Innerhalb weniger Jahre hat Programmatic Advertising eine erstaunliche Entwicklung vollzogen. Und die tiefgreifende Transformation des gesamten Mediamarktes durch die Automatisierung von Abläufen hat gerade erst begonnen. In naher Zukunft wird jedes digitale Medium programmatisch gehandelt werden.
Am Anfang war die Resterampe. Als zu Beginn des Jahrzehnts die Automatisierung des Online-Werbeeinkaufs begann, lag der Schwerpunkt ganz klar auf der Restplatzvermarktung von Standardwerbeformaten per Real-Time Bidding. Dabei erfolgen die zugrundeliegenden Transaktionen und die Auslieferung von Werbemitteln automatisiert und in Echtzeit wie bei einer Versteigerung, Werbeplätze gehen innerhalb weniger Millisekunden an den Höchstbietenden. Das Verfahren lässt sich mit dem modernen, ebenfalls automatisierten Aktienhandel vergleichen. Aber die Preisfindung ist nur die eine Seite von Programmatic Advertising, viel erfolgsentscheidender ist, dass die Werbemittel auf Basis von Nutzerdaten auf ihre Interessen hin zugeschnitten ausgeliefert werden. Anders gesagt, die Technologie verbindet die Effizienzsteigerung des Real-Time Biddings mit den Vorteilen des Zielgruppen-Targetings.
Allerdings hat die anfängliche Dominanz der Restplatzvermarktung dazu geführt, dass viele Publisher aus Sorge vor einem Preisverfall zögerten,Premiuminventar programmatisch anzubieten. Nachdem aber seit 2012 und 2013 neben den Standardformaten auch zunehmend Mobile, Social Media und Native Advertising programmatisch gehandelt werden, gewinnen auch Premiuminventare immer mehr an Relevanz im Markt. Ermöglicht wird dies durch Private Marketplaces (PMPs), in denen Vermarkter ihre Werbeflächen ausgewählten Kundenkreisen zu festgesetzten Mindestpreisen anbieten. Vor allem im Bereich Videowerbung sind PMPs eine zentrale Schnittstelle von Angebot und Nachfrage.
Man kann also feststellen: Programmatic kommt aus seiner einstigen Nische immer mehr heraus und das hat auch damit zu tun, dass neben dem Auktionsmodell zunehmend andere Spielarten der Preisfindung zum Einsatz kommen. Bei „Automated Guaranteed“ beispielsweise werden Werbeflächen zwar elektronisch und in Echtzeit gehandelt, aber zu einem Festpreis und nicht per Auktion. Zum anderen wurde inzwischen vom Markt gelernt: Durch den Einsatz von Daten und Algorithmen erzielt Programmatic in der Regel bessere Ergebnisse als klassisch gebuchte Kampagnen. Und das gilt nicht nur im Performance-Bereich, sondern auch für Branding-Kampagnen. 2015 hat sich Programmatic für alle Kampagnenarten auf den Kanälen Display, Mobile, Social und Native vollkommen etabliert. Die deutsche Werbewirtschaft hat getestet, skaliert und positiv bewertet. Und auch die Publisher haben inzwischen verstanden, dass Programmatic keine RTB-Resterampe ist, sondern vielmehr ein neuer, effizienter Distributionskanal.
Doch der eigentliche Paradigmenwechsel durch Programmatic beginnt erst jetzt. Die Digitalisierung weiterer Medienbereiche bringt es mit sich, dass bewährte programmatische Mechanismen auch dort greifen. Das heißt, auch klassische analoge Medien wie TV, Audio und Out-of-Home werden in digitaler Form effizienter und feiner ansteuerbar. Für den Kunden Moovel haben das digitale Multichannel-Medienhaus Ströer und die Mediaagenturgruppe VivaKi jetzt die erste programmatische Out-of-Home-Kampagne in Deutschland umgesetzt. Die Kampagne mit dem Claim "Moovel my way" ist noch bis Ende Juni auf rund 100 Public-Video-Screens in Hamburg zu sehen. Für die Umsetzung wurden die programmatische Einkaufsplattform AOD von VivaKi und das Public-Video-Netzwerk von Ströer miteinander verknüpft. Die Targetingfunktion AODSync ermöglicht dabei eine zeit- und wetterabhängige Ausspielung unterschiedlicher Werbebotschaften. Dabei werden morgens, mittags und abends verschiedene Spots gezeigt, die humorvoll das aktuelle Wetter in Hamburg aufgreifen – und durch diese emotionale Ansprache eine höhere Aufmerksamkeit beim Betrachter erzielen. Mit der ersten programmatischen Out-of-Home-Kampagne liefern Ströer und VivaKi ein Beispiel dafür, wie sich in der Online-Welt gelernte Mechanismen erfolgreich auf andere Kanäle übertragen lassen.
Im Audiobereich wird bereits mit Hochdruck daran gearbeitet, digitales Inventar für den programmatischen Einkauf bereitzustellen. Den Kunden eröffnet sich so die Möglichkeit, sich von der umfeldbezogenen Planung zu lösen und die Adressaten im richtigen Kontext und über den passenden Kanal anzusprechen, was Streuverluste minimiert.
Darauf steuert auch die Entwicklung im TV zu, wo dieses Jahr mit ersten programmatischen Vermarktungspaketen zu adressierbarem TV (auf Basis von HBB, Switch In) zu rechnen ist. Die Frage nach dem Umfeld – also: welche Sendung rahmt den Werbeblock ein? – rückt dann in den Hintergrund gegenüber der Frage: Wer ist der richtige Adressat für meinen Spot? Wobei es nicht unbedingt realistisch ist, dass das ganze TV-Universum in naher Zukunft programmatisch gehandelt wird. Aber mit zunehmender Verbreitung von Smart-TV, was eine Voraussetzung für individuelle Ansteuerung ist, wird auch ein immer größerer werdender Teil des TV-Geschäfts auf programmatischer Basis abgewickelt werden. YouTube bietet sein Inventar längst programmatisch an, Facebook geht den gleichen Weg, baut sein Online-Videoinventar massiv aus und wird es komplett programmatisch zur Verfügung stellen. Schon allein deshalb ist es für die TV-Konzerne auf Dauer keine Option, sich dem Thema zu verweigern.
Die Bedenken auf Vermarkterseite, die programmatische Steuerung im linearen TV könnte zu einem Preisverfall führen, sind nachvollziehbar, aber nicht unbedingt berechtigt. Es ist im Gegenteil ja genauso denkbar, dass es nachfragebedingt zu einer höheren Auslastung der Spotplätze kommt, da durch die erhöhte Zielgruppengenauigkeit auch kleine Budgets sinnvoll eingesetzt werden können. Genauso wenig ist es vorgegeben, dass die Preisfindung im Programmatic-Bereich dann zwingend auf Bidding-Basis erfolgen muss, es bleibt jedem Vermarkter selbst überlassen, ob er seine Werbeflächen zu definierten Mindestpreisen (Floor-Preise) oder per Auktionsmodell offeriert.
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