagnen: Vermarkter- oder Drittanbieterdaten und -Targetings werden üblicherweise noch mal über Umfelder gelegt, um die Zielgruppe genauer anzusprechen“, erläutert Grafeneder. Ein breiter Erfahrungsschatz in der Verifizierung sowohl von Vermarkter- als auch Drittanbieterdaten ermöglicht es pilot, realistisch zu planen und alle vorhandenen Optionen sinnvoll gegeneinander abzuwägen.
Nutzer bleibt im Fokus
Viele interessante Zahlen werden auch von ComScore erhoben. Die US-Marktforschungsfirma bietet heute sogar Lösungen explizit für das Programmatic Advertising: „ComScore spielt im Bereich ‚Pre-Bid-Lösungen‘ eine Rolle für den programmatischen Einkauf“, sagt Müller. So können zum Beispiel über die Integration von ComScore-Daten in die DSP kontextuelle Aussteuerungen der Kampagne oder Brand-Safety-Prüfungen von Inventarquellen vorgenommen werden, bevor eine Ad Impression ausgeliefert wird. „Auch für die Pflege sogenannter White- oder Blacklists, die im programmatischen Einkauf angewendet werden, kann ComScore ein relevanter Dienstleister sein“, sagt Müller.
Marktbeobachter sind sich einig: Der Trend geht weiter in Richtung eines nutzerzentrierten Mediaeinkaufs. Damit einhergehen dürfte auch eine granulare Ansprache von Sub-Zielgruppen, zum Beispiel mit Geschlechts-, Interessens- und altersspezifischer Kreation. „Das Umfeld bleibt selbstverständlich wichtig, um die Markenwahrnehmung zu beeinflussen und auch Nutzungssituationen gezielt zu bespielen“, sagt Grafeneder. Der Rückschluss von Umfeld auf Zielgruppe habe allerdings immer schon nur sehr bedingt funktioniert, „und dafür gibt es inzwischen bessere Alternativen, welche auch nachweisbar besser funktionieren“, so der Experte.
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